Lehrkräfte fühlen sich im Stich gelassen
Schulstart ins Ungewisse

Schlechte Vorzeichen für Schüler und Eltern im neuen Jahr: Zwar soll ein zweiter Volksschul-Lockdown um jeden Preis vermieden werden. Doch bald könnte es an Lehrern mangeln.
Publiziert: 03.01.2021 um 16:30 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2021 um 10:20 Uhr
Sven Zaugg

Die Erinnerungen an diesen Tag im Frühling sind noch wach: Am 16. März verhängte der Bundesrat einen Lockdown über die Schweiz, Läden und Schulen wurden geschlossen.

Das Resultat: Überforderte Eltern, Lehrer, die sich mit Fernunterricht abmühten, Kinder, die in ihrer Lernentwicklung zurückblieben – Schulschliessungen gehören seitdem zu den umstrittensten Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus.

Pädagogen und Politiker sind sich einig: Ein abermaliger Schullockdown soll verhindert werden. Silvia Steiner (62), Zürcher Bildungsdirektorin und Präsidentin der Eidgenössischen Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), sagt: «Die Schulen bleiben offen, solange uns die Wissenschaft grünes Licht gibt.»

Das Dilemma der Schulen: Mit steigenden Fallzahlen häuften sich die Ausfälle. «Schon seit Monate haben wir im Kanton Zürich grosse Mühe erkrankte Lehrkräfte zu ersetzen», sagt Christian Hugi, Präsident des Zürcher Lehrerverbands.
Foto: Siggi Bucher
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«Grünes Licht» im Kanton Zürich

Der grösste Kanton der Schweiz hält für die Primarschule am ordentlichen Start morgen Montag fest. Ausgenommen sind Sekundarstufe II, Mittelschulen und Berufsfachschulen. Dort soll der reguläre Unterricht eine Woche später beginnen. Steiner betont, dass «angesichts der mutierten Virenstämme zusätzliche Absprachen mit epidemiologischen und ­pädiatrischen Fachstellen» stattgefunden hätten.

Das Ergebnis: Präsenz­unterricht unter strikter Einhaltung der bestehenden Schutzkonzepte sei möglich. Auch die beiden Basel, Luzern und Zug halten am morgigen Schulbeginn fest. Bern startet den Unterricht ohnehin erst wieder in einer Woche.

Kantone wie Nidwalden und Solothurn haben den Schulanfang um drei Tage verschoben. «Mit dieser Massnahme erhoffen wir uns, dass keine unwissentlich erkrankten Schülerinnen und Schüler den Unterricht besuchen und so das Risiko von Infektionsketten im schulischen Umfeld reduziert wird», sagt der Nidwaldner Bildungsdirektor Res Schmid (62) zu SonntagsBlick.

Gestaffelter Schulbeginn

Wie in Zürich kehren die Schüler in den Kantonen Aargau und St. Gallen gestaffelt zum Unterricht zurück. Während Aargauer Primarschüler ab Montag wieder im Klassenzimmer erwartet werden, gilt für die Sekundarstufe II bis am 8. Januar Fernunterricht.

In St. Gallen drücken die Primarschüler ebenfalls morgen wieder die Schulbank, Lernende und Mittelschüler erst ab 15. Januar. Stellvertretend für die meisten Kantone sagt der St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker (50): «Primarschüler sind gemäss medizinischem Erkenntnisstand keine Verbreiter des Virus. Andererseits sind sie in besonderem Mass auf den Lern- und Sozialisierungsprozess im direkten Austausch angewiesen.»

Die Wissenschaft ist da allerdings ­uneins: Während eine Zürcher Studie ergab, dass sich Kinder kaum gegenseitig anstecken und Schulen keine Corona-Hotspots sind, legt eine britische Untersuchung nahe, dass deren Schliessung hilft, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Die Kantone versprechen daher, weitere Massnahmen zu ergreifen, wenn Gesundheitseinrichtungen «an den Anschlag» kommen.

Primarschüler lernen im Fernunterricht kaum etwas
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Corona-Lockdown mit Folgen:Primarschüler lernen im Fernunterricht kaum etwas

Schliessung nicht ausgeschlossen

Auch Dagmar Rösler (49), Präsidentin des Schweizer Lehrerverbands, befürwortert den Präsenzunterricht. «Doch wir müssen auf der Hut sein. Falls das mutierte Virus die Fallzahlen nach oben treibt, muss eine erneute Schliessung der Schulen diskutiert werden.» Der Schutz von Schülerschaft und Lehrkräften geniesse höchste Priorität.

Kritischer äussert sich Christian Hugi (42), Präsident des Zürcher Lehrer­verbands: «Lehrkräfte, auch jene, die zur Risikogruppe gehören, müssen um jeden Preis im Einsatz stehen.» Wer sich weigere, sei gezwungen, unbezahlten Urlaub zu beziehen, auch Schwangere. Das Dilemma der Schulen: Mit steigenden Fallzahlen häuften sich die Ausfälle. «Schon seit Monaten haben wir im Kanton Zürich grosse Mühe, erkrankte Lehrkräfte zu ersetzen», betont Hugi. Die Gleichung sei einfach: Ohne Lehrerinnen und Lehrer kein Unterricht.

Auch eine Rolle spielt, dass man beim digitalen Lernen noch nicht so weit ist, wie man sein sollte. Kantonale Strategien gibt es kaum. Die Gemeinden sind bei der Ausarbeitung von digitalen Lehrplänen und der Finanzierung der Infrastruktur auf sich allein gestellt. Ungewisse Aussichten für die Schweizer Schulen im neuen Jahr.

Bei steigenden Corona-Zahlen werden Schulschliessungen wieder Thema

Nach den Festtagen blickt der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) nicht sehr optimistisch in die Zukunft, was die Wirksamkeit der aktuellen Corona-Massnahmen angeht. Sollten die Zahlen wieder steigen, werden Schulschliessungen zum Thema.

Die Zahlen der vergangenen Tage «lassen einen schon vorsichtig bleiben», sagte Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), am Sonntagabend in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens SRF.

Am Dienstag und am Mittwoch dieser Woche habe man am ehesten repräsentative Zahlen gesehen: Einmal seien es über 5000, einmal über 4000 neue Ansteckungen gewesen, sagte Engelberger. «Stärkere Massnahmen werden sich nicht vermeiden lassen, wenn wir in den kommenden Wochen wieder hohe Zahlen mit einer steigenden Tendenz haben werden», resümierte er.

Spielraum ausgeschöpft

Bei den Einschränkungen gibt es jedoch nicht mehr viele Möglichkeiten - ausser etwa bei den Schulen. «Bislang ist versucht worden, die Schule und das Arbeitsleben möglichst zu schonen», sagte Engelberger. Der Spielraum sei aber jetzt ausgeschöpft. Wenn es nötig sei, weiter Kontakte zu reduzieren und das Arbeitsleben zu verlangsamen, dann müssten auch im Arbeitsbereich und «allenfalls bei den Schulen» Massnahmen ergriffen werden.

Engelberger begründete mögliche Massnahmen an Schulen damit, dass diese «Taktgeberin im Alltag» sei. Wenn die Schule mit Fernunterricht funktioniere und die Schülerinnen und Schüler sich nicht bewegten, würden Kontakte reduziert - auch, weil dadurch auch die Eltern verstärkt zuhause bleiben würden, begründete Engelberger. Es sei aber die «Ultima Ratio», also das letztmögliche Mittel.

Am 30. Dezember hatte der Bundesrat nach einer Bilanz darauf verzichtet, zusätzliche Massnahmen zu ergreifen. Nun will er voraussichtlich am Mittwoch wieder über die Situation und die Massnahmen informieren. Am 18. Dezember hatte die Regierung die Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus verschärft: Diese gelten voraussichtlich bis am 22. Januar. (SDA)

Nach den Festtagen blickt der Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) nicht sehr optimistisch in die Zukunft, was die Wirksamkeit der aktuellen Corona-Massnahmen angeht. Sollten die Zahlen wieder steigen, werden Schulschliessungen zum Thema.

Die Zahlen der vergangenen Tage «lassen einen schon vorsichtig bleiben», sagte Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK), am Sonntagabend in der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens SRF.

Am Dienstag und am Mittwoch dieser Woche habe man am ehesten repräsentative Zahlen gesehen: Einmal seien es über 5000, einmal über 4000 neue Ansteckungen gewesen, sagte Engelberger. «Stärkere Massnahmen werden sich nicht vermeiden lassen, wenn wir in den kommenden Wochen wieder hohe Zahlen mit einer steigenden Tendenz haben werden», resümierte er.

Spielraum ausgeschöpft

Bei den Einschränkungen gibt es jedoch nicht mehr viele Möglichkeiten - ausser etwa bei den Schulen. «Bislang ist versucht worden, die Schule und das Arbeitsleben möglichst zu schonen», sagte Engelberger. Der Spielraum sei aber jetzt ausgeschöpft. Wenn es nötig sei, weiter Kontakte zu reduzieren und das Arbeitsleben zu verlangsamen, dann müssten auch im Arbeitsbereich und «allenfalls bei den Schulen» Massnahmen ergriffen werden.

Engelberger begründete mögliche Massnahmen an Schulen damit, dass diese «Taktgeberin im Alltag» sei. Wenn die Schule mit Fernunterricht funktioniere und die Schülerinnen und Schüler sich nicht bewegten, würden Kontakte reduziert - auch, weil dadurch auch die Eltern verstärkt zuhause bleiben würden, begründete Engelberger. Es sei aber die «Ultima Ratio», also das letztmögliche Mittel.

Am 30. Dezember hatte der Bundesrat nach einer Bilanz darauf verzichtet, zusätzliche Massnahmen zu ergreifen. Nun will er voraussichtlich am Mittwoch wieder über die Situation und die Massnahmen informieren. Am 18. Dezember hatte die Regierung die Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus verschärft: Diese gelten voraussichtlich bis am 22. Januar. (SDA)

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