«Früher war das ein grosses Fest»
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Die Metzgete geht los:«Früher war das ein grosses Fest»

Metzgete auf dem Land
Eine köstliche Schweinerei

Nach der Ernte sind die Säue dran: Sie werden gemetzget. Besonders stimmungsvoll gefeiert wird diese Tradition in Schmidrüti ZH.
Publiziert: 06.11.2022 um 16:43 Uhr
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Aktualisiert: 07.11.2022 um 00:49 Uhr
Sven Zaugg (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Der Anfang Februar verstorbene Endo Anaconda, Sänger von Stiller Has, war zeitlebens überzeugt, durch das Vertilgen von Blut-, Leberwurst und Koteletts lebe die Sau förmlich in ihm weiter. Eine ähnliche Leidenschaft für die Metzgete hegte der grosse Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt, der sich als literarisches Schlachtfeld und barocken Kulinariker bezeichnete: «Isch das aus?», frotzelte er jeweils in Berner Gaststuben, wenn er eine stolze Schlachtplatte sah.

Viele tun es den beiden Pfundskerlen derzeit gleich: Es ist Metzgete! Von Romanshorn TG bis Genf reichen Beizerinnen dampfende Fleischberge über den Tresen. Eine Tradition, die sich auch in Zeiten gestiegener Sensibilitäten (Fleisch ist des Teufels!) hartnäckig hält.

Acht Uhr früh im Gasthof Freihof im zürcherischen Schmidrüti: Noch liegt der Herbstnebel schwer über dem 90-Seelen-Weiler im Tösstal. Das Blut ist angerichtet. Schnell müsse es jetzt gehen, sagt Jakob Furrer (68) als er den Topf mit kochender Milch vom Herd hievt, die Treppe zum Keller hinunterhuscht, wo sein Sohn Andri (37) mit Saudärmen und 70 Liter Saublut wartet.

Schlachtplatte: Jakob und Ursula Furrer in der Küche des 1711 erbauten Gasthofs Freihof in Schmidrüti ZH.
Foto: Philippe Rossier
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Milch rein, damit sich das Blut aufhellt. Rühren, damit es nicht gerinnt. Därme füllen, abbinden und bei 60 Grad brühen, damit die Wurst fest wird. Ab in den Kühlschrank – Ende der blutigen Operation!

«Das chasch nöd ässe»

Oben in der Küche schnetzelt Ruedi Jordi (79), Freund der Familie und willkommene Aushilfe, die Schweinsleber. «Das chasch nöd ässe», sagt er und pult weisse Fasern aus dem Fleisch. «Das wotsch nöd id dä Schnurre.» Der Ruedi sei eben ein Profi, ein Leberli-Profi, wirft Ursula Furrer (66) ein, die gerade zünftig dem 200-jährigen Gusseisenherd einheizt.

Mit ihrem Mann führt sie den Gasthof, in dem 1711 erstmals Innereien serviert wurden. Damals war die herbstliche Schlachtung der Säue nach dem Einfahren der Ernte eine Notwendigkeit. In manchen Regionen, etwa dem Jura, fällt die Metzgete auf den Martinstag am 11. November – der markiert das Ende des Bauernjahrs: Die Speicher und Vorratskammern sind gefüllt, die Knechtschaft ausbezahlt, Zeit für ein grosses Festessen.

Früher war es den Bauern unmöglich, alle Schweine mit Küchenabfällen durch den Winter zu bringen. Man schlachtete sie also aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen. «Die nicht lang haltbaren Teile, also Innereien und das Blut, wurden sofort verwertet und in den Gasthöfen angeboten», so Jakob Furrer.

Die ganze Sau wird gegessen

Heute darf man die Metzgete getrost als die vielleicht nachhaltigste Form des Fleischkonsums bezeichnen; alles wird verwertet. Und während die Hipster in der Stadt immer neue Namen für die köstliche Sauerei erfinden («From Nose to Tail»), bleibt man auf dem Land gelassen. «Bei uns ist es kein Trend, sondern Tradition», sagt Gastwirt Furrer.

Die Tradition der Beizenmetzgete von heute entstand vor etwa 70 Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg. «Zu dieser Zeit wurde die Fleischproduktion industrialisiert, doch das Bedürfnis nach der herbstlichen Schlachtplatte blieb», sagt Furrer, der seine Säue vom lokalen Metzger bezieht, selbst zerkleinert und verwurstet.

Aber Blutwurst, bitte schön – wer isst das heute noch!? «Sie würden staunen», sagt Jakob Furrer. «Jung, alt, Städter, Ländler – die Schlachtplatte hat an Beliebtheit nichts eingebüsst.»

Für 120 Gäste pro Tag und das fünf Wochen im Jahr wird im Freihof noch gemetzget. «Harte Arbeit», sagt Ursula Furrer, die sich aber lohne. Vor allem dann, wenn auch Toni Vescoli vorbeischaue. Der Gründer und Bandleader von Les Sauterelles wohnte fast 40 Jahre lang im Nachbardorf Wila und ist mit den Furrers bekannt. «Ein guter Freund», sagt Ursula Furrer nicht ohne Stolz.

Wie lange die Furrers, die das Gasthaus jedes Jahr nur für die Metzgete öffnen, noch weitermachen, wissen sie nicht. Der Aufwand, die Arbeit, der Stress, das Alter: «Wir sind nicht mehr die Jüngsten», sagt Ursula Furrer.

«Wir sagen immer: Jetzt ist Schluss. Und machen trotzdem weiter.»

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