Herdenimmunität nach Durchseuchung?
«Omikron könnte das Ende der Pandemie beschleunigen»

Noch liegen nur spärliche Daten zu Omikron vor, das schon im Januar zu einer weiteren Welle führen könnte. Wissenschaftler und auch Ökonomen sehen in der neuen Virusvariante einen Silberstreifen am Horizont. Omikron könnte das Ende der Pandemie einläuten.
Publiziert: 12.12.2021 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 12.12.2021 um 18:49 Uhr
Daniel Kestenholz

In Krisenzeiten werden oft Ökonomen zu Rate gezogen. Am 1. Dezember machten zwei renommierte Wirtschaftsstrategen der US-Investmentbank JP Morgan von sich reden. Sie fassten erste Erkenntnisse zur Omikron-Variante in einer Marktanalyse an Kunden zusammen - und machten vielen Hoffnung: «Während es wahrscheinlich ist, dass Omicron übertragbarer ist, deuten erste Berichte darauf hin, dass es auch weniger tödlich sein könnte», schrieben die JP Morgan-Ökonomen Marko Kolanovic und Bram Kaplan. Dies, folgerten sie, würde «ins Muster der historisch beobachteten Virusentwicklung passen». Auf Deutsch: Die Omikron-Variante «könnte das Ende der Pandemie beschleunigen».

Dieser Ansicht scheinen inzwischen auch Epidemiologen in der Schweiz zu sein. Delta dominiert zwar weiterhin das herausfordernde Pandemiegeschehen, doch Omikron könnte sich als Licht am Ende des Tunnels erweisen. Omikron ist nach Beobachtungen insbesondere in Südafrika weitaus ansteckender als Delta, dürfte aber deutlich weniger krank machen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO kann weiterhin keinen einzigen durch Omikron verursachten Todesfall bestätigen. Bislang wurden auch nur vereinzelt schwere Verläufe beobachtet.

Die Virologin Isabella Eckerle (41) vom Universitätsspital Genf geht zwar davon aus, dass die Variante auch in der Schweiz «in wenigen Wochen dominant sein könnte». In einem längeren Twitter-Beitrag warnt sie: «Es ist realistisch, dass es zum Beispiel im Januar sehr viele Infektionen in allen Bevölkerungsgruppen in sehr kurzer Zeit geben wird.» Diese Welle zusätzlich zu Delta werde das Gesundheitssystem zusätzlich beanspruchen. Ein Ende mit Schrecken? Eckerle prophezeit «auch generell Ausfall von Personal in vielen Bereichen».

Offenbar ansteckender, doch harmloser als Delta: Die Omikron-Variante könnte laut Experten das Ende der Coronavirus-Pandemie einläuten.
Foto: imago images
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Mit Durchseuchung...

Doch die Virologin sieht einen Silberstreifen am Horizont: «Der positive Aspekt» von einer «kurzen und massiven Omikron-Welle könnte sein, dass danach das Infektionsgeschehen schnell absinkt und wir die endemische Situation erreicht haben». Endemisch, das sind örtlich begrenzt auftretende Infektionen, um Unterschied zu pandemisch mit seuchenartiger Ausbreitung über grosse Gebiete.

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In der «Sonntagszeitung» sagt die Wissenschaftlerin, es drohe eine eigentliche Durchseuchung mit Omikron, Praktisch alle würden sich anstecken. Aber genau dadurch führe das Virus womöglich zu einer Herdenimmunität: «Omikron ist so ansteckend, dass dieses Virus unser Ticket in die endemische Situation sein könnte.»

Eckerle geht davon aus, dass Omikron ein Wegbereiter sei, damit die Immunität gegen Sars-CoV-2 im Laufe der Zeit immer belastbarer und «breiter» werde. Sie betont, dies seien Spekulationen, für die es noch keine wissenschaftlichen Daten gebe. Doch «vor allem, wenn die Mehrzahl der Menschen geimpft oder irgendwann mehrfach infiziert war, würde man mit einer neuen Variante besser klarkommen, da sie auf keine vollkommen immun-naive Bevölkerung mehr trifft».

Auffrischungs-Impfungen schützen gegen Omikron

Israelische Forscher haben festgestellt, dass eine Dreifachimpfung mit dem Vakzin von Pfizer und BioNTech einen signifikanten Schutz gegen die neue Omikron-Variante bietet. «Die gute Nachricht ist, dass sich der Schutz mit der Auffrischungsdosis um das Hundertfache erhöht», sagt Gili Regev-Yochay, Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten des Sheba Medical Centers in Tel Aviv gegenüber Reportern.

Der Schutz sei zwar immer noch etwa viermal niedriger als der gegen die Delta-Variante. Aber die insgesamt gute Wirkung des Vakzins stimme die Forscher optimistisch. Bisher gebe es keine Erkenntnisse darüber, ob und wann auch die Booster-Wirkung nachlassen wird, erklärt die Forscherin. Sheba hat die Studie in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Virologie-Labor des Gesundheitsministeriums durchgeführt. (SDA)

Israelische Forscher haben festgestellt, dass eine Dreifachimpfung mit dem Vakzin von Pfizer und BioNTech einen signifikanten Schutz gegen die neue Omikron-Variante bietet. «Die gute Nachricht ist, dass sich der Schutz mit der Auffrischungsdosis um das Hundertfache erhöht», sagt Gili Regev-Yochay, Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten des Sheba Medical Centers in Tel Aviv gegenüber Reportern.

Der Schutz sei zwar immer noch etwa viermal niedriger als der gegen die Delta-Variante. Aber die insgesamt gute Wirkung des Vakzins stimme die Forscher optimistisch. Bisher gebe es keine Erkenntnisse darüber, ob und wann auch die Booster-Wirkung nachlassen wird, erklärt die Forscherin. Sheba hat die Studie in Zusammenarbeit mit dem Zentralen Virologie-Labor des Gesundheitsministeriums durchgeführt. (SDA)

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Auch die ungarische Biochemikerin Katalin Kariko (66), Vizepräsidentin von Biontech und Miterfinderin des mRNA-Impfstoffes, sieht in Omikron einen möglichen Ausweg aus der Pandemie: «Wenn es wirklich der Fall ist, dass Omikron die Delta-Variante verdrängt, weil es ansteckender ist, jedoch keine schwere Krankheit verursacht, dann brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, ich bin sehr optimistisch». Das sagte die Wissenschaftlerin diese Woche im staatlichen ungarischen Radiosender «Kossuth». Wenn sich Omikron schneller verbreite und Symptome milder seien, «könnte eine Herdenimmunität erreicht werden», so Kariko.

Auch Anthony Fauci (80), der Corona-Chefberater von US-Präsident Joe Biden (79), sprach von «ermutigenden Beobachtungen» und einer möglichen Wende in der Pandemie. Doch noch immer liegen nur wenige Daten vor. Omikron könnte zu einer weiteren grossen Welle führen und - insbesondere bei tiefer Impfquote - einen hohen Preis fordern.

Optimistischer Ausblick für 2022

Dessen ungeachtet sind die Strategen von JP Morgen, die in Omikron schon vor Wochenfrist den Anfang vom Ende der Pandemie sahen, zuversichtlich: «Wenn ein weniger schwerwiegender und besser übertragbarer Virus die schwereren Varianten schnell verdrängt, könnte die Omikron-Variante ein Katalysator sein, der eine tödliche Pandemie in etwas verwandelt, das der saisonalen Grippe ähnlicher ist», lautete ihre Analyse am 1. Dezember. Dies könne das Ende der Pandemie beschleunigen.

Diese Woche legte Kolanovic, JP Morgans Chefstratege für globale Märkte, mit einem optimistischen Ausblick für 2022 nach: «Wir gehen davon aus, dass 2022 das Jahr der vollständigen weltweiten Erholung, des Endes der Pandemie und der Rückkehr zu normalen Wirtschafts- und Marktbedingungen sein wird, wie wir sie vor dem Ausbruch von Covid-19 hatten.»

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