Heute vor 500 Jahren verloren die Eidgenossen bei Marignano
Der Flirt mit der Grossmacht

Es war eine nationale Katastrophe, wie sie sich vorher ne ereignet hatte: Die Schlacht von Marignano.
Publiziert: 13.09.2015 um 19:56 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:20 Uhr
Von René Lüchinger

Anfang des 16. Jahrhunderts war die Schweiz für kurze Zeit eine Grossmacht, wenn auch eine kleine, vor allem eine militärische», schreibt Autor Markus Somm in seinem Schlachtenbericht über Marignano, «zunächst als Juniorpartner Frankreichs, bald als eigener Akteur bewegte sich die Eidgenossenschaft auf der grossen Bühne der Weltpolitik: ein Rendezvous mit der Weltgeschichte, aber ein flüchtiges.» Und dann kommen eben jene zwei Tage, in denen der Flirt der Eidgenossen mit den Grossen auf dem Schlachtfeld im lombardischen Marignano im Blut der Gefallenen aus den ­eigenen Reihen buchstäblich ertränkt wird.

Es ist der 13. September 1515, vor 500 Jahren also. Und es beginnt wie immer, wenn die kriegserprobten Eidgenossen in den Krieg ziehen: Sie knien mit ausgebreiteten Armen nieder zum Gebet. Mit Inbrunst sprechen sie fünf Vaterunser und fünf Ave-Maria. Dann stehen sie auf und rücken gegen die Franzosen vor. Es ist ein Krieg um eine reiche Beute, um das Herzogtum Mailand. Dafür schicken die Eidgenossen die grösste Armee in die Schlacht, die sie in ihrer Geschichte je zusammengezogen haben – rund 30 000 Mann.

Es ist gegen 15 Uhr, als das grosse Morden beginnt. In drei Haufen, in der Mitte die Innerschweizer, rechts die Zürcher, links Luzerner und Basler, dringen die Eidgenossen tief in das Heerlager der Franzosen ein. Um 18 Uhr geht die Sonne unter, aber das Gemetzel geht weiter. Gegen Mitternacht ist es derart dunkel, dass die Krieger die eigene Hand nicht mehr sehen können, geschweige denn den Feind. Ermattet vom Kampf biwakieren beide Heere auf dem Schlachtfeld.

Markus Somm schreibt in einem Buch über Marignano.
Foto: Keystone
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Leichen und Verletzte verstopften die Kanäle

Das Dunkel der Nacht verschluckt eine beängstigende Szenerie. «Tausende von Männern waren bereits gefallen: zerstochen, erschossen, erschlagen, enthauptet, ertrunken», schreibt Autor Somm, «die Wassergräben, die die ganze Ebene durchzogen – Teil eines Bewässerungssystems in diesem fruchtbaren Land –, waren rot gefärbt vom Blut. Leichen und Verletzte verstopften die Kanäle.» Es gibt keinen Sieger in dieser Nacht.

Als es tagt, haben sich die Gewichte jedoch verschoben. «Während die Franzosen gut vorbereitet hinter ihren neuen Schanzen lauerten, war es den Eidgenossen schon schwer gefallen, sich überhaupt zu organisieren», urteilt Somm, «infolge vieler verstohlener Abgänge war ihr Heer sichtlich geschrumpft, nicht bloss die Motivation hatte abgenommen, sondern auch die Disziplin.»

Als die Urner vorwärtsstürmen, kommt noch einmal Hoffnung auf. Der Kampf wogt hin und her. Gegen die französische Reiterei und die Artillerie haben die Eidgenossen aber letztlich keine Chance, auch wenn sie buchstäblich kämpfen bis aufs Blut. Es gibt diese überlieferte Geschichte des Baslers Hans Bär, Sohn eines Ratsherrn, der das Fähnlein seiner Stadt trägt. Niemals darf dieses in die Hände des Feindes fallen. Als ihm eine französische Kanonenkugel beide Beine wegschiesst, kriecht er auf seinem Rumpf über den Boden und übergibt das Fähnlein mit letzter Kraft einem Basler Kameraden. Er selber bleibt tot liegen.

Markus Somm zieht schliesslich eine düstere Bilanz: «In den letzten Stunden der Schlacht, an jenem von neuem prächtigen Freitagmorgen im September 1515, starben wohl die meisten Schweizer. Die Gräben hatten sie abermals abgebremst, von den Franzosen waren in der Nacht noch zusätzliche angelegt worden. Ausserstande die französische Artillerie auszuschalten, gingen die Eidgenossen nieder, sie wurden zerfetzt, zerrissen und zerlegt. Auch den französischen Kavalleristen, die mit Bogen und Gewehren auf sie einschossen, hatten sie nicht mehr viel entgegenzusetzen; die eigenen Büchsen versagten, da das Schiesspulver beim Durchwaten der Kanäle nass geworden war – und den Landsknechten waren die eidgenössischen Krieger, nun in drastischer Unterzahl, zum ersten Mal in der schweizerischen Militär­geschichte nicht mehr gewachsen. Gegen Mittag, nach vier bis fünf Stunden, brach die Organisation der Eidgenossen zusammen.»

Marignano war eine einzigartige nationale Katastrophe

So unrühmlich endet der Flirt der Alten Eidgenossenschaft mit der Weltgeschichte. Die Welt für die Schweizer «war eine andere geworden», schreibt Somm, «hinter sich auf der Ebene bei Marignano hatten sie wohl rund 15 000 Tote gelassen, davon, so schätzt man, waren zwei Drittel Schweizer. Eine enorme Zahl. In einer einzigen Schlacht. Es war eine nationale Katastrophe, wie sie sich vorher nie ereignet hatte und sie nie mehr geschehen sollte.»

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