Mysteriöser Todesfall auf Zürcher Polizeiwache
«Ich will wissen, warum mein Mann sterben musste»

Weil sie Angst um Markus* (35) hatte, rief Esther* (36) die Polizei. Wenige Stunden später lag ihr Mann tot in einer Zelle der Wache Zürich Wiedikon. Was geschah dazwischen?
Publiziert: 03.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:06 Uhr
Roland Gamp

Russland, Finnland, Sri Lanka: Esther (36) und Markus (35) reisten gemeinsam durch die Welt. In Paris hängten sie ein Schloss mit ihren Namen ans Brückengeländer – als Symbol ihrer Liebe. Vor einem Monat wurde das junge Glück zerstört. Markus starb nach einem Polizeieinsatz in Altstetten ZH. Woran? «Das weiss ich bis heute nicht», sagt Esther.

Ende Mai: Die Studentin und der Marketingfachmann haben ein aufreibendes Wochenende hinter sich.  Markus ist psychisch angeschlagen, bekommt immer wieder manische Schübe. «Er war euphorisch und aufgedreht», erinnert sie sich.

Auch Medikamente beruhigen ihn nicht. «In der Nacht auf Montag wollte er plötzlich Zigaretten kaufen», sagt Esther. Markus verlässt die Wohnung. Als er nach 20 Minuten nicht zurückkehrt, macht sich Esther auf die Suche und findet ihn an einem Dönerstand. «Er sah, dass noch jemand im Laden ist und wollte rein, obwohl die Tür geschlossen war.»

Markus und Esther waren unzertrennlich. Nach seinem Tod fordert sie: «Er darf nicht umsonst gestorben sein.»
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Sie habe sich Sorgen gemacht, dass er in der Manie die Glastüre eintrete, sich verletze. «Ich rief den psychiatrischen Notfalldienst. Aber der wollte nur ausrücken, wenn sich Markus in seiner eigenen Wohnung aufhält.» Also wählt sie die Nummer der Polizei. Drei Beamte fahren vor. Sie nehmen Esther zur Seite, wollen alleine mit ihr sprechen. Wohl um zu klären, ob ihr Mann sie bedroht oder verletzt hat. «Ich sagte ihnen mehrmals, dass er so etwas nie tun würde. Und dass er im Moment nicht er selbst sei – wegen der Krankheit und der Medikamente.»

Markus will nicht, dass die Polizei ihn von seiner Liebsten trennt. Er braust auf, tritt nach einem Beamten. Die Polizisten rufen Verstärkung. Esther: «Am Schluss waren sie mindestens zu siebt.» Markus wehrt sich, bekommt eine Ladung Pfefferspray ab. «Es war schrecklich. Seine Augen tränten, er hatte Schaum um den Mund.» Zwei Beamte hätten ihn zu Boden gedrückt. «Er schrie so, dass es mir weh tat. Ich habe gefleht, sie sollen aufhören!»

Markus wird gefesselt, die Beamten führen ihn zum Kastenwagen. «Einer sagte mir, ich müsse mir keine Sorgen machen. Er sei jetzt in guten Händen», so Esther. «Wenn ich daran zurückdenke, zerreisst es mir fast das Herz.»

Die Polizei bringt Markus auf den Posten in Wiedikon. Was geschieht dann? In einer Meldung schreibt die Polizei am nächsten Tag: «Nachdem die Polizisten medizinische Hilfe aufgeboten hatten, kehrten sie nach wenigen Minuten zum 35-jährigen Schweizer in die Zelle zurück.» Die Beamten hätten sofort bemerkt, dass der Mann nicht mehr richtig atmete. «Sie leiteten umgehend Reanimationsmassnahmen ein. Kurze Zeit später traf der Arzt ein und übernahm die medizinischen Sofortmassnahmen. Leider verstarb der Mann vor Ort.»

Warum Markus in Polizeigewahrsam umkam, ist bis heute unklar.

Für seine Frau waren die letzten Wochen eine Tortur. «Ich konnte kaum trauern, weil ich so viel erledigen musste.» Die junge Frau kämpft für Witwenrente oder Opferhilfe – beides erhielt sie bisher nicht. Stattdessen eine Rechnung über 1650 Franken für ärztliche Behandlung ihres Mannes. «Dass die Stadt jetzt auch noch Geld für diesen Einsatz will, macht mich wütend», sagt die Studentin. Man wisse noch nicht einmal, woran Markus verstorben ist. «Er hatte psychische Probleme. Aber körperlich war er völlig gesund.»

Ist es möglich, dass der Pfefferspray fatale Folgen hatte? «Es gibt Berichte zu Todesfällen nach Pfefferspray», sagt Professor Dr. Stefan Tönnes (50), Präsident der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie und Professor für Rechtsmedizin an der Universität Frankfurt (D). Das Justizministerium der USA registrierte im Jahr 2003 zahlreiche Todesfälle nach dem Einsatz von Pfefferspray, in Deutschland starben 2009 drei Menschen. Alle standen unter Drogeneinfluss oder hatten Psychopharmaka genommen – so wie Markus.

In Zürich ist Pfefferspray aber unumstritten. Wenige Tage vor Markus’ Tod beantwortete der Stadtrat eine Anfrage zum Thema. «Positiv ist aus Sicht der Stadtpolizei der Umstand, dass keine bleibenden körperlichen Schäden entstehen, sondern lediglich ein vorübergehendes Brennen auf der Haut und im Gesicht», heisst es in dem Papier.

Auch einen Monat nach dem Tod von Markus gibt es noch keinen Obduktionsbericht. «Gestützt auf einen Zwischenbericht liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor, dass der Pfefferspray todesursächlich gewesen ist», sagt Corinne Bouvard von der Zürcher Staatsanwaltschaft. Der Todesfall werde weiter untersucht. «Ein Strafverfahren gegen die Polizisten wurde aber nicht eröffnet.»

Die Stadtpolizei habe den Einsatz intern untersucht, sagt Sprecher Marco Cortesi (60): «Nach intensiven Abklärungen und Gesprächen mit allen Beteiligten kamen wir zum Schluss, dass die Mitarbeiter korrekt und angemessen gehandelt haben.»

Es gebe daher keinen Anlass, die Praxis zu ändern. «Die Beamten wissen, wie sie mit psychisch labilen Personen umgehen müssen, darin werden sie laufend geschult.» Auf Pfefferspray könne und wolle man nicht verzichten, «weil es ein sehr wichtiges Einsatzmittel zur sicheren Bewältigung von bestimmten Konfliktsituationen ist.»

Auch Esther fordert kein grundsätzliches Verbot. «Das bringt meinen Mann nicht mehr zurück», sagt sie unter Tränen. Wichtig sei, dass die Stadt Konsequenzen ziehe. «Die Polizisten müssen besser geschult sein und genau wissen, was ein Pfefferspray auslösen kann. Wenn jemand Medikamente genommen hat, sollten sie ihn nicht anwenden.» Zudem müsse bei jedem Einsatz sofort ein Arzt alarmiert werden, der im Notfall helfen könnte.

Polizisten besuchten Esther wenige Stunden nach dem verheerenden Zwischenfall, um ihr die traurige Nachricht zu überbringen. «Sie konnten mir nicht sagen, warum er gestorben ist. Bis heute hat mir niemand gesagt, was genau passiert ist. Das will ich endlich wissen.»

Sie vermisst ihren Mann jeden Tag. Und hofft, dass andere diesen Schmerz nicht erleben müssen. «Ein solcher Fall darf nie mehr vorkommen. Mein Mann darf nicht umsonst gestorben sein.»

*Namen geändert

Wie gefährlich ist Pefferspray?

Das Mittel basiert auf dem Wirkstoff «Capsaicin» aus der Chili-Schote. Es lässt die Schleimhäute der Augen anschwellen, löst Juck- und Hustenreiz aus. Bei Asthmatikern kann Pfefferspray Atemnot verursachen, bei Personen mit hohem Blutdruck Kreislaufbeschwerden. Zudem vermuten Forscher, dass Capsaicin in Kombination mit Drogen und Psychopharmaka eine tödliche Wechselwirkung entfalten kann.

Das Mittel basiert auf dem Wirkstoff «Capsaicin» aus der Chili-Schote. Es lässt die Schleimhäute der Augen anschwellen, löst Juck- und Hustenreiz aus. Bei Asthmatikern kann Pfefferspray Atemnot verursachen, bei Personen mit hohem Blutdruck Kreislaufbeschwerden. Zudem vermuten Forscher, dass Capsaicin in Kombination mit Drogen und Psychopharmaka eine tödliche Wechselwirkung entfalten kann.

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