«Die Fasern der Palme sind leicht entflammbar»
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Experte erklärt:«Die Fasern der Palme sind leicht entflammbar»

Invasiv, bedroht Wälder, lodert wie eine Fackel
Die Tessinerpalme ist brandgefährlich!

Sie gilt als schönstes Wahrzeichen der Sonnenstube. Doch mit dem Klimawandel und der zunehmenden Dürre zeigen sich auch die Schattenseiten von Trachycarpus fortunei. Die sogenannte Tessinerpalme ist invasiv, bedroht Auen- sowie Schutzwälder und brennt wie eine Fackel.
Publiziert: 30.08.2022 um 08:19 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2022 um 12:38 Uhr
Myrte Müller

Sie ist der Star der Sonnenstube. Sie ragt aus jedem Garten, in viele Selfies, ist auf jeder Ansichtskarte der Hingucker: die Tessinerpalme. Selbst bei der Rekord-Trockenheit bewahrt Trachycarpus fortunei Haltung. Laut einer repräsentativen Umfrage von 2021 lieben 80 Prozent der Tessiner ihre «Palma ticinese». Nirgends auf der Welt gibt es so viele dieser Art auf einem Fleck wie im Südkanton. Doch die schöne, einst aus China stammende Hanfpalme hat auch Schattenseiten – nicht nur im Gegenlicht der glühenden Sonne.

Guido Maspoli (55) wischt die niedrigen Blattfächer zur Seite. Der Biologe des kantonalen Amtes für Natur- und Landschaftsschutz schreitet über den Trampelpfad durch den neuen Dschungel von Tegna TI. Früher bestand der Auenwald am Ufer der Maggia aus Linden, Erlen, Eschen, Hainbuchen. «Jetzt verdrängen Palmen die Laubbäume», sagt Maspoli und zeigt auf den dichten Palmenhain, der wie eine meterhohe Mauer den sandigen Weg säumt.

Invasive Palme bedroht Auen- und Schutzwälder

Über 5000 Quadratmeter Auenwald seien betroffen, so der Tessiner, «der Palmenwildwuchs beginnt, wo die Gärten enden». Die Palmen seien auf den privaten Grundstücken gepflanzt worden. Und wenn die Früchte nicht abgeschnitten würden, «dann verbreiten Vögel die Samen im Wald. Die Palmen wachsen dicht an dicht, nehmen dem Waldboden das Sonnenlicht und den jungen Bäumen den Raum zum Wachsen», erklärt Guido Maspoli.

Sie gehört zur Sonnenstube wie Merlot und Rustici: Die Tessinerpalme. Jede Villa am Hang, wie hier in Brione s. Minusio, hat mindestens eine Palme im Garten.
Foto: Myrte Müller
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Doch es gelte nicht nur, den geschützten Auenwald zu retten. Ebenso besorgt schaut Maspoli auf den Steilhang über der Centovallina-Bahn und der Kantonsstrasse in Solduno TI. «Dort haben sich Palmen ausgesät. Sie bedrohen den Schutzwald und könnten eines Tages ein Sicherheitsrisiko bedeuten. «Die Palmen stellen eine Brandgefahr dar. Flammen im Hain sind sehr schwer zu kontrollieren», so Guido Maspoli weiter. «Ich will kein Feuerwehrmann sein, wenn der Palmenwald brennt.» Das Feuer käme den Siedlungen gefährlich nahe.

Seit 40 Jahren ist Alain Zamboni (63) bei der Feuerwehr in Locarno TI. Palmenbrände kennt der Kommandant gut. «Meist gehen einzelne Palmen in Flammen auf. Oft weil Leute den Bast am Stamm mit dem Feuerzeug anzünden», sagt Maspoli, «das Feuer breitet sich rasant aus, steigt in die Krone und lodert wie eine Fackel, ist meist nach einer Minute schon abgebrannt». Sein Rat: «Nicht in Palmennähe grillieren oder Feuer machen und Wasser zum Löschen bereithalten.»

Eingriffe in Palmenwälder sind sehr kostspielig

Noch seien keine grossen Feuer in Tessiner Palmenhainen bekannt, sagt Boris Pezzatti (50) von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Cadenazzo TI. «Doch wenn die Palmen in die Höhe gehen und vermehrt trockene Blätter entlang des Stamms tragen, dann erhöht sich auch das Brandpotenzial. Gott sei Dank, wachsen Palmen langsam.» Der Eingriff sei einfach, so Pezzatti: «Da sie nur eine Knospe haben, kann die Palme, wenn sie einen Meter Höhe erreicht, abgesägt werden.»

Seit zwei Jahren arbeiten der Umweltnaturwissenschaftler und sein Kollege Vincent Fehr (34) an einer Studie über die Chinesische Hanfpalme oder auch Palma di Fortune, benannt nach dem britischen Botaniker Robert Fortune (1812–1880). Auf einer Karte zeigen die Forscher, wo überall die Palme wuchert: vor allem im Südtessin und entlang der Täler – bis hinauf nach Faido TI. Es seien mittlerweile so viele, dass effektive Eingriffe sehr kostspielig würden. «Sogar in Zürich gibt es die ersten wilden Palmen», sagt Vincent Fehr, «sie können Minusgrade ertragen, doch keinen Dauerfrost.» Milde Winter aufgrund des Klimawandels könnten den Palmenwuchs fördern.

Diego Glaus (54) ist ein Fan der majestätischen Pflanze. Im 27'000 Quadratmeter grossen Parkgarten seines Hotels in Losone TI stehen über 400 Palmen. Manche von ihnen sind über 100 Jahre alt. «Sie geben dem Albergo Losone das mediterrane Flair», sagt der Hotelier. Als 1955 seine Eltern das Hotel eröffneten, schenkte die Gemeinde Losone dem Ehepaar eine «Glückspalme». «Vier Gärtner kümmern sich um den Palmengarten, schneiden regelmässig die Früchte ab», sagt Glaus. «Auch wenn sie invasiv sein können – für mich sind die Palmen einfach nur wunderschön».

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