«Die Kündigungen sind ein No-Go»
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Mieterverbands-Vize Töngi:«Die Kündigungen sind ein No-Go»

Mietrechtsexpertin zum Fall Windisch
«Die Mieter haben gute Chancen, die Kündigung anzufechten»

In der Aargauer Gemeinde Windisch müssen 49 Mieter raus, weil der Eigentümer seine Liegenschaften dem Kanton für eine Asylunterkunft zur Verfügung stellen muss. Wer die Kündigung anficht, hat aber gute Chancen, sagt eine Mietrechtsexpertin.
Publiziert: 28.02.2023 um 19:51 Uhr
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Aktualisiert: 28.02.2023 um 20:06 Uhr
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Fabian BabicRedaktor News

Diese Kündigung schlägt hohe Wellen: 49 Mieterinnen und Mieter in Windisch AG müssen per Ende Juni ihr Zuhause verlassen. Der Eigentümer der betroffenen Liegenschaften hat dem Kanton Aargau die Gebäude angeboten, um daraus eine Asylunterkunft für rund 100 Menschen zu machen.

Für die dort lebenden Familien ist das ein schwerer Schock. Die Gemeinde zeigte sich entrüstet darüber, dass Menschen «auf die Strasse» gesetzt werden – der Kanton hält sich bedeckt und spricht in einem dürren Statement von einer «regulären Anmietung».

Auch der Mieterverband ist empört: «Aus unserer Sicht ist das ein No-Go, weil man verschiedene Gruppierungen gegeneinander ausspielt, die Probleme auf dem Wohnungsmarkt haben», sagt Verbands-Vize Michael Töngi (55) zu Blick.

Diese Kündigung haben die Mieterinnen und Mieter in Windisch erhalten. Von einer Begründung fehlt jede Spur.
Foto: zVg
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Kündigung ohne Grund ist ungewöhnlich

Von den Asylsuchenden wussten die Mieterinnen und Mieter bei der Kündigung nichts. Der Grund: eine Leerstelle im Kündigungsschreiben. Im Schreiben, das Blick vorliegt, steht unter dem Absatz «Begründung» nichts.

Ist eine solche Kündigung ohne Begründung überhaupt gültig? Rechtsanwältin und Mietrechtsexpertin Désirée von Grünigen (28) hat das Schreiben unter die Lupe genommen: «Aus rechtlicher Sicht darf der Vermieter eine ordentliche Kündigung ohne Begründung verschicken. Aber es ist ungewöhnlich», sagt sie zu Blick. Wenn der Vermieter – in diesem Fall die 1drittel Aleph AG mit Sitz in Wollerau SZ – keinen Grund nennt, schiesse er sich damit womöglich ins eigene Bein. «Wenn es einen triftigen Grund gibt, wird dieser in der Regel im Kündigungsschreiben genannt. Wenn das aber nicht passiert, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine missbräuchliche Kündigung handeln könnte.»

Deshalb rät von Grünigen: «Wer eine missbräuchliche Kündigung befürchtet, sollte diese sofort anfechten.» Dafür hat man 30 Tage Zeit. Man solle auch eine Begründung anfordern. Dabei sei es wichtig, nicht auf die Begründung zu warten, bevor man die Kündigung anficht – die 30-tägige Frist läuft unabhängig davon ab.

Vermieter braucht triftigen Grund

Zudem können die Anwohnerinnen und Anwohner eine Erstreckung, also Aufschub, beantragen. Statt Ende Juni können sie bis zu vier Jahre noch in ihren Wohnungen bleiben, wenn sie glaubhaft darlegen, dass es sich um einen Härtefall handelt. «Bei Familien, die über wenig Einkommen verfügen, stehen die Chancen gut, dass ihnen eine Erstreckung gewährt wird.»

Eine missbräuchliche Kündigung liegt vor, wenn der Vermieter gegen Treu und Glauben verstösst. Das bedeutet, dass die Mieterinnen und Mieter ohne «erkennbares, schützenswertes und objektives Interesse» auf die Strasse gesetzt werden. Reguläre Kündigungsgründe seien etwa dringender Eigenbedarf des Vermieters oder Zahlungsausstände durch die Mieter.

Geld kann auch ein guter Grund sein

Wenn die Betroffenen in Windisch weiterhin im Dunkeln gelassen werden, sieht es für den Vermieter vor Gericht schlecht aus. Die Expertin zu Blick: «Die Mieter haben gute Chancen, die Kündigung erfolgreich anzufechten.»

Wie der Fall Windisch ausgeht, müsse aber ein Gericht beurteilen. So könnte der Vermieter etwa auch ein ökonomisches Interesse geltend machen. Falls er vom Kanton Aargau eine grosse Summe Geld für die Liegenschaft bekomme, könne das durchaus ein Kündigungsgrund sein, der nicht gegen Treu und Glauben verstosse. «Vor Gericht wird aber beurteilt, ob ein krasses Missverhältnis zwischen den Interessen besteht.»

Dabei werden die Interessen des Mieters und Vermieters abgewogen. Von Grünigen: «Falls es sich bei der Mieterpartei um ärmere Grossfamilien oder gebrechliche alte Menschen handelt, denen eine Kündigung nur schwer zumutbar ist, könnte ihr Interesse gegenüber einem ökonomischen Interesse des Vermieters überwiegen.»

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