Epidemiologen fahren Corona-Koch an den Karren
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Zoff der Experten:Epidemiologen fahren Corona-Koch an den Karren

Keine Ruhe im Ruhestand
Epidemiologen fahren Corona-Koch an den Karren

Im Nachhinein ist man immer schlauer: Hat man beim Bundesamt für Gesundheit richtig auf die drohende Pandemie reagiert? Epidemiologen sagen nun: Unsere Warnungen wurden nicht angehört.
Publiziert: 07.06.2020 um 17:51 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2020 um 20:13 Uhr

Es ist offenbar viel Geschirr zerschlagen zwischen «Mr. Corona» Daniel Koch (65) und den Wissenschaftlern Christian Althaus (41) und Marcel Salathé (45). Die «NZZ am Sonntag» berichtet über den Ablauf der Pandemie – von den ersten Warnungen bis zum Lockdown.

Während Daniel Koch in Bern am Ruder war, seien Wissenschaftler mit ihren Warnungen und Modellrechnungen beim BAG immer wieder aufgelaufen, schreibt die Zeitung. So habe sich Epidemiologe Althaus angesichts der drohenden Pandemie bereits im Januar mehrmals beim Bund gemeldet und Hilfe angeboten. Er veröffentlichte am 30. Januar eine Studie im Wissenschaftsjournal «Eurosurveillance» mit der Erkenntnis, dass das neue Virus Potenzial hat, sich global auszubreiten.

Brief an Bundesrat

Laut der Zeitung rief er Koch direkt an, mailte ihm seine Studie, schrieb, er könne helfen. Althaus wandte sich mit seinen Epidemiologen-Kollegen auch an den Bundesrat mit einem Brief, in dem er sich besorgt zeigte, dass Koch an der Pressekonferenz vom 24. Februar noch davon sprach, dass die Sterblichkeit von Covid19 «wahrscheinlich im Bereich einer saisonalen Grippe» liege.

Daniel Koch sagt, die Modelle der Epidemiologen böten zu wenige Grundlagen für eine seriöse Voraussage.
Foto: keystone-sda.ch
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Koch sagte später der «NZZ am Sonntag»: «Herr Althaus hat nie versucht, mich zu kontaktieren, und hat nie beim BAG eine Warnung abgegeben.» Die E-Mails belegen das Gegenteil, der Brief, den Althaus am Sonntag auf Twitter veröffentlichte, weist das Datum vom 25. Februar auf.

Sanftere Variante des Lockdowns wäre möglich gewesen

Koch sagt zur «NZZ am Sonntag», dass die Modelle von Althaus und seinen Kollegen zu wenige Grundlagen für eine seriöse Voraussage hätten und auf unausgereiften Algorithmen basierten. Die theoretischen Ansätze der forschenden Wissenschaft taugten in der praktischen Umsetzung nicht.

Koch griff laut der Zeitung lieber auf sein altbewährtes Netzwerk zurück. Zum Beispiel auf den Genfer Spitalinfektiologen Didier Pittet. Dieser sagt zu «Le Temps» Ende Februar, er erwarte in der Schweiz «ein paar Einzelfälle».

Doch der Lockdown wurde schliesslich angeordnet, die Überlastung des Schweizer Gesundheitssystem abgewendet – was lief denn falsch? Laut Epidemiologe Marcel Salathé hätte die Schweiz – wenn man früher reagiert hätte – nicht mit dem Lockdown eine Vollbremsung hinlegen müssen, hätte die Krise sanfter bewältigen können.

«Nichts eingetroffen, was Althaus gesagt hat»

Salathé, Mitunterzeichner des Warnbriefs an den Bundesrat, sagt: «Man hätte alles versuchen müssen, um die Übersicht über die Infektionsketten nicht zu verlieren.» Und man hätte intensiver testen und die Grenze zu Italien früher schliessen müssen.

Der Pandemie verantwortliche Daniel Koch hingegen findet noch heute: «Es ist nichts eingetroffen, was Althaus gesagt hat.»

Dessen erboste Antwort kam am heutigen Sonntag postwendend per Twitter: «Dass in der Schweiz ehemalige Behördenvertreter über die Medien versuchen, Wissenschaftler zu diskreditieren ist befremdend. Ich erwarte, dass diese Vorkommnisse von der GPK gründlich aufgearbeitet werden.» (neo)

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