Kontroverse um FDP-Plakat
Jetzt wollen die Parteien einen KI-Kodex

Das mit künstlicher Intelligenz generierte Klimakleber-Plakat der FDP hat die Politik aufgeschreckt. Nun planen die Parteien eine Vereinbarung gegen KI-Manipulationen. Nur die SVP schert aus.
Publiziert: 09.07.2023 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2023 um 09:40 Uhr
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Mit ihrer neuen Plakatkampagne hat die FDP nicht nur den Wahlkampf forciert, sondern gleich auch eine Kontroverse über künstliche Intelligenz (KI) in der Politik ausgelöst. Die Freisinnigen werben mit dem Bild von Klimaaktivisten, die eine Ambulanz blockieren. Die Szene hat so aber nie stattgefunden – sie ist KI-generiert.

Künstliche Intelligenz in der Politwerbung: Gefahr oder harmlose Spielerei?

«Die Verbreitung von Fake News ist Gift für eine direkte Demokratie», empört sich der «Tages-Anzeiger». FDP-Wahlkampfleiter Adrian Michel kontert: «Das Klimakleber-Sujet adressiert real stattfindende Blockaden einer extremen Gruppierung.»

Das neueste FDP-Plakat sorgt für Kritik. Das Sujet wurde durch künstliche Intelligenz generiert.
Foto: FDP
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Peter G. Kirchschläger, Ethik-Professor an der Universität Luzern, hat sich auf künstliche Intelligenz spezialisiert. Er warnt: «Unsere Freiheit steht auf dem Spiel.» Solche Plakate seien «sehr bedrohlich» für eine Demokratie, weil KI-Manipulationen die Fairness im Meinungsbildungsprozess zerstören würden.

Das FDP-Plakat wird damit zum Präzedenzfall: Wie soll die Schweiz mit künstlicher Intelligenz im Wahlkampf umgehen? Braucht es Regeln?

Ethikkodex

Grünen-Präsident Balthasar Glättli regt einen Ethikkodex an, eine freiwillige Selbstverpflichtung der politischen Kräfte, KI im Wahlkampf nicht zur Täuschung der Öffentlichkeit zu verwenden. Mitte Juni verschickte er einen Vorschlag an die anderen Parteien.

Dort heisst es: «Da bisher Regeln zum Umgang mit KI-generierten Inhalten fehlen, verpflichten wir uns dem Ziel, eine absichtliche Täuschung der Öffentlichkeit zu verhindern, damit nicht das Vertrauen in die Demokratie untergraben wird.»

Ausser der SVP, die den Vorschlag laut Nationalrat Franz Grüter «nicht zielführend» findet, haben alle positiv auf den Entwurf reagiert. Glättli: «In den bisherigen Rückmeldungen besteht sogar der Konsens, dass eine Vereinbarung über den Wahlkampf 2023 hinaus gelten sollte.»

Überraschend: Auch die FDP begrüsst den Kodex. Wahlkampf-Leiter Adrian Michel: «Wir haben den Entwurf mit wenigen, einschränkenden Inputs zurückgeschickt.» Man sei grundsätzlich bereit, auf absichtliche Täuschungen der Öffentlichkeit zu verzichten.

Doch haben die Freisinnigen mit ihrem KI-Plakat nicht genau das getan? Michel: «Niemand, der unser Plakat mit den Klimaklebern sieht, wird getäuscht.» Gefährlich an künstlicher Intelligenz sei vor allem die Möglichkeit, politischen Akteurinnen und Akteuren fälschlich Handlungsweisen oder Aussagen zu unterstellen. Die Strassenblockaden aber seien sehr real. «Unser Bild gibt somit Tatsachen wieder.»

Zudem sei auf dem Plakat transparent deklariert, dass es sich um ein KI-generiertes Sujet handelt. Tatsächlich ist eine solche Anmerkung am oberen rechten Bildrand zu finden – wenn auch in beinahe unleserlichen Kleinstbuchstaben.

Selbstkontrolle

Die Mehrheit der Parteien dürfte sich also schon bald selbst Regeln auferlegen. Längerfristig stellt sich die Frage, ob es darüber hinaus eine staatliche Regulierung braucht. Die Verantwortlichen beim Bund antworten ausweichend. Man unterstütze Studien zum Thema und strebe eine Regulierung grosser Plattformen wie Facebook, Youtube oder Google an.

Schon bald muss sich auch der Bundesrat mit den Chancen und Gefahren von KI beschäftigen.Die SP konfrontiert die Regierung mit einer Reihe von Vorstössen. «Welche Regulierungen braucht es, um zu vermeiden, dass die KI zu einer Gefahr für die Demokratie wird?», fragt etwa SP-Nationalrätin Céline Widmer in einer Interpellation. Und ihre Parteikollegin Min Li Marti fordert den Bundesrat in einer Motion dazu auf, die gesetzlichen Grundlagen für eine Deklarationspflicht bei KI-Anwendungen zu schaffen. Dies würde einheitliche Standards garantieren und Vertrauen schaffen.

Noch weiter denkt KI-Experte Kirchschläger von der Universität Luzern: Er schlägt vor, eine internationale Agentur bei der Uno zu schaffen. «Es gilt, das globale Phänomen der Unterwanderung von Demokratien durch Fake News und Desinformation global zu adressieren.»

Die Aufsichts- und Zulassungsbehörde, die Kirchschläger vorschwebt, soll – nach dem Beispiel der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) – Menschenrechte, Nachhaltigkeit und Frieden fördern, damit die Menschheit die ethischen Chancen der KI nutzen und die Risiken meistern kann. Uno-Generalsekretär António Guterres unterstützt die Idee. Erst kürzlich hat er sich für die Einrichtung einer solchen Regulierungsbehörde ausgesprochen.

Derweil ernten die Freisinnigen für ihr KI-Plakat viel Unverständnis. Sogar parteiintern meldeten sich kritische Stimmen. Applaus hingegen kam von unerwarteter Seite: von den Klimaklebern selbst. In einer Mitteilung freute sich Renovate Switzerland öffentlich darüber, dass die FDP ihre Aktionen zum Thema macht.

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