Was können wir gegen die Herbstwelle tun?
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Impfen, boostern, 2G:Was können wir gegen die Herbstwelle tun?

Impfungen und Massnahmen zum Trotz
Warum steigen die Corona-Fälle wieder so rasant an?

Nach einem Sommer mit zahlreichen Lockerungen und überall zugänglichen Impfmöglichkeiten schlägt jetzt die vierte Corona-Welle hart zu. Der Tessiner Epidemiologe Andreas Cerny erklärt, warum sich die Lage nun so rasant verschlechtert.
Publiziert: 18.11.2021 um 19:29 Uhr
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Aktualisiert: 19.11.2021 um 09:12 Uhr
Myrte Müller

Noch vor wenigen Wochen waren die Ansteckungszahlen tief. Zudem ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft. Doch jetzt zeigt die Infektionskurve in der Schweiz steil nach oben – nicht nur bei Ungeimpften. Auch die Hospitalisierungen bereiten Sorgen. Denn, so Andreas Cerny, «die Zahl der Spitaleinweisungen wegen Covid ist zwar jetzt noch vergleichsweise gering. Ein Anstieg tritt dort aber immer zeitversetzt ein. Man muss in den kommenden Wochen definitiv mit einer grossen Belastung für die Intensivstationen rechnen.» In sechs Punkten erklärt der Experte Andreas Cerny (65), warum es zur vierten Welle kam.

Die vierte Welle

«Epidemiologisch betrachtet, breitete sich die vierte Corona-Welle im Nordosten Europas aus, zuerst in Russland und in den baltischen Ländern. Sie schwappt nun mit Tempo auf die anderen Länder über», sagt der Tessiner Epidemiologe. Die Menschen würden sich jetzt mit der Delta-Variante infizieren. Diese sei sechsmal ansteckender als jenes Virus, das noch im Frühjahr kursierte.

Schlechte Impfquote bei Jungen

Ein weiterer Punkt ist die schlechte Impfquote der jüngeren Generation, die vor allem von den Infektionen betroffen sei. «Die Corona-Infizierten sind eher jung, aktiv und mobil», sagt Andreas Cerny. Die Statistik gibt ihm recht. So gibt es die höchste 7-Tage-Inzidenz (stand heute/gestern) in der Altersgruppe von 9 bis 19 Jahren (3178). In dieser Altersgruppe sind nur rund 39 Prozent doppelt geimpft.

Ohne Maske auf der Restaurantterrasse war im Sommer kein wirkliches Risiko. Das ändert sich jetzt im Winter. In Innenräume ist die Ansteckungsgefahr durch die Delta-Variante erheblich höher.
Foto: Manuel Geisser
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Impfschutz lässt nach sechs Monaten nach

«Bei Menschen, die zu Jahresbeginn und im Frühjahr geimpft worden sind, lässt der Impfschutz nach. Sie können sich zunehmend infizieren und somit auch andere anstecken», sagt Cerny. Die ersten Geimpften seien meist Senioren. «Werden sie infiziert, so steigt auch die Gefahr einer schweren Erkrankung oder gar eines tödlichen Krankheitsverlaufs», sagt der Tessiner Experte. Die Impfdurchbrüche würden vor allem in den höheren Altersgruppen zunehmen. «Hinweise dafür hatten wir schon von Studien aus Israel, Grossbritannien und den USA», so Andreas Cerny.

Die kalte Jahreszeit befeuert Ausbreitung

«Im Sommer halten sich die Menschen vor allem im Freien auf. Da ist die Ansteckungsgefahr erheblich geringer. Mit dem Fall der Temperaturen findet das Leben mehr in Innenräumen statt, und die Infektionsgefahr steigt». Auch das sei vorhersehbar gewesen, so der Epidemiologe. Man habe das ja bereits im vergangenen Winter so erlebt.

Die verpassten Massnahmen

«Die Gesundheitsbehörden sind nicht gewillt, Corona-Massnahmen intelligent zu verschärfen», kritisiert der Corona-Arzt. In vielen Schulen gäbe es noch immer keine Maskenpflicht, obwohl sich dort die meisten Menschen infizierten. Mitte Oktober gab Swissmedic grünes Licht für das Boostern. Statt sofort mit der dritten Impfung zu beginnen, sei mit der Impfkampagne für Impfverweigerer viel Zeit verschwendet worden. Und noch immer laufe die Impfstrategie schleppend. «Die Kantone haben mit der Impflogistik gezögert. Dabei müssen wir schnell reagieren», drängt Cerny. Ein Blick auf die Statistik bestätigt: Während beispielsweise in der zweiten Juniwoche dieses Jahres noch knapp eine halbe Million Menschen geimpft wurden, sind es in der zweiten Novemberwoche lediglich rund 80'000. «Dabei hatten wir einen Vorlauf von gut drei Wochen zur Welle in Slowenien und zehn Tag zu jener in Deutschland», sagt Andreas Cerny.

Die Verharmlosung

Die gemeldeten Fallzahlen entsprächen nicht den realen. Denn viele seien infiziert, ohne es zu merken, oder interpretierten die Symptome falsch. «Sie halten die Anzeichen für eine Grippe oder für die im Winter üblichen Erkältungen», sagt der Experte. Getestet würde in solchen Fällen nur selten. Andrea Cerny mahnt: «Diese Verharmlosung erhöht dann das Ausbreitungsrisiko.»

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