IZRS-Muslime kontern Bundesanwalt Lauber
«Wir kommen ohne Sack über dem Kopf nach Bellinzona»

Bundesanwalt Michael Lauber ermittelt nach eigenen Angaben gegen die Anführer des radikalen Islamischen Zentralrats der Schweiz IZRS, Nicolas Blancho und Qaasim Illi. Der IZRS spricht von fragwürdigen Machenschaften - und blicken einem allfälligen Prozess vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona gelassen entgegen.
Publiziert: 25.11.2016 um 04:05 Uhr
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Aktualisiert: 11.10.2018 um 12:00 Uhr

Bundesanwalt Michael Lauber ermittelt nach eigenen Angaben gegen die Anführer des radikalen Islamischen Zentralrats der Schweiz IZRS, Nicolas Blancho und Qaasim Illi, Ehemann der ebenfalls bekannten Nora Illi. Er will die beiden anklagen und damit seine Möglichkeiten zur Bekämpfung islamistischer Propaganda ausloten.

Blancho und Illi sollen sich wegen eines Syrien-Films verantworten, den die Gruppierung im November 2015 veröffentlichte. Seit Dezember 2015 läuft deswegen bereits ein Verfahren gegen Naim Cherni, der auch dem IZRS-Vorstand angehört. Die Strafverfolger werfen ihm vor, eine Reise nach Syrien propagandistisch dargestellt und sich nicht explizit von Terrorgruppierungen distanziert zu haben.

«Wir haben dieses Verfahren inzwischen auf den Präsidenten und den Kommunikationsverantwortlichen des IZRS ausgeweitet», sagte Lauber in einem Interview, das am Freitag in der «Neuen Zürcher Zeitung» erschien. Die Konvertiten Blancho und Illi bekleiden diese Funktionen beim Zentralrat.

Die Köpfe des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS), Präsident Nicolas Blancho (links) und Mediensprecher Qaasim Illi.
Foto: Keystone
Bundesanwalt Michael Lauber will die IZRS-Anführer vor Gericht bringen.
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Er wolle wissen, «wie weit die Meinungsfreiheit geht und ab wann es sich um strafbare Propaganda für eine Terrororganisation handelt«, sagte Lauber weiter. Der Fall habe für die Bundesanwaltschaft hohe Priorität: Er hoffe auf eine Anklage gegen die Männer beim Bundesstrafgericht im nächsten Jahr.

Video nach wie vor online

Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen eines möglichen Verstosses gegen das Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen Al-Kaida und Islamischer Staat (IS) sowie verwandter Organisationen. Der Zentralrat und Cherni wiesen die Vorwürfe an einer Medienkonferenz nach Bekanntwerden des Strafverfahrens von sich und kritisierten, die Bundesanwaltschaft schiesse mit Kanonen auf Spatzen.

Naim Cherni, Vorstandsmitglied des IZRS, rechts, spricht an der Seite von Nicolas Blancho, Praesident IZRS, waehrend einer Medienkonferenz des Islamischen Zentralrats Schweiz, am Montag, 21. Dezember 2015, in Bern.
Foto: Keystone

Chernis umstrittenes 38-minütiges Interview mit einem Dschihadistenführer in Syrien ist trotz Bemühungen der Bundesanwaltschaft zur Entfernung auch heute noch auf dem Videoportal YouTube abrufbar - und der IZRS bewirbt es nach wie vor. In etwas mehr als einem Jahr ist es über 100'000 Mal aufgerufen worden.

«Fragwürdige Machenschaften»

Der IZRS schreibt in einer Stellungnahme von heute Morgen, das Vorgehen passe «ins Muster der in jüngster Zeit an Fragwürdigkeit nur schwer zu überbietenden Machenschaften der Behörde». Offenkundig gehe es der Bundesanwaltschaft darum, «die grösste und aktivste islamische Organisation der Schweiz in der Öffentlichkeit zu diffamieren».

Einem möglichen Prozess gegen Blancho und Illi – der IZRS spricht von einem «politischen Schauprozess in Bellinzona» – schaue man mit Gelassenheit entgegen.

«Wenn die Bundesanwaltsschaft uns nach Bellinzona einlädt, werden wir die Einladung nicht ausschlagen», wird Nicolas Blancho in dem Communiqué zitiert. «Herr Lauber soll sich aber bewusst sein, dass wir ohne Sack über dem Kopf unsere Sache offen und bestimmt vertreten werden. Wir lassen nicht zu, dass man uns Muslime im Rahmen politischer Schauprozesse in die terroristische Ecke drängt.»

Und Pressesprecher Qasim Illi betont: «Gilt in der Schweiz die Presse- und Meinungsäusserungsfreiheit auch für Muslime, wird die Bundesanwaltschaft mit ihrem Schauprozess fulminant scheitern.»

Szene aus dem umstrittenen Video
Foto: Screenshot Youtube

Nur wenige neue Verfahren

Im Zusammenhang mit islamistischer Radikalisierung und Terror führt die Bundesanwaltschaft laut Lauber derzeit «rund 70 Verfahren». Damit sind in den vergangenen Monaten kaum mehr neue Fälle hinzugekommen. Im März 2016 hatte Lauber von «gut 60 Verfahren» gegen mutmassliche Dschihadisten gesprochen.

Verfahren würden unter anderem auch gegen Personen geführt, die mit der Koran-Verteilungsaktion «Lies» in Verbindung stünden, sagte Lauber weiter auf eine entsprechende Frage. Das deutsche Innenministerium hatte die salafistische Vereinigung hinter dem Projekt vor zehn Tagen aufgelöst und verboten.

Auch die Schweiz verfolge eine «Null-Toleranz-Strategie», sagte Lauber zum Umgang mit dem umstrittenen «Lies»-Projekt. «Sobald wir die nötigen Fakten kennen, eröffnen wir ein Strafverfahren.»

Allerdings halte er es für richtig, dass es in der Schweiz kein Organisations-Verbot gibt wie in Deutschland, sagte Lauber. Übertriebene Verbote trieben Aktivitäten in den Untergrund, was die Arbeit der Strafverfolger erschwere und die Radikalisierung noch fördern könne. (SDA/bau)

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