«Ein Teil des Immunsystems kommt nicht zur Ruhe»
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Onur Boyman vom USZ:«Ein Teil des Immunsystems kommt nicht zur Ruhe»

Interview mit einem Pionier der Corona-Forschung über Long Covid
«Wir brauchen flächendeckende Tests»

Long Covid ist ein medizinisches Rätsel. Onur Boyman von der Uni Zürich fand erste Hinweise, es zu lösen. Bis zur Heilung von Betroffenen wird es aber noch dauern.
Publiziert: 11.02.2024 um 10:44 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Herr Boyman, waren Sie an Corona erkrankt?
Onur Boyman: Heftig sogar. Ich hatte eine Atemwegsinfektion und mehrere Tage Fieber. Glücklicherweise wurde daraus kein Long Covid.

War das wirklich Glück?
Ich habe das Glück, kein Asthma zu haben – das ist ein Risikofaktor für Long Covid. Auch die Impfung habe ich gut vertragen und ausreichend Antikörper gebildet, was mein Long-Covid-Risiko stark gemindert hat. 

Was ist Long Covid überhaupt?
Ein Langzeitschaden nach einer akuten Virusinfektion. Bei Long-Covid-Patienten kommt ein Teil des Immunsystems nicht mehr zur Ruhe; dieser Teil heisst Komplementsystem.

Professor Onur Boyman von der Uni Zürich ist ein Pionier der Long-Covid-Forschung.
Foto: Linda Käsbohrer
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Warum ist es schlimm, wenn ein Teil des Immunsystems nicht mehr zur Ruhe kommt?
Stellen Sie sich einen Haushalt vor. Das Komplementsystem säubert den Haushalt, indem es einerseits Viren und andere Mikroben bekämpft. Es arbeitet so lange, bis diese Viren und Mikroben ausgeknockt sind. Andererseits wischt das Komplementsystem auch tote Zellen weg, die normalerweise anfallen. Bei Long-Covid-Patienten kommt dieses Komplementsystem jedoch nicht zur Ruhe. Es wischt weiter und weiter, obwohl längst alles gut ist – dadurch werden gesunde Zellen und gesunde Organe beschädigt. Das führt unter anderem zu einem massiven Leistungsabfall.

Was bedeutet das konkret?
Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Schwäche, Atemnot. Menschen können sich nicht mehr so rasch von körperlichen Anstrengungen erholen.

Was genau haben Sie jetzt über Long Covid herausgefunden?
Das Komplementsystem besteht aus vielen Eiweissen. Wir haben herausgefunden, welche Proteine im Blut von Long-Covid-Patienten von den Normwerten abweichen und dass dieser Teil des Körperabwehrsystems einfach nicht zur Ruhe kommt.

Wie kann man das heilen?
So weit sind wir noch nicht – es geht hier um Grundlagenforschung. Wir haben unsere Blutanalysen in einem Speziallabor mit sehr speziellen Methoden angefertigt. Eine Blutanalyse kostet 100 000 Franken und dauert mehrere Monate. Wichtig wäre nun, dass Pharmafirmen diesen Test vereinfachen und flächendeckend ermöglichen. Und dass sie einen Hemmer entwickeln, der das wild gewordene Komplementsystem zur Ruhe bringt.

Wie dramatisch ist Long Covid?
Für die Betroffenen ist es sehr dramatisch. Corona hat sie aus dem Leben gerissen – danach können sie nicht mehr zurück. Manche, zum Teil junge Menschen, können förmlich nicht mehr im normalen Leben Fuss fassen. Sie können sich kaum konzentrieren. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft Long Covid als Krankheit anerkennen, die Betroffenen solidarisch unterstützen und Wissenschaft und Politik hierfür die Rahmenbedingungen setzen.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?
Die ist hoch, weil die Menschen zum Teil gar nicht merken, dass ihr Leistungsabfall mit Long Covid zu tun hat. Es gibt ganz verschiedene Formen von Long Covid.

Das Kantonsspital Graubünden hat die Long-Covid-Sprechstunde abgeschafft. Was halten Sie davon?
Ich finde das sehr schade. Denn Menschen mit Long Covid haben ein wirkliches Gesundheitsproblem und benötigen medizinische Hilfe. Manche denken vielleicht, Long-Covid-Betroffene simulieren oder bauschen ihr Leiden auf. Das ist ein Fehlgedanke. Es ist wichtig, dass die Betroffenen einen schnellen Zugang zu Long-Covid-Spezialisten erhalten. Das kann auch bei einem niedergelassenen Arzt sein – aber in einem Kantonsspital ist eine Long-Covid-Sprechstunde eigentlich gut angesiedelt, weil hier ja auch die schwierigeren Fälle landen.

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