Milliardengeschäft Elektro-Verkehr
Das sind die Schweizer Überflieger

Die grüne Mobilität ist ein Business der Superlative: Es geht um Billionen Franken. Schweizer Unternehmen sind ganz vorn mit dabei – auf der Strasse, auf der Schiene und in der Luft.
Publiziert: 03.01.2021 um 15:41 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2021 um 21:31 Uhr
In der Post-Lockdown-Welt wird der Verkehr weiter wachsen. Damit steigen auch die Emissionen wieder.
Foto: Oliver Killig
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Danny Schlumpf

Der Verkehr ist eine Branche der Extreme. Er verantwortet die Hälfte der Schweizer CO2-Emissionen – und produziert davon als einziger Wirtschaftssektor immer mehr. Allerdings nicht im letzten Jahr, als sein Ausstoss von Klimagasen mit Abstand am stärksten sank: um 14 Prozent – eine ­Folge der Lockdowns, der Bewegungen von Menschen und Gütern beinahe zum Stillstand brachte.

Nach den Lockdowns jedoch wird der Verkehr weiter zunehmen. ­Experten rechnen für die nächsten 20 Jahre mit einem Plus von rund 6 Prozent. Damit steigen auch die Emissionen wieder. Die Hälfte wird auf das Konto von Personenwagen mit Verbrennungsmotoren gehen. Deshalb ist klar: Wenn die Klima­ziele erreicht werden sollen, führt kein Weg am Elektroantrieb vorbei.

In Norwegen fahren schon heute 70 Prozent aller Autos elektrisch. In der Schweiz sind es gerade einmal 0,6 Prozent. «In unserem Land ist das Auto eine heilige Kuh», sagt der ETH-Klimatologe Reto Knutti (47): «Veränderungen werden sofort als Eingriff in die persönliche Freiheit aufgefasst. Deshalb fehlt der poli­tische Wille für einen raschen Umstieg.»

Dabei ist die Technologie längst vorhanden – und nirgendwo wird bereits so lang daran gebastelt wie in der Schweiz. Die Firma Brusa Elektronik in Sennwald SG entwickelt seit 35 Jahren Komponenten für ­Solar- und Elektrofahrzeuge: Elek­tromotoren, Stromumwandler und Ladegeräte, die sie an grosse Automobilhersteller wie BMW, Daimler und Volkswagen liefert.

Endlich Massenproduktion

«Über ein Vierteljahrhundert mussten wir beweisen, dass E-Mobilität funktioniert», sagt Firmengründer Josef Brusa (63). «Doch jetzt ist die Phase der Massenproduktion angelaufen.» Wird die Schweiz noch die Kurve kriegen? Brusa ist überzeugt: «In fünf Jahren kauft auch hierzulande niemand mehr ein Auto ohne Stecker.»

Die Investoren glauben an die Zukunft der E-Mobilität: Vor drei Jahren war der US-Hersteller Tesla 60 Milliarden Dollar wert – heute sind es 600 Milliarden. «Die Marktkräfte spielen», sagt Kristina Church (40), Investment-Strategin für Nachhaltigkeit bei der Bank Lombard Odier in London. Bis 2024 koste die Produktion von E-Fahrzeugen und Verbrennern gleich viel. «Das ist der Wendepunkt», sagt Church. «Sobald grüner auch billiger ist, ist das Rennen entschieden.»

Im Langstreckentransport kommen andere Energiequellen zum Zug: Ammonium für Schiffe, synthetischer Treibstoff für Flugzeuge, Wasserstoff für Lastwagen und Züge. Die Schweiz mischt in diesem Experimentierfeld ganz vorne mit: 2024 geht im kalifornischen San Bernar­dino County der Flirt H2 der Schweizer Stadler Rail auf die Schienen. Es ist der erste Wasserstoffzug auf amerikanischem Boden.

«Der Flirt H2 wird mit Brennstoffzellen angetrieben, die Wasserstoff und Luft in Strom umwandeln», erklärt Stefan Bernsdorf (50), Projektmanager bei Stadler Rail. «Wenn es der Kunde wünscht, kann er damit seine Passagiere ohne Einsatz von fossilen Treibstoffen transportieren.» Für die USA, wo Dieselloks bis heute Züge über Tausende von Kilometern nicht elektrifizierter Trassen schleppen, bedeutet das einen Quantensprung. «Der Flirt H2 erzeugt keine lokalen Emissionen», sagt Bernsdorf. «Es entsteht ­lediglich Wasser.»

Nachhaltige Schweizer Technologie sorgt auch in der Luft für Auftrieb: Die Walliser Firma Dufour Aerospace entwickelt Elektroflugzeuge mit Kipp­flügeln, die wie Helikopter senkrecht starten und landen können. In den ersten Proto­typen steckt intensive Vorbereitung: Das Unternehmen hat mehr Flugstunden mit E-Fliegern absolviert als Airbus und Boeing. Ab 2025 sollen die Kippflügler konventionelle Helikopter vor allem bei Rettungsflügen ersetzen. «Unsere Maschinen sind ­sicherer, verbrauchen weniger Energie und erzeugen weniger Lärm», sagt CEO Thomas Pfammatter (50).

Der funktionierende Mix machts

Kein Zweifel: In Sachen grüner Technologie ist die Schweiz Weltspitze. «Nur kann es Technologie ­allein nicht richten», sagt Thomas Sauter-Servaes (46), Mobilitäts­forscher an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). «Mindestens so wichtig ist die intelligente Verknüpfung von Verkehrsmitteln, die wir gemeinsam nutzen – vom Zug bis zum E-Bike.»

Das Besitz-Auto sei immer noch im Vorteil, weil es bequem und vermeintlich billiger sei. «Dabei denken die meisten nur ans Benzin», sagt Sauter-Servaes. «Sie achten aber nicht auf Dinge wie die Autoreifen oder die Versicherung.» Der ÖV könne das Auto schlagen, ist Sauter-Servaes überzeugt. Potenzial sieht er vor allem in den Städten: «Es gibt zwar eine kurzfristige Stadtflucht wegen Corona. Doch die Städte sind die Mobilitätslabore von morgen.»

40 Prozent des städtischen Verkehrs gehen auf das Konto der Pendler. Die hat Judith Häberli (31), die mit der Zürcher Firma Urban Connect Mobilitätslösungen für Unternehmen anbietet, vor allem im Auge. Zu ihren Kunden gehören Konzerne wie die Zurich Versicherung und der Pharmariese Roche. «Wir wollen die Arbeitsumgebung gesünder und das Pendeln nachhaltiger machen», sagt CEO Häberli. Dafür analysiert Urban Connect die Fahrzeugflotten der Firmen und versucht sie nachhaltig zu optimieren. Via App können die Mitarbeiter Elektroautos, E-Bikes und E-Scooter buchen. Es ist die erste Mobilitätsplattform Europas mit einem solchen Kombi-Angebot.

Und hoffentlich nicht die letzte. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen die weltweiten Verkehrsemissionen bis 2030 um die Hälfte geringer werden.
Gratis ist das nicht: «Dafür sind ­jedes Jahr Investitionen in der Höhe von 2000 Milliarden Dollar nötig», sagt Investment-Strategin Church. Für ihre Kunden sei das eine riesige Chance. Church hat keine Zweifel, wohin die Reise geht: «Die grüne Verkehrsrevolution hat begonnen. Sie wird die Art und Weise, wie Menschen und Güter sich bewegen, fundamental verändern.»

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