Hüttenwarte Reto (51) und Barbara Salis (44) erzählen vom letzten Abend mit den Vermissten
«Sie versprachen uns, dass sie wiederkommen»

Reto und Barbara Salis sind mit die Letzten, die aus dem Todestal in Sicherheit geflogen wurden. Und wohl die Letzten, die die vermissten Wanderer lebendig gesehen haben.
Publiziert: 25.08.2017 um 18:37 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 19:24 Uhr
Interview mit Barbara Salis
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Wirtin der Sciorahütte spricht über das Erlebte:Interview mit Barbara Salis
Myrte Müller

Sie kennen den Cengalo wie ihre Hosentasche. Von der Sciora-Hütte aus sehen sie direkt auf die wunde Flanke des Piz Cengalo. Reto und Barbara Salis erlebten in den letzten Jahren jeden Felssturz, jeden Murgang. «Es ist nur der Cengalo, der sich bewegt, die anderen Berge sind stabil», beobachtet Reto Salis. 

Hüttenwartin Barbara Salis (44) verliert mit der Sciora-Alp ihre zweite Heimat.
Foto: Giancarlo Cattaneo

Seit 2011, als sich schon einmal 1,5 Millionen Kubikmeter Fels vom Massiv lösten, gilt der Weg zur Hütte als gefährlich. «Wir warnen jeden Wanderer», sagt Barbara. Auch die Gruppe, die am Dienstagnachmittag gegen 16 Uhr auf der Sciora-Alp eintrudelt. 

Foto: Giancarlo Cattaneo

«Es hatte sich an dem Nachmittag ein kleineres Felsstück gelöst, und die Alp lag im Staubdunst», erinnert sich Barbara Salis. Die Schweizer, deutschen und österreichischen Wanderer waren gut drauf. «Sie hatten eine schöne Wanderung hinter sich», sagt Barbara weiter. Sie hätten nur festgestellt: «Es rumpelt ja ganz schön.»

Die Stimmung war sehr herzlich und heiter

Am Abend habe man zusammengesessen, Minestrone, Reis und Fleischbällchen aufgetischt. «Es hatte allen geschmeckt. Die Stimmung war sehr herzlich und heiter», sagt die Hüttenwartin weiter.

Hüttenwart Reto Salis ist seit neun Jahren jeden Sommer auf der Sciora-Alp.
Foto: Giancarlo Cattaneo

Am nächsten Tag will das Schweizer Ehepaar weiter zur nächsten Hütte, der Sasc Furä. Die anderen, darunter ein Vater mit seiner 20-jährigen Tochter, sind auf dem Heimweg. «Dass wir womöglich die Letzten waren, die diese Gruppe lebend gesehen haben, bricht mir das Herz», sagt Reto Salis. Beim Abschied versprechen die Gäste noch: «Wir kommen wieder!» Eine Stunde später überrollt eine Schlamm- und Gesteinslawine das Bondascatal und den Wanderweg.

Foto: Giancarlo Cattaneo

Am Donnerstagabend endlich wird auch das Hüttenwartspaar aus dem Tal geflogen. «Vom Heli aus sahen wir zum ersten Mal das ganze Ausmass der Katastrophe», erzählt Barbara, «da packte mich eine tiefe Traurigkeit.»

«Die Wanderer können nicht überlebt haben»

Die Realität habe sie eingeholt. «Angesichts der Steinlawine wurde uns klar: Die Wanderer können nicht überlebt haben», sagt Reto Salis, «sie liegen höchstwahrscheinlich unter 10 bis 15 Metern Geröll.»

Es ist nicht nur das Entsetzen über den möglichen Tod ihrer Gäste, das dem Paar die Tränen in die Augen treibt. «Uns wurde bewusst, dass der Hüttenbetrieb ernsthaft gefährdet ist», sagt die Südbündnerin, die in Bondo zur Welt kam. «Die Hütte gehörte schon meinen Eltern. Ich ging mit sechs Jahren auf diese Alp. Es ist meine zweite Heimat.»

Den Alpenweg Bregaglia wird es in dieser Form nicht mehr geben.
Foto: Giancarlo Cattaneo

Zudem wurde das Maiensäss ihrer Eltern vom Geröllstrom erfasst und komplett zerstört. «Wir wissen nicht, ob – und wenn ja wann – wir wieder auf unsere Hütte können», sagt Barbara Salis und fügt mit stockender Stimme hinzu: «Eines ist sicher: Das Bondascatal wird nie mehr wieder so sein wie einst.»

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