«Die Offenheit der Deutschen hat uns überrascht»
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Bei Wanderung nach Sylt (D):«Die Offenheit der Deutschen hat uns überrascht»

Neuer Dokfilm von Hanspeter Bäni – Zwei Männer verarbeiten ihre Pensionierung
«Ich suche wieder meinen Platz in der Gesellschaft»

Männer haben mit der Pensionierung oft Mühe. Selten ist das Thema. Das ändert nun ein rührend-witziger Dokfilm. Der ehemalige SRF-Mann Hanspeter Bäni hat sich und seinen Freund dabei gefilmt, wie sie beim Wandern ihr neues Seniorendasein verarbeiten. Es kracht manchmal.
Publiziert: 09.09.2023 um 00:22 Uhr
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Manchmal klöpft es zwischen zwei Menschen. Wenn sie aufeinander hocken. Lange zusammen unterwegs sind. So wie Hanspeter Bäni und Jürgen Podlass. Bei ihnen klingt das so: «Gestern war ich schaurig hässig auf dich.» Oder: «Ich habe mein Ego im Gegensatz zu dir nicht so mit meiner Arbeit gefüttert.» Zwei Szenen, zwei erschöpfte Männer in Wanderschuhen auf einem Bänkli. Die beiden kennen sich noch nicht lange und haben Monate zuvor beschlossen, zwei Ziehwägeli zu packen und loszulaufen. Eine Fernwanderung vom Schloss Habsburg im Aargau nach Sylt – der nördlichste Punkt Deutschlands. 1300 Kilometer in elf Wochen. 

Die Reise markiert den Übergang in einen neuen Lebensabschnitt: das Rentenalter. Und davon handelt der Dokfilm, der daraus entstanden ist und bald in die Kinos kommt: «Ihr könnt jetzt gehen.» Eine Geschichte über zwei Männer, die ihre Pensionierung verarbeiten. Zusammen mit Menschen, die ihnen ihre Gärten zum Biwakieren überlassen.

Nun sitzen wir bei Hanspeter Bäni (66) in Habsburg auf der Terrasse. Jürgen Podlass (66) stösst von zu Hause aus dem Nachbardorf Scherz dazu. Ein paar Minuten sind vergangen, und die beiden stecken schon mitten in einem Gespräch, machen sich Komplimente, fallen dem anderen ins Wort, sticheln, sagen einander die Meinung und machen auch schon mal den Satz des anderen fertig. Vertraut sind sie sich – doch: auch sehr verschieden.

Der ehemalige SRF-Mann Hanspeter Bäni und sein Freund Jürgen Podlass sind beim Schloss Habsburg gestartet.
Foto: Philippe Rossier
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Der eine plant, der andere liebt Spontanität

Hanspeter Bäni plant gerne, will alle Eventualitäten im Blick haben. Podlass sieht es so: «Du hast dir oft zu viele Gedanken gemacht und warst angespannt.» Bäni schlüpfte auf der Reise auch in zwei Rollen: Protagonist und Filmemacher. Schleifte Laptop, Drohne, Kamera, Stativ in seinem Wägeli hinterher. War im Stress, einen guten Film zu machen. Seine Berufung. Über Jahrzehnte prägte Bäni das Profil des Schweizer Dokfilms bei SRF, seine Filme wie «Reine Katharina – Eine Schweizerin wird Königin in Afrika» sind legendär. 

Jürgen Podlass, geboren in Hannover (D), ist schon mit einem Wohnmobil durch die halbe Welt gefahren und betreute jahrzehntelang als Sozialpädagoge Kinder und Jugendliche, auch Schwererziehbare. Podlass liebt es spontan und ist impulsiv. Manchmal zu sehr, findet Bäni: «Du explodierst, wenn dich etwas sehr aufregt.» 

Zwei Gegensätze und eine anstrengende Tour – klar, dass es da im Film rumpelt. Mal flucht und poltert einer, weil das Wägeli im Wald umkippt und auch noch die Stange zum Ziehen bricht. Mal ist einem kein einziger Schlafplatz recht, der der andere vorschlägt. Mal weint einer, als der Sohn zu Besuch kommt, weil der Vater hier in der Ferne spürt: Der Bub ist jetzt gross, er muss ihn loslassen. Ein Verlust. Und einmal trennen sich die Wege der beiden älteren Männer sogar. Das Bundesland Hessen durchwandert jeder allein. Doch als sie sich wiedersehen, gestehen sie sich: Ich habe dich vermisst. Sie teilen ein Schicksal. Haben Mühe, in den neuen Lebensabschnitt zu finden. Rentner. Ein Schimpfwort.

Männer definieren sich über ihre Arbeit

Der Film befasst sich ungeschönt, rührend und humorvoll mit Fragen, die viele Männer beschäftigen. Welchen Stellenwert hat die Arbeit in meinem Leben? Was bin ich ohne Wert? Seit einer Umfrage des Forschungsinstituts Sotomo wissen wir: Männer mit Vollzeitjob nehmen sich selber als männlicher wahr als Männer, die Teilzeit arbeiten. Frauen definieren ihre Weiblichkeit nicht über die Arbeit.

Für Hanspeter Bäni war das Filmprojekt «eine Verzweiflungstat», sagt er uns auf der Gartenterrasse. Er liebte seinen Job, habe sich darüber definiert. «Durch die Pensionierung fühlte ich mich entraubt.» 

Und Jürgen Podlass weiss: Er muss sich neu erfinden. Im Film sagt er: «Ich suche wieder meinen Platz in der Gesellschaft. Ich will ein Rädchen im Getriebe sein. Jetzt bin ich nur ein Ersatzrädchen.»

Schuld daran ist auch das Etikett, das man mit der Rente verpasst bekommt. Plötzlich flattern Bäni und Podlass Prospekte für Carreisen und Dampfschiffausflüge auf dem Vierwaldstättersee ins Haus. Junge Leute sagen ihnen: Jetzt gehen wir für dich arbeiten. Und viele fragen mit mitleidiger Miene: Was machst du jetzt? Jürgen Podlass antwortet dann mit einer Provokation: Am Morgen gehe ich erst mal an den Kühlschrank und mache ein Bier auf.

Im Film gibt es ein Happy End. Sie erreichen ihr Ziel auf Sylt. In Wirklichkeit ist die Reise erst der Anfang. Bäni macht nun weiter wie zuvor: Bis in die Nacht hinein sitzt er an Dokfilmen. Und Podlass hat angefangen, mit einem Pferd zu arbeiten. Doch angekommen ist er noch nicht. Trotz Fernwanderung. Eines hat diese ihn gelehrt: Wenn man pensioniert ist, könne man zwar ein Segelboot kaufen, von einer Yoga-Gruppe zur nächsten tingeln, um die Welt reisen – aber nicht davor weglaufen, rausfinden zu müssen: Was ist meine Erfüllung? «Das dauert.»

«Ihr könnt jetzt gehen»: Ein Film von Hanspeter Bäni und Matthias Moser. Ab 16. September in verschiedenen Kinos. https://ihrkoenntjetztgehen.ch  

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