Muslimische Politologin Elham Manea (50)
«Man muss die An’Nur-Moschee sofort schliessen»

Elham Manea (50), muslimische Politologin, verlangt ein härteres Vorgehen von Politik und Behörden gegen Islamisten, wie auch das Verbot der Koran-Aktion «Lies!».
Publiziert: 20.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2018 um 12:00 Uhr
Roland Gamp und Katia Murmann

SonntagsBlick: Frau Manea, in dieser Woche hat Deutschland die Koran-Verteil­aktion «Lies!» verboten. Sollte die Schweiz das nicht auch tun?
Elham Manea:
Ja, es ist langsam an der Zeit. In Deutschland gab es offenbar gute Gründe dafür. In der Schweiz wird das nicht anders sein. Diese Leute verteilen nicht einfach den Koran – sie verbreiten eine politische Ideologie, die allen demokratischen Werten widerspricht und Gewalt verherrlicht.

Laut Bundesanwaltschaft kann man einen Verein nicht einfach so verbieten.
Die Schweizer Behörden wollen alles sorgfältig und korrekt machen – das ist gut so. Auch ich finde Verbote in einem Rechtsstaat heikel. Aber hier gibt es den Verdacht, dass die Gruppe junge Menschen rekrutiert und in den Tod schickt. Wenn sich das bestätigt, braucht es sofort ein Verbot. Schliesslich schaden diese Leute auch allen anderen Muslimen in der Schweiz.

Wie schadet «Lies!» den Schweizer Muslimen?
Von aussen werden wir als eine grosse Gruppe wahrgenommen. Wenn ein paar radikale Muslime so negativ auffallen, wirft das ein schlechtes Licht auf uns alle. Ich kenne viele Jugendliche, die bewusst nicht sagen, dass sie Muslime sind. Sie wollen lieber als Menschen wie alle anderen wahrgenommen werden – ohne Vorurteile.

«Die Zeit ist gekommen, dass wir uns öffnen – mit Liebe und Respekt. Und den Fundamentalisten so den Nährboden für ihre Ideologie nehmen» Elham Manea
Foto: Hannes Schmid

Besonders negativ fällt die Winterthurer An’Nur-Moschee auf.
Diese Moschee muss man sofort schliessen. Es ist offensichtlich, dass dort grosser Schaden angerichtet wird. Fast alle jugendlichen Schweizer, die sich dem IS anschlossen, wurden dort radikalisiert und vergeuden jetzt ihr Leben. Hier müssen wir Verantwortung übernehmen und sagen: Stopp!

Ein An’Nur-Prediger rief zum Mord auf. Ist das ein Einzelfall?
Ich glaube nicht, dass er alleine ist. Es gibt in der Schweiz mehrere Moscheen, die eine fundamentalistische Auslegung des Islam verbreiten. Und in letzter Zeit gibt es eine Tendenz der Radikalisierung.

Tut die Schweiz da zu wenig?
Unsere Situation ist nicht so schlimm wie in England oder Frankreich. Trotzdem braucht es jetzt einen konkreten Plan. Diese Entwicklung ist nicht neu. Aber bis heute bin ich nicht sicher, wie die Strategie der Schweiz aussieht.

Was genau fordern Sie?
Wir brauchen ein Gesetz, das die ausländische Finanzierung von Schweizer Moscheen verbietet. Es soll nur Moscheen geben, die sich selber finanzieren. Zudem sollten Imame in der Schweiz eine Ausbildung absolvieren müssen. Und auch später muss man genau überprüfen, wer was predigt. Zudem wäre ein Imam-Register sinnvoll, um bessere Kontrolle zu haben.

Wie reagieren die Politiker?
Für sie haben diese Massnahmen leider keine Priorität – sonst hätten sie schon lange reagiert. Dabei sollte man nicht länger warten. Sonst gelangen wir irgendwann an den Punkt, wo wir uns fragen müssen: Wie konnte es so weit kommen? Das neue Nachrichtendienstgesetz ist wichtig, weil man damit endlich genauer hinschauen kann. Aber das alleine reicht nicht.

Welche Massnahmen braucht es neben neuen Gesetzen?
Wichtig wäre vor allem mehr Unterstützung in der Schule. Ich spreche oft mit Lehrern oder Sozial­arbeitern, die am Ende ihrer Kräfte sind. Weil sie nicht wissen, wie sie mit gewissen Situationen umgehen. Was bedeutet es, wenn mir ein Kind den Handschlag verweigert? Gehört das einfach zu seiner Kultur? Oder ist das radikales Gedankengut, das ich verbieten muss?

Wie beurteilen Sie diesen Fall?
Den Handschlag zu verweigern ist ganz klar Teil einer fundamentalistischen Weltanschauung. Die Lehrerin ist eine Frau, kein sexuelles Objekt. Viele sagten nach jenem Vorfall, dass es doch nur um einen Handschlag gehe, das sei nicht so schlimm. Aber es geht hier um Werte, die wir als Gesellschaft über Jahrhunderte errungen haben. Diese sind nicht verhandelbar.

Dann müssten die Muslime ihre Werte anpassen. Lässt sich der Islam denn reformieren?
Es gibt die konservative Seite meiner Religion, die das vielleicht nicht so sieht. Ich sehe aber auch, dass wir in einer Phase sind, in der Änderungen möglich sind. In der wir über unsere Religion sprechen können. Man muss einfach den Mut haben zu sagen: Die Zeit ist gekommen, dass wir uns öffnen – mit Liebe und Respekt. Und den Fundamentalisten so den Nährboden für ihre Ideologie nehmen.

Zählen Sie den Islamische Zentralrat (IZRS) zu diesen Fundamentalisten?
Ja. Er vertritt einen salafistischen, konservativen Islam.

Und behauptet trotzdem, für alle Muslime in der Schweiz zu sprechen.
Diese Aussage ist falsch. Der IZRS ist von allen muslimischen Gruppierungen in der Schweiz einfach am lautesten und provokativsten. Zum Beispiel Frau Illi, die mit einem Nikab im deutschen Fernsehen auftrat. Sie hat eine fundamentalistische Lesart des Korans übernommen, weil ihr das offenbar Sicherheit und Halt gibt. Mir ist egal, was sie aus ihrem Leben macht. Aber es stört mich, dass sie das im Namen aller Schweizer Muslime tut.

Wer vertritt denn die Muslime in der Schweiz?
Niemand. Wie gesagt werden wir Muslime meist als eine grosse Gruppe wahrgenommen. Dabei ist die Pluralität unter uns enorm gross. Es gibt konservative, fundamentalistische Muslime. Aber natürlich auch liberale und moderate. Oder säkuläre, die sich gar nicht gross mit Religion befassen. All diese verschiedenen Richtungen kann keine einzelne Organisation vertreten. Möglich wäre stattdessen ein Rat, in dem alle Strömungen eine Stimme haben.

Würden Sie dem IZRS in diesem Rat einen Platz anbieten?
Bei allem Respekt: Nein. Der Zentralrat sagt immer wieder, man sei moderat, würde sich gegen Extremismus einsetzen. Und dann tauchen ständig neue Islamisten auf, die Verbindungen zum IZRS haben. Dieser spielt bewusst mit der Radikalisierung, geht immer bis an die Grenzen des Gesetzes. Langsam bin ich so weit zu sagen: Jetzt ist es genug, man sollte das verbieten!

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