Nach Weinstein-Prozessbeginn
So steht es in den grossen #MeToo-Fällen heute

Weinstein, Epstein, Cosby, Spacey – einige berühmte Männer sorgten in den letzten Jahren für Schlagzeilen. Wo stehen die grossen Fälle aus der #MeToo-Welle heute?
Publiziert: 26.10.2022 um 00:07 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2022 um 10:03 Uhr
Jana Giger, Jonas Dreyfus, Adina Steimer, Alexandra Fitz, Rebecca Wyss, Lea Ernst

Harvey Weinstein (70): Mit ihm fing es an

Er war 2017 der Auslöser für die #MeToo-Bewegung: der Filmmogul Harvey Weinstein. Oder genauer: Ein «New York Times»-Bericht über ihn. Der Vorwurf: Weinstein soll seit den 80er-Jahren Frauen sexuell belästigt haben. Später kamen Vergewaltigungsvorwürfe hinzu. Weinstein stritt alles ab. Erfolglos. 2020 verurteilte ihn ein Gericht zu 23 Jahren Haft. Die Jury hatte den Aussagen von rund neunzig Frauen geglaubt, darunter Gwyneth Paltrow (50), Salma Hayek (56), Angelina Jolie (47), Cara Delevingne (30) und Uma Thurman (52). Sie alle beschrieben, wie einer der mächtigsten Männer Hollywoods seinen Einfluss ausnutzte, um Frauen zu misshandeln. In der Branche war dies jahrzehntelang ein offenes Geheimnis. Diese Woche hat in Los Angeles ein weiterer Prozess gegen Weinstein begonnen. Der Vorwurf: Zwischen 2004 und 2013 soll er fünf Frauen vergewaltigt, sexuell belästigt und zu Oralsex gezwungen haben. Ihm drohen 140 Jahre Haft.

Zweiter Prozess gegen Harvey Weinstein gestartet
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Wegen Missbrauch angeklagt:Zweiter Prozess gegen Harvey Weinstein gestartet

Stand des Verfahrens: Einmal verurteilt, ein weiteres Verfahren läuft.

Seine Missetaten entfachten die Debatte: Harvey Weinstein.
Foto: Getty Images

Kevin Spacey (63): Fall eines ganz Grossen

Kevin Spacey gehörte zu den ganz Grossen in Hollywood. Bis er 2017 fiel – und er fiel tief. Regisseure, sein Management und Netflix brachen mit ihm. Auslöser war jener Fall, in dem ihn ein Gericht nun vergangene Woche freigesprochen hat: Der Schauspieler Anthony Rapp (50) hatte Spacey beschuldigt, ihn 1986 sexuell belästigt zu haben. Als 14-Jähriger. Spacey habe ihm bei einer Party an den Hintern gefasst, ihn auf sein Bett gehoben und sich auf ihn gelegt. Nach Rapps Gang an die Öffentlichkeit meldete sich fast täglich ein neues mutmassliches Opfer zu Wort. Spacey handelte: Er outete sich als homosexuell, entschuldigte sich öffentlich bei Rapp – was er wieder zurückgenommen hat. Nächstes Jahr steht Spacey in Grossbritannien wieder vor Gericht. Neben vier Fällen wegen sexueller Belästigung geht es um Vergewaltigung. Er streitet alles ab.

Keine Strafe für Kevin Spacey
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Wegen sexueller Belästigung:Keine Strafe für Kevin Spacey

Stand des Verfahrens: Einmal freigesprochen, ein weiteres Verfahren läuft.

Kevin Spacey wurde gerade frei gesprochen.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire

Jeffrey Epstein (1953–2019): Er betrieb einen Sexring

Lange kam er davon. Bereits 1996 und 1997 erstatteten Minderjährige wegen sexuellen Missbrauchs Anzeige gegen den US-Investmentbanker – ohne Erfolg. Obwohl sich 2005 wieder über 50 mutmassliche Opfer bei der Polizei meldeten, wurde Epstein bereits nach 13 Monaten Haft entlassen. Die Vorwürfe rissen nicht ab, 2019 wurde er erneut festgenommen. Epstein soll einen Sexring unterhalten und minderjährige Mädchen zum Sex mit sich und anderen mächtigen Männern gezwungen haben. Zum Prozess kam es nicht: Er, der sich früher mit Freunden wie Donald Trump (76), Bill Clinton (76) und Prinz Andrew (62) umgeben hatte, erhängte sich einsam und alleine in seiner Zelle. Seine Komplizin und Lebenspartnerin Ghislaine Maxwell (60) wurde im Dezember 2021 schuldig gesprochen und zu 20 Jahren Haft verurteilt.

Stand des Verfahrens: Zweimal Freispruch, ein Verfahren aufgrund seines Suizids nicht gesprochen.

Jeffrey Epstein konnte nicht verurteilt werden. Links die Komplizin: Ghislaine Maxwell.
Foto: AFP

R. Kelly (55): Er missbrauchte Minderjährige

2021 der erste Schlag: Der Sänger und Musikproduzent R. Kelly wurde in New York verurteilt wegen sexueller Ausbeutung von Minderjährigen und Zwangsarbeit. Das Strafmass: 30 Jahre Gefängnis. Kürzlich legte in Chicago eine weitere Jury nach – wegen ähnlicher Klagepunkte. Weitere Gerichtsverhandlungen stehen an. Zuvor passierte lange nichts. Bereits 1994 kam heraus, dass R. Kelly die R’n’B-Sängerin Aaliyah (1979–2001) in einer illegalen Zeremonie heiratete. Sie war 15, er 27. 2002 tauchte ein Video auf, in dem Kelly mutmasslich auf eine 13-Jährige uriniert – dies blieb folgenlos. Das änderte sich ab 2017, als drei Familien an die Öffentlichkeit gingen, weil ihre Töchter seit Jahren bei dem Schauspieler lebten und sie nicht mehr an sie rankamen. Und mit der Aufsehen erregende Dokuserie «Surviving R. Kelly», die 2019 lief.

Stand des Verfahrens: Zweimal verurteilt, weitere Verfahren am Laufen.

2021 erhielt R. Kelly sein erstes Urteil. Weitere Verhandlungen stehen an.
Foto: keystone-sda.ch

Bill Cosby (85): Vom Vorzeigevater zum Vergewaltiger

Er ist verurteilt, sieht sich aber weiterhin als unschuldig. Bill Cosby gilt als erster verurteilter Sexualstraftäter der #MeToo-Ära. Der US-Schauspieler wurde als Familienvater in der Sitcom «Die Bill Cosby Show» bekannt. Mehr als 60 Frauen hatten ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Doch im Prozess 2018 ging es nur um einen einzigen Fall aus dem Jahr 2004, da die meisten Vorwürfe verjährt waren. Kurz darauf kam Cosby wieder aus dem Gefängnis. Verfahrensfehler. Der Schauspieler: «Ich habe immer meine Unschuld beteuert.» Nun wurde er im Juni wegen sexuellen Missbrauchs schuldig gesprochen. Die 64-jährige Klägerin – damals 16 Jahre alt – erhielt eine halbe Million Dollar Schadenersatz. Cosbys Anwälte wollen Berufung einlegen. Weitere Zivilprozesse könnten folgen. Sein Ruf ist dahin. Auszeichnungen wurden aberkannt, die Oscar-Akademie schloss ihn aus.

Stand des Verfahrens: Einmal verurteilt, Berufung eingelegt.

Bill Cosby wurde kürzlich verurteilt – und will Berufung einlegen.
Foto: AFP

Johnny Depp (56): Verlierer in einem realen TV-Drama

Es ist die Geschichte eines Dramas mit zwei Verlierern. Die Ehe von Johnny Depp und Schauspielerin Amber Heard (36) hielt 15 Monate. Nach der Scheidung 2016 reichte Heard eine Klage wegen häuslicher Gewalt gegen Depp ein – und liess sie wieder fallen. Zwei Jahre später äusserte sie sich in einem Zeitungsartikel erneut dazu. Dies habe seine Karriere ruiniert und seinem Ruf geschädigt, fand Depp und reichte eine Verleumdungsklage ein. Im Mai 2022 fand nun der Prozess statt. Depps Fans feierten ihn und hetzten im Netz gegen Heard. Die Schauspielerin gab zu, Depp ebenfalls geschlagen zu haben, um sich zu verteidigen. Im Juli sprachen die Geschworenen beide Parteien schuldig. Sie verurteilten Heard zur Zahlung von mehr als zehn Millionen Dollar und Depp zu zwei Millionen Dollar Schadenersatz. Im Oktober legte Heard Berufung ein.

Stand des Verfahrens: Beide verurteilt, Berufung eingelegt.

Amber Heard und Johnny Depp im Mai 2022 vor Gericht.
Foto: keystone-sda.ch

Luke Mockridge (33): Auslöser einer deutschen #MeToo-Debatte

Luke Mockridge ist ein bekannter Comedian in Deutschland. Und seit 2021 Teil von #MeToo. Damals schilderte seine Ex-Freundin Ines Anioli (36) in ihrem Podcast eine Situation mit einem Mann, bei der es fast zu einer Vergewaltigung gekommen wäre. Sie hatte ihn angezeigt, das Verfahren wurde wegen mangelnder Beweise eingestellt. Auch wenn sie seinen Namen im Podcast nicht nannte, war klar: Der Mann war Mockridge. Der «Spiegel» nahm die Vorwürfe auf, zehn weitere Frauen berichteten, Mockridge sei ihnen gegenüber übergriffig geworden – dieser bestreitet alle Vorwürfe bis heute. Die Debatte nahm durch den Hashtag #Konsequenzenfuerluke an Fahrt auf. Aktivistinnen protestieren auf seiner Tour im Frühling, auf der er in seinem Programm Witze über die Vorwürfe machte. Anfang 2023 soll Mockridge auf Sat.1 wiederzusehen sein.

Stand des Verfahrens: Wurde eingestellt.

Luke Mockridge bestreitet die Vorwürfe gegen ihn.
Foto: IMAGO/Panama Pictures

Darius Rochebin (55): War in der Schweiz im Fokus

Er war das Aushängeschild des Westschweizer Fernsehen RTS, interviewte als «Tagesschau»-Moderator Wladimir Putin (70) und Emmanuel Macron (44): Darius Rochebin. 2020 erhob die Zeitung «Le Temps» schwere Vorwürfe: Rochebin soll Angestellte gemobbt sowie verbal und physisch sexuell belästigt haben. Männer und Frauen berichteten von unangebrachten Fragen und unerwünschten Kussversuchen. Rochebin wies die Vorwürfe zurück. Die SRG liess die Sache von unabhängiger Stelle untersuchen, kam zum Schluss: Es gab keine sexuelle Belästigung oder Mobbing. Kritiker monierten: Die Sachverständigen hätten viele der Betroffenen im Artikel nicht befragt. Fest steht: Rochebin läuft es beruflich wieder gut. Schon vor den Vorwürfen wechselte er zum französischen Fernsehen. Nach einer kurzen Suspendierung moderiert er nun beim Sender LCI bald drei Abendsendungen zur besten Sendezeit.

Verfahrensstand: Kein Verfahren.

Früher war er «Tagesschau»-Moderator beim Westschweizer Fernsehen: Darius Rochebin.
Foto: RTS/CHRISTIN Philippe

Die Tanzbranche ist anfällig

Bei #MeToo stehen immer wieder auch Institutionen im Fokus. Das zeigt ein Blick in die Schweiz. In die Tanzbranche. Dort, wo der Körper das Hauptarbeitsmittel ist. Und die Arbeit zwischen Schülerinnen und Lehrern oft über körperliche Nähe ausgeführt wird. Gerade machte die «NZZ am Sonntag» Vorwürfe von der Ballettschule Theater Basel publik: 33 Schülerinnen und Schüler berichteten von psychischem und physischem Missbrauch sowie Sexismus. Eine Schülerin sagte: Männliche Lehrpersonen «machten unangebrachte Kommentare zu unseren weiblichen Rundungen und fassten uns an, ohne zu fragen». Ähnlich tönte es von der Ballettkompanie am Stadttheater Bern. Der Probenleiter soll mutmasslich Sätze geäussert haben wie: «Ich möchte dich heute wirklich anfassen.» Er wurde kürzlich entlassen. 2021 wurden beim Béjart Ballet Lausanne VD, der Compagnie Interface in Sion VS und der Genfer Tanztruppe Alias ähnliche Fälle publik.

Stand der Verfahren (soweit bekannt): Gegen den Gründer der Tanzgruppe läuft ein Verfahren, ein Choreograf von Alias wurde verurteilt, die Basler Ballettschul-Direktorin wurde am Dienstag freigestellt.

Das Béjar Ballet Lausanne stand 2021 in der Kritik.
Foto: keystone-sda.ch
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