Hier gucken Verbrecher in die Röhre
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Mit Hightech auf Killerjagd
Hier gucken Verbrecher in die Röhre

Die Wissenschaft hat die Forensik in den letzten Jahren revolutioniert. Neue und genauere Methoden machen das perfekte Verbrechen fast unmöglich. Werden jetzt scheinbar unlösbare Fälle aufgeklärt?
Publiziert: 18.06.2021 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2021 um 10:57 Uhr
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Helena Schmid

Die Stimme ist der neue Fingerabdruck. Ein Tropfen Schweiss die bessere Zeugenaussage. Der virtuelle Tatort zugänglicher als der echte. Laser statt Massband. Roboter statt Rechtsmediziner. Schweizer Ermittler setzen auf Hightech – und entlarven so fast jeden Killer.

Das Rechtsmedizinische Institut an der Universität Zürich ist das Versuchslabor der Schweiz, gar der Welt, was neue Technologien in der Forensik angeht. Wer in Zürich, Schaffhausen oder der Zentralschweiz auf unerklärliche, plötzliche oder gewalttätige Weise stirbt, landet hier. Über 1000 Tote wurden am Institut vergangenes Jahr untersucht.

Leiter Michael Thali (53) empfängt Blick zum Rundgang. Er führt in einen Raum im Keller. An der Decke hängt ein Roboterarm, der Virtobot. Darunter steht ein Computertomograf, also ein Röntgengerät. Dazu ein Scanner, bestehend aus mehreren Kameras, der Virtoscan.

Michael Thali (53) ist Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts an der Universität Zürich.
Foto: Philippe Rossier
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Autopsie der Leiche ohne einen Schnitt

Die Apparate können eine Leiche obduzieren, ohne sie zu beschädigen. Innert Sekunden erstellen sie ein Abbild der Leiche – dreidimensional. Die Aufnahmen geben Aufschluss zur Todesursache. Bei Verbrechen auch auf den Tathergang und die Waffe.

Radiologietechnologe Dominic Gascho erklärt: «Die Spezialkameras am Virtoscan bilden nicht nur die Oberfläche ab, wie man das von gewöhnlichen Fotoapparaten kennt. Wir gehen damit tiefer unter die Haut.» Je nach Kameraeinstellung werden Verletzungen unter der Haut sichtbar, die man von aussen nicht erkennt. Oder Spuren von fremden Körperflüssigkeiten am Körper – besonders wichtig bei Sexualverbrechen. Oder Schmauchspuren, die bei einer Schussabgabe auftreten.

Gascho: «Bei Schussverletzungen finden wir mit dem Computertomografen das Projektil rasch im Körper und können es gewissen Metallen zuordnen – ohne es zu entfernen.» Das Gerät bildet auch kleinste Verletzungen an den Knochen ab. Bei einem Kopfschuss lässt sich so die Richtung und der Winkel bestimmen, aus dem das Projektil abgefeuert wurde.

Der Vorteil an der Virtopsy: Der Körper bleibt intakt und das 3-D-Abbild wiederverwendbar. «Im Verlauf einer Ermittlung kann man den Scan wieder hinzuziehen und erkennt vielleicht neue Hinweise», sagt Thali.

Mit 3-D-Brille zurück an den Tatort

Die Forensiker machen heutzutage nicht nur 3-D-Modelle von Opfern – sondern gleich von ganzen Tatorten. Ein Lasergerät scannt bei der Spurensicherung beispielsweise die Wohnung, in der jemand erschossen wurde. Jedes Möbel wird erfasst, Teppich, jedes Glas, jede Scherbe. Am Computer entsteht so ein virtueller Tatort.

Und diesen kann man seit wenigen Jahren sogar besuchen: Gemeinsam mit dem Forensischen Institut der Kantons- und Stadtpolizei Zürich (FOR) hat die Uni Zürich eine Virtual-Reality-Brille entwickelt. Sie ermöglicht dem Träger, den Tatort noch einmal zu begehen.

Die Brille hilft, Aussagen von Zeugen und Tatbeteiligten zu überprüfen: Hatte der Augenzeuge wirklich freie Sicht auf das Geschehen oder versperrte ihm etwa ein Gegenstand den Weg?

Fingerabdrücke und DNA-Proben müssen die Ermittler am Tatort dennoch sichern. Die landen dann wieder an der Universität Zürich und werden unter anderem im Bereich der Forensischen Genetik untersucht.

DNA vergleichen, nicht entschlüsseln

Das Potenzial dieser Proben ist hoch. Denn DNA hinterlässt ein Mensch überall: Sie ist in jedem Tropfen Speichel oder Schweiss, in jedem Haar und in jeder Hautschuppe zu finden. Aktuell dürfen Rechtsmediziner DNA-Spuren aber lediglich vergleichen – und nicht entschlüsseln.

Das heisst konkret: Die DNA am Tatort gleichen sie mit einer Datenbank ab, in der die DNA von früheren Tätern registriert ist. «Aber nicht jeder, der einmal ein Delikt begangen hat, ist in dieser Datenbank. Nach einer bestimmten Zeit werden die Informationen zu einer Person zudem wieder gelöscht», so Thali.

Eigentlich liessen sich anhand einer DNA-Spur, die Haar-, Augen- und Hautfarbe eines Menschen bestimmen, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit. Ebenso die Herkunft und das Alter. Dieses Vorgehen nennt man Phenotyping. Aktuell ist es in der Schweiz noch verboten.

Bald dürften Forensiker die Methode aber bei bestimmten schweren Delikten anwenden wie Mord oder Vergewaltigung. Eine entsprechende Gesetzesgrundlage wird aktuell ausgearbeitet. «Wir können so zwar nicht auf einen einzelnen Täter schliessen, aber auf einen bestimmten Typ», sagt der Institutsleiter.

Ungeklärte Fälle dank DNA lösen

In zwei ungeklärten Fällen möchten die Ermittler momentan ein Phenotyping durchführen. Einerseits im Mord im Zürcher Seefeld 2010, wo ein Unbekannter eine Psychiaterin in ihrer Praxis erstochen hatte. Die DNA des mutmasslichen Killers fanden die Ermittler 2015 an einem Tatort in Laupen BE, nachdem dort ein Rentnerehepaar getötet worden war. Ebenfalls ungeklärt ist der Fall von Emmen LU, wo 2015 eine junge Frau vom Velo gerissen und vergewaltigt wurde. Sie ist seitdem gelähmt. Auch hier gäbe es eine DNA-Spur.

Ungeklärten Fälle sind in der Schweiz sehr selten. Vergangenes Jahr wurden 253 Tötungsdelikte registriert, versuchte und vollendete. Ende 2020 gelten 96,4 Prozent dieser Fälle als aufgeklärt. Heisst: Die Polizei konnte mindestens eine beschuldigte Person ermitteln. Bei Vergewaltigungen sind es 87,5 Prozent.

So verrät die Stimme einen Täter

Die Universität Zürich arbeitet eng mit dem Forensischen Institut Zürich (FOR) zusammen, das die neuen Methoden im Polizeialltag umsetzt und implementiert. Ein Beispiel ist die sogenannte Phonetik, also die Tätererkennung anhand einer Sprachanalyse.

So untersucht das FOR Drohanrufe, Sprachnachrichten, Videoclips. Die Stimme ist nämlich genauso einzigartig wie ein Fingerabdruck. Das machen sich die Phonetiker zunutze. Sie vergleichen beispielsweise einen Drohanruf mit der Stimme eines Verdächtigen. Der Nachteil hier: «Der Verdächtige muss seine Stimmprobe freiwillig abgeben. Anders als beim Fingerabdruck können ihn die Ermittler nicht zwingen», erklärt Jörg Arnold, wissenschaftlicher Leiter des FOR.

Die Forscher an der Uni Zürich versuchen nun, eine Stimme anhand des Rachenraums einer Person zu rekonstruieren. «Das ist aber noch Zukunftsmusik», sagt Arnold.

2018 stellte das FOR eine erste Phonetikerin ein. Mittlerweile ist die Abteilung um weitere zwei Mitarbeiter gewachsen. Der Grund: Immer mehr Audiodateien sind in Umlauf und können für Ermittlungen miteinbezogen werden. Die Stimme eignet sich auch, um Eigenschaften eines Täters abzuschätzen. Dialekt über Herkunft, Stimmqualität über Alter, Wortwahl über Bildung.

Keine Methode funktioniert allein

Beweise sind das aber nicht. Überhaupt ist bei der Aufklärung der Verbrechen eine Kombination aus allen möglichen Methoden nötig – neu und altbewährt. Michael Thali: «Wir Rechtsmediziner liefern Befunde und ordnen diese in einen Kontext ein.»

Zeugenaussage und Fingerabdruck sind auf Verbrecherjagd am Ende genauso relevant, wie ein Tropfen Schweiss oder eine Stimmprobe. Der echte Tatort ist manchmal weniger trügerisch als der virtuelle. Und den Rechtsmediziner kann auch ein Roboter noch nicht so bald ersetzen.

Der Podcast zum Thema: Blick.ch/durchblick

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