Mit der mRNA-Technologie gegen den Krebs
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Krebsforscher Thomas Cerny:Mit der mRNA-Technologie gegen den Krebs

Krebsforscher Thomas Cerny zur mRNA-Technologie
«Die Schweiz verpasst eine einmalige Chance»

Während die Welt die mRNA-Technologie mit Milliarden vorantreibt, zögert die Schweiz. Für den bekanntesten Schweizer Krebsforscher Thomas Cerny ein unentschuldbares Versagen.
Publiziert: 13.06.2021 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2021 um 16:08 Uhr
Interview: Sven Zaugg

Sonntagsblick: Herr Cerny, die Pharmaindustrie ist ganz aus dem Häuschen! Und das hat mit vier Buchstaben zu tun: mRNA. Nun soll damit auch Krebs besiegt werden. Ist die Euphorie berechtigt?
Thomas Cerny: Das Potenzial ist zweifelsohne sehr gross. Aber wie immer bei solchen Hypes in der Medizin sind die Erwartungen zuerst überrissen. Inbesondere was Krebs betrifft.

Dabei ist die Technologie schon jahrzehntealt. Erstmals beschrieben wurde sie in den 1960er-Jahren.
In der onkologischen Grundlagenforschung ist die RNA-Technologie seit den 1980er-Jahren ein vielversprechendes, aber auch schwieriges Thema. Erst in den letzten Jahren wurden wichtige technische Probleme gelöst, insbesondere die Stabilität der mRNA im Körper. Vakzinationen gegen Krebskrankheiten sind aber viel komplexer als gegen Viren. Krebszellen mutieren rasch und haben bei Diagnosestellung bereits sehr viel mehr Mutationen, als ein Virus je haben kann.

Also doch nur ein Hype?
Nein. Aber es braucht im Kampf gegen Krebs ein optimales Zusammenspiel verschiedener bewährter und neuer Therapien und Verfahren. In der Immunonkologie haben wir heute hochwirksame Checkpoint-Inhibitoren, tumorspezifische T-Zellen und mutationsspezifische Medikamente. Damit können wir immer mehr Menschen erfolgreich behandeln. Die RNA-Technologie wird eine weitere Option darstellen.

«Wir brauchen noch etwas Geduld», sagt Krebsforscher Thomas Cerny. «Beim schwarzen Hautkrebs beispielsweise wissen wir, dass Immuntherapien sehr wirksam sind und auch Patienten in sehr fortgeschrittene Krankheitsstadien heilen können. Gerade hier ist das Potential der RNA-Therapie als weitere Innovation nun in klinischer Erprobung.»
Foto: Valeriano Di Domenico
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Mit anderen Worten: Die Therapien werden personalisiert – und die RNA hilft dabei.
Bei jedem Patienten sind die Krebszellen unterschiedlich. Man kann sagen: Kein Krebs kommt zweimal vor. Deshalb braucht es für jeden Patienten eine individuelle RNA-Therapie. Das Biontech-Gründerpaar, Ugur Şahin und Özlem Türeci, arbeitet genau in diese Richtung. Und was sie machen, ist vielversprechend. Die Corona-Impfung war für sie im Vergleich zu Krebsimpfungen ein geradezu leichtes Spiel.

Das müssen Sie erklären.
Die Impfstoffhersteller konnten in dieser Corona-Pandemie von den Erfahrungen der RNA-Krebsforschung profitieren. Sonst wäre der Impfstoff nicht oder nicht so schnell entwickelt worden. Es war aber auch ein Glücksfall, dass alles so toll zusammengespielt hat und man gleich aufs beste Pferd, die mRNA-Vakzine, gesetzt hat. Ein perfektes Timing.

Wo sehen Sie konkrete Anwendungsmöglichkeiten im Kampf gegen Krebs?
Wir brauchen noch etwas Geduld. Beim schwarzen Hautkrebs beispielsweise wissen wir, dass Immuntherapien sehr wirksam sind und auch Patienten in sehr fortgeschrittenen Krankheitsstadien heilen können. Aber es ist noch nicht die Mehrheit. Gerade hier ist das Potenzial der RNA-Therapie als weitere Innovation nun in klinischer Erprobung, dies in Kombination mit bereits bewährten Immuntherapien.

Die RNA-Technologie wurde lange verkannt. Warum?
Die Forschungsförderung hat die RNA-Technologie unterschätzt. Das Feld galt lange als schwierig und war wenig attraktiv. Die RNA ist im Körper nur sehr kurzlebig, wie ein Notizzettel, der eine Information enthält und nach Gebrauch sofort rezykliert wird. Hier sah man lange unüberwindbare Hindernisse.

Forscher auf diesem Gebiet hatten deshalb grosse Schwierigkeiten, genügend Forschungsgelder zu erhalten.
Zum Glück blieben sie hartnäckig und – wie wir nun sehen – auch erfolgreich.

Nun aber fliesst das Geld in rauen Mengen – Staaten investieren Milliarden und das Risikokapital ist scharf auf alles, was mit mRNA zu tun hat.
Weltweit ja, aber nicht in der Schweiz. Viele Forscher sind massiv enttäuscht, dass der Bund die Chance bisher nicht gepackt hat, um namhaft in die mRNA-Forschung zu investieren. Wenn wir jetzt noch wegen des gescheiterten Rahmenabkommens durch «Horizon Europe» von internationaler milliardenschwerer Forschungskollaboration gekappt werden, ist dies ein grosser Schaden für den Standort Schweiz. Hier sind die kürzlich vom Bundesrat gesprochen 50 Millionen Franken schlicht ein Klacks.

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Sie fordern noch mehr?
Der Bund ist verpflichtet, sich für die Gesundheit, Sicherheit und den Wohlstand der Bevölkerung einzusetzen. Das ist sein verfassungsmässiger Auftrag. Dazu gehören Investitionen in Forschungsfelder, die diesen Zielen dienen.

Verpasst die Schweiz eine grosse Chance? Die Pandemie hat die Bevölkerung in Bezug auf Forschung und Versorgungssicherheit sensibilisiert. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist gross.
Ich befürchte tatsächlich, dass wir gerade eine grosse Chance verpassen. Nehmen Sie die Immunologie. Dort ist die Schweiz Weltspitze. Wir haben hervorragende Wissenschaftler, Topuniversitäten und Forschungsinstitutionen. Der Bund hätte die Pandemie als Anstoss nehmen sollen, richtig in innovative Gebiete wie eben RNA-Technologie, Impfungen oder Antibiotika gegen resistente Keime zu investieren. Das nötige Geld haben wir, aber die Politik zögert.

Was muss passieren?
Grundlagenforschung und gute Ausbildung sind die unverzichtbaren Voraussetzungen dafür, dass Innovation überhaupt stattfindet und damit neue Unternehmen gegründet werden. Doch der Bund scheint wie gelähmt. Wenn die Schweiz die intellektuelle Infrastruktur jetzt nicht mehr fördert, werden auch die besten Forscher nicht mehr zu uns kommen. Die Besten sind überall mehr denn je gesucht und ein Braindrain wäre für uns fatal.

Droht der Schweizer Forschungsstandort abgehängt zu werden?
Es muss ein Ruck durch den Bundesrat und das Parlament gehen. Das Signal muss lauten: Wir wollen auch in Zukunft den Besten der Besten die optimalen Bedingungen bieten. Schauen Sie nach Asien, wo jährlich mehr Leute immer bessere Universitäten verlassen, als wir Einwohner in unserem Land haben. Unser Reputationskapital ist bald mal aufgebraucht, wenn wir jetzt nicht zulegen.

Wenn die Forschung in der Schweiz erodiert, verlieren wir auch das investierte Kapital ...
Aus neuem Wissen resultiert Wertschöpfung, ja. Davon sollte aber die Bevölkerung mehr profitieren als bisher. Heute kommen die lukrativen Innovationen der medizinischen Forschung aus den öffentlich finanzierten Institutionen. Dabei geht es jährlich um viele Milliarden. Hier muss mehr vom resultierenden kommerziellen Erfolg auch wieder der Bevölkerung zugutekommen.

Wieso ist das wichtig?
Weil immer mehr der erfolgreichen Unternehmen der Schweiz in ausländischer Hand sind und damit Wohlstand vermehrt abfliesst. Es geht dabei nicht um Schwarz-Weiss, sondern einen endlich «fairen Deal». Das haben die Menschen verdient, sie bezahlen schliesslich die Rechnung.

Persönlich

Thomas Cerny ist der bekannteste Krebsmediziner der Schweiz. Der 68-jährige Berner war von 1998 bis zur Pensionierung 2017 Chefarzt Onkologie/Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung neuer Medikamente und den gesundheitspolitischen Aspekten der onkologischen Versorgung. Cerny ist Präsident der Krebsforschung Schweiz.

Thomas Cerny ist der bekannteste Krebsmediziner der Schweiz. Der 68-jährige Berner war von 1998 bis zur Pensionierung 2017 Chefarzt Onkologie/Hämatologie am Kantonsspital St. Gallen. Sein besonderes Interesse gilt der Entwicklung neuer Medikamente und den gesundheitspolitischen Aspekten der onkologischen Versorgung. Cerny ist Präsident der Krebsforschung Schweiz.

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