Kein Geld für Mietzinsdepot
Wie klamme Mieter Versicherungen die Kasse füllen

Als Sicherheit für Schäden an der Wohnung fordern Vermieter eine Kaution von bis zu drei Monatsmieten. Versicherungen profitieren immer stärker von dieser Kautionspflicht – dank Support der Hauseigentümer.
Publiziert: 24.12.2023 um 14:33 Uhr
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Aktualisiert: 26.12.2023 um 10:19 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Vermieter brauchen eine Garantie, um bei unbezahlten Mietzinsen, offenen Nebenkosten-Abrechnungen oder Infrastruktur-Schäden an Geld zu kommen, das ihnen zusteht. Dafür verlangen sie zu Beginn eines Mietverhältnisses eine Kaution von bis zu drei Monatsmieten.

Früher haben Mieterinnen und Mieter dieses Geld fast ausschliesslich auf ein Sperrkonto bei einer Bank einbezahlt. Seit einigen Jahren erfreuen sich aber sogenannte Mietkautionsversicherungen stark steigender Beliebtheit, wie Zahlen der Finanzmarktaufsicht Finma zeigen.

Mietkautionsversicherungen auf dem Vormarsch

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Als Sicherheit für Schäden an der Wohnung fordern Vermieter eine Kaution von bis zu drei Monatsmieten.
Foto: IMAGO/Andreas Haas
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Branchenleader Swisscaution, seit 2016 ein Tochter-Unternehmen der Mobiliar, hat das Prämienvolumen für Mietkautionsversicherungen in den vergangenen zehn Jahren von 35,5 auf 57 Millionen Franken gesteigert. Noch beeindruckender das Wachstum von Firstcaution: 2013 nahm das Westschweizer Unternehmen dank Mietkautionsprämien 3,5 Millionen Franken ein, 2022 waren es 19,4 Millionen Franken.

Das gesamte Prämienvolumen für Kautionsversicherungen hat sich seit 2013 um 80 Prozent erhöht, von 112 auf 201 Millionen Franken. Darin enthalten sind auch Baugarantieversicherungen und übrige Kautionsversicherungen.

Der Boom der Mietkautionsversicherungen überrascht. Schliesslich sind solche Verträge für Mieterinnen und Mieter deutlich teurer als ein herkömmliches Mietzinsdepot auf einer Bank.

Eine Versicherung, die keine ist

Wer eine Mietkautionsversicherung abschliesst, muss für allfällige Schäden in seiner Wohnung trotzdem selbst aufkommen. Die Versicherung streckt das Geld für Forderungen des Vermieters nur vor und fordert es vom Mieter anschliessend in vollem Umfang wieder ein. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Ist der Begriff «Mietkautionsversicherung», mit dem die Branche wirbt, nicht irreführend? Wäre Darlehen oder Bürgschaft nicht passender? Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) gesteht ein, dass das Produkt nicht «einer Versicherung im engeren Sinne» entspreche. Dennoch hält der SVV die Bezeichnung für «nicht ganz unbegründet»: «Die Mietkautionsversicherung sichert zu, den geschuldeten Betrag im Schadenfall unbürokratisch vorzustrecken und – nebst anderen Services – zu prüfen, ob die Ansprüche des Vermieters überhaupt gerechtfertigt sind.» Erst dann werde der Betrag vom Mieter zurückgefordert.

Wer eine Mietkautionsversicherung abschliesst, muss für allfällige Schäden in seiner Wohnung trotzdem selbst aufkommen. Die Versicherung streckt das Geld für Forderungen des Vermieters nur vor und fordert es vom Mieter anschliessend in vollem Umfang wieder ein. Angesichts dessen stellt sich die Frage: Ist der Begriff «Mietkautionsversicherung», mit dem die Branche wirbt, nicht irreführend? Wäre Darlehen oder Bürgschaft nicht passender? Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) gesteht ein, dass das Produkt nicht «einer Versicherung im engeren Sinne» entspreche. Dennoch hält der SVV die Bezeichnung für «nicht ganz unbegründet»: «Die Mietkautionsversicherung sichert zu, den geschuldeten Betrag im Schadenfall unbürokratisch vorzustrecken und – nebst anderen Services – zu prüfen, ob die Ansprüche des Vermieters überhaupt gerechtfertigt sind.» Erst dann werde der Betrag vom Mieter zurückgefordert.

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Die Unterschiede

Bei einem Kautionskonto bekommen Mieter ihr Geld nach Ende des Mietverhältnisses wieder vollständig zurück. Sie verlieren keinen Rappen – und erhalten im besten Fall sogar Zinsen.

Bei einer Mietkautionsversicherung dagegen wird eine jährliche Prämie fällig, die sich nach der Höhe der Kaution richtet. Bei einem Kautionsbetrag von 5000 Franken beträgt diese je nach Anbieter zwischen 200 und 300 Franken pro Jahr.

Dieses Geld ist weg, völlig unabhängig davon, ob nach Ende des Mietverhältnisses finanzielle Forderungen auftauchen. Fordert ein Vermieter wegen Schäden an der Wohnung eine Entschädigung ein, übernimmt die Versicherung zwar diese Zahlung – fordert den Betrag aber vom Mieter zurück.

Falls möglich immer ein Kautionskonto eröffnen

«Im teuersten Fall verschlingt die Versicherung über zehn Jahre hinweg mehr als die Hälfte der Mietkaution», sagt Dirk Renkert, Finanz-Experte beim Vergleichsportal Comparis. Wer genügend Geld auf der Seite habe, eröffne deshalb besser ein Kautionskonto.

Pascal Pfister, Geschäftsleiter Schuldenberatung Schweiz, sieht das genauso. Dennoch will er Mietkautionsversicherungen nicht generell verteufeln: «Da sich viele Menschen ein Bardepot nicht leisten können, stellt die Kautionsversicherung für sie die einzige Möglichkeit dar, überhaupt einen Mietvertrag unterzeichnen zu können.»

Teuerung trifft wieder die finanziell Benachteiligten

Laut Pfister verringerten insbesondere erhöhte Mieten und generelle Teuerung die Liquidität der Betroffenen: «Wie so oft sind Menschen, die sowieso schon ein knappes Budget haben, benachteiligt.» Da sie keine Barkaution abschliessen könnten, fielen für sie die jährlichen Kosten für die Versicherung an. «Wir empfehlen daher, nach Abschluss einer Mietkautionsversicherung – falls möglich – eine Barkaution anzusparen, um die Kautionsversicherung wieder auflösen zu können.»

Die Teuerung und höhere Mieten sind jedoch nicht alleine verantwortlich für den Boom von Kautionsversicherungen. Benjamin Manz, Geschäftsführer des Vergleichsdienstes Moneyland, sieht auch die Versicherungen und Vermieter als Treiber: «Die Vermieter haben häufig einen Vertrag mit einem Mietkautionsanbieter und pushen dann dieses Angebot.»

Weniger Aufwand für die Vermieter

Die Vermieter haben dafür folgende Anreize: Einerseits haben sie beim Vorhandensein einer Mietkautionsversicherung tendenziell weniger Verwaltungsaufwand. Zudem erhalten sie von den Versicherungen eine finanzielle Entschädigung, falls sie zum Abschluss einer Mietkautionsversicherung verhelfen.

Der Hauseigentümerverband (HEV) will dies nicht kommentieren. Direktor Markus Meier betont jedoch, dass der Abschluss einer Kautionsversicherung anstelle eines Mietzinskautionskontos «auf Wunsch der Mietpartei» zustande komme.

Fast alle empfehlen Mietkautionsversicherungen

Ein Sprecher von Mobiliar und Swisscaution bestätigt derweil, dass es «Zusammenarbeitsvereinbarungen zwischen Immobilienverwaltungen und Versicherungen» gibt. Diese würden jedoch eine «untergeordnete Rolle» spielen: «Das grosse Wachstum ist in erster Linie auf die steigende Nachfrage von Mieterinnen und Mietern zurückzuführen.»

Bei Helvetia klingt es ähnlich: «Gemäss unserer Einschätzung sind Kick-backs bei den meisten Anbietern nicht die Regel und stehen beim anhaltenden Wachstum nicht im Vordergrund», so ein Sprecher.

Tatsache ist, dass grosse Immobilienfirmen und Verwaltungen aktiv für Mietkautionsversicherungen werben.

Auch der HEV macht die «Alternative zur Bareinlage» schmackhaft: «Die Bürgschaft (...) kostet Sie als Mieter nur eine günstige Versicherungsprämie und hat den Vorteil, dass Sie frei über Ihr Geld verfügen können», steht auf hev-schweiz.ch. Dass eine Mietkautionsversicherung deutlich teurer ist als ein Depot, wird nirgends erwähnt. Stattdessen wird auf die Website des Vertragspartners Zurich Versicherung verlinkt.

Am günstigsten ist ein Mietzinsdepot

SBB und Post, die dank ihres Immobilienportfolios zu den grössten Vermietern im Land gehören, machen ebenfalls Werbung für Kautionsversicherungen. «Schliessen Sie die Mietkautionsversicherung gleich online ab», werben die SBB in Zusammenarbeit mit Axa und einem kleineren Anbieter. Noch offensiver die Post: «Blockieren Sie nicht drei Monatsmieten auf einem Bankkonto», fordert der Staatskonzern, um ein Angebot von Swisscaution schmackhaft zu machen. Besonders «günstige Konditionen» verspricht der gelbe Riese jungen Leuten unter 26 Jahren.

Auch hier wird verschwiegen: Mit Abstand am günstigsten wäre ein Mietzinsdepot.

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