Gutachter sehen N. als therapierbar
Trotzdem kann der Täter verwahrt werden

Der Prozess gegen den Vierfach-Killer Thomas N. (34) ging gestern in die zweite Runde. Nach den psychiatrischen Gutachten am Dienstag hielten die Anwälte ihre Plädoyers. Staatsanwältin Barbara Loppacher fordert eine lebenslange Haftstrafe plus lebenslange Verwahrung. Und zwar mit einer cleveren Argumentation. BLICK erklärt.
Publiziert: 15.03.2018 um 14:34 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:00 Uhr
Lea Hartmann

Eine lebenslange Verwahrung? Ausgeschlossen. Das schien am Dienstag klar, nachdem die beiden Psychiater Elmar Habermeyer und Josef Sachs ihre Gutachten vorgestellt hatten. Sie beide wollten den Täter explizit nicht als dauerhaft untherapierbar bezeichnen. Für die härteste aller Massnahmen im Schweizer Strafgesetz ist dies jedoch Voraussetzung. 

Trotzdem forderte Staatsanwältin Barbara Loppacher (43) heute in ihrem Plädoyer eine Verwahrung für den Rupperswiler Vierfach-Killer Thomas N.* (34) – ein Leben lang. Die Anklägerin, seit 2012 leitende Staatsanwältin der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau, glaubt, ein juristisches Hintertürchen gefunden zu haben, um die Massnahme doch noch durchzubringen.

Delikte werden getrennt betrachtet

Ihre Argumentation, die sie äusserst systematisch vorgetragen hat, ist komplex – aber clever. Zentral dabei ist, dass sie die Tat in ihre einzelnen Bestandteile zerpflückt und diese voneinander getrennt beurteilt. Als Erstes der sexuelle Missbrauch von Davin Schauer (†13): Dieser sei, das sei vollkommen nachvollziehbar, auf die Pädophilie des Täters zurückzuführen. Ein Zusammenhang zwischen der Tat und der psychischen Erkrankung des Täters ist damit gegeben – die Bedingung dafür, dass gegen einen Täter eine stationäre oder ambulante Massnahme, also eine Therapie, verhängt werden kann. 

Wurden in ihrem eigenen Haus ermordet: Carla Schauer (Mitte, †48) mit ihren beiden Söhnen Davin (l., †13) und Dion (r., †19).
Foto: ZVG
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Bei der räuberischen Erpressung sei der Zusammenhang indes schon weniger klar vorhanden, sagt Loppacher in ihrem Plädoyer. Die Tat ist laut den Gutachtern mit der diagnostizierten Persönlichkeitsstörung von Thomas N. verknüpfbar. Die beiden Gutachter seien sich aber nicht einig, was für eine Störung N. genau habe. Und der Gefängnispsychiater sei sich gar nicht einmal sicher, ob überhaupt eine Störung vorliege, räumt Loppacher ein.

Klar sei die Sache dann aber beim vierfachen Mord. Sachs sei zum Schluss gekommen, dass die Tötungen nicht direkt auf eine psychische Störung des Täters zurückgeführt werden könnten. Habermeyer habe bei dieser Frage «herumgedruckst». Daraus schliesst die Staatsanwaltschaft: Die schlimmste aller Taten, die N. verübt hat, nämlich der vierfache Mord, lässt sich nicht durch eine psychische Erkrankung des Täters erklären. Das bedeute in der Folge, dass auch kein «Behandlungsbedürfnis» bestehe. Und der Täter dann konsequenterweise auch gar nicht therapierbar sein könne – schliesslich gibt es aus dieser Sicht nichts Tatrelevantes zu therapieren.

Grosses Gefährdungspotenzial

Ein weiteres Argument, das Loppacher anbringt, betrifft die Minimaldauer einer stationären Massnahme. Sie beträgt fünf Jahre. Aus dem Gesetzesartikel könne man schliessen, führt Loppacher aus, dass auch ein Therapieerfolg in diesem Zeitraum theoretisch möglich sein müsse. Das gelte auch bei einer ambulanten Massnahme. Die Gutachter aber sprechen von frühestens zehn Jahren, nach denen erste Fortschritte eintreten könnten.

Das alles spricht aus Sicht der Staatanwaltschaft gegen eine stationäre wie ambulante Massnahme und damit für eine Verwahrung. Den Täter nach Absitzen seiner Strafe einfach freizulassen, das kommt für die Staatsanwaltschaft nicht in Frage. Die Rückfallgefahr bei N. sei sehr hoch, sein Gefährdungspotenzial konnten die Psychiater aufgrund der Einzigartigkeit der Tat nicht wirklich abschätzen. Darum die Notwendigkeit einer lebenslänglichen Verwahrung, oder im Zweifel – das räumt Loppacher bereits ein – auch eine ordentliche.

Bundesgericht wird Verwahrung kippen

Stellt sich die Frage: Kann Richter Daniel Aeschbach (47) überhaupt auf die Forderung der Staatsanwaltschaft eingehen – und sich damit gegen die Empfehlungen der Gutachter stellen? Im Gesetz ist festgelegt, dass das Gericht sein Urteil gestützt auf die Gutachten treffen muss. Was das konkret bedeutet, bleibt offen. Die Rechtssprechung des Bundesgerichts hat aber gezeigt, dass es die Aussagen der Gutachter sehr genau nimmt. Sollte sich Aeschbach also über die Beurteilung der Gutachter hinwegsetzen und trotzdem die lebenslange Verwahrung anordnen, wird das wohl spätestens vom Bundesgericht gekippt. 

Stefan Meichssner, Anwalt des Vaters von Dion und Davin, rief den Richter in seinem Plädoyer dazu auf: «Nehmen Sie den Ball der Staatsanwaltschaft auf! Es ist ein interessanter Ansatz.» Vielleicht führe er ja dazu, dass auch das Bundesgericht seine Ansichten noch einmal überdenke. 

* Name der Redaktion bekannt
Die Chronologie der Ereignisse
  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

  • 21. Dezember 2015: Der Vierfachmord von Rupperswil AG erschüttert die Schweiz.
     
  • 24. Dezember 2015: Die Polizei fahndet nach dem Vierfachmörder – unter anderem mit Flugblättern.
     
  • Januar 2016: Für die vier Opfer finden die Trauerfeiern statt.
     
  • 18. Februar 2016: Die Behörden setzen an einer Medienkonferenz eine Belohnung von 100'000 Franken für den entscheidenden Hinweis aus.
     
  • April 2016: Der Fall wird als Beitrag für ZDF-Sendung «Aktenzeichen XY...ungelöst» geplant.
     
  • 12. Mai 2016: Thomas N.* wird im Starbucks in Aarau verhaftet.
     
  • 13. Mai 2016: Die Behörden informieren mit einer Pressekonferenz über die Verhaftung.
     
  • 16. Mai 2016: Es wird bekannt, dass Renate Senn die Pflichtverteidigerin von Thomas N. wird.
     
  • Später: Thomas N. sitzt in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg AG in Haft und wird für mehrere 10'000 Franken pro Monat rund um die Uhr überwacht – wegen Suizidgefahr!
     
  • Februar 2017: Thomas N. wird versetzt. Er kommt in die Justizvollzugsanstalt Pöschwies nach Regensdorf ZH.
     
  • 11. Mai 2017: Die Gutachten der beiden unabhängigen Gutachter liegen vor. Diese braucht es, damit das Gericht eine allfällige lebenslange Verwahrung anordnen könnte.
     
  • 7. September 2017: Die Aargauer Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Vierfach-Killer.
     
  • 13. März 2018: Der Prozess gegen Thomas N. beginnt. Er ist für vier Tage anberaumt.
     
  • 16. März 2018: Das Urteil gegen Thomas N. soll verkündet werden.

*Name der Redaktion bekannt

Mehr
Das ist bekannt, das ist unklar

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?

Das ist im Fall bekannt: 

  • Zu Hause bei Thomas N. wurde ein Rucksack mit Fesselutensilien und einer Pistole gefunden.
  • Er hatte bereits die nächste Tat geplant. Der pure Zufall soll weitere Morde verhindert haben.
  • Auf elektronischen Geräten entdeckten die Ermittler umfangreiches kinderpornografisches Material.
  • Das Küchenmesser, mit dem er die Morde begangen hat, soll er nach den Taten in einem öffentlichen Abfalleimer in Aarau entsorgt haben – eingewickelt in Geschenkpapier. Es wurde bis heute nicht gefunden.
  • Die Anklage gegen Thomas N. umfasst zahlreiche Vergehen: mehrfacher Mord, mehrfache räuberische Erpressung, mehrfache Freiheitsberaubung, mehrfache Geiselnahme, mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind, mehrfache sexuelle Nötigung, Brandstiftung, mehrfache Pornografie, mehrfache Urkundenfälschung – und mehrfache strafbare Vorbereitungshandlungen.

Das ist noch unklar:

  • Wie kamen die Ermittler Thomas N. auf die Schliche?
  • Wurden im Tathaus Haare der beiden Huskies von Thomas N. gefunden?
  • Warum ging N. am Tatmorgen erst ins Haus, nachdem der Lebenspartner von Carla Schauer das Haus verlassen hatte und zur Arbeit ging?
  • Weshalb hatte er ausgerechnet Familie Schauer bzw. Sohn Davin ins Visier genommen? Welche Rolle spielt der Fussballverein?
  • Hat er im Gefängnis einen Suizidversuch hinter sich, wie lebt er hinter Gittern?
  • Bereut der Killer seine Taten?
Mehr
Der Fall

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

Die Feuerwehrmänner sind die Ersten, die das Grauen zu Gesicht bekommen. Vier verkohlte Leichen. Es handelt sich um Carla Schauer (†48), Sohn Davin (†13), Sohn Dion (†19) und seine Freundin Simona (†21). Es ist der 21. Dezember 2015, ein Montag. Der Tag geht in die Schweizer Kriminalgeschichte ein. Der Mörder ist Thomas Nick (heute 35). Schweizer, Junggeselle, unscheinbar. Er wohnte 500 Meter vom Tatort entfernt. Mit einer List schlich er sich ins Haus. Während er die übrigen Fami­lienmitglieder gefangen hält und bedroht, liess er Carla Schauer Bargeld besorgen. Dabei plante er die Tötung aller Anwesenden von Anfang an. Den jüngeren Sohn missbraucht er. Alle waren gefesselt und geknebelt worden, bevor er ihnen die Kehle durchschnitt. Die Leichen übergoss er mit Brandbeschleuniger und steckte sie in Brand. Rund ein halbes Jahr nach dem Verbrechen wird Nick in einem Café verhaftet. Er legt ein Geständnis ab. Wie man ihm auf die Schliche kam, sagt die ­Polizei nicht. Technische Mittel spielten eine Rolle, die Fahnder werteten Daten von 30000 Handynutzern aus. – Nick hatte wohl weitere Taten geplant.

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