Savognin lockt Touristen mit Corona-Märchen an
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Graubünden distanziert sich:Savognin lockt Touristen mit Corona-Märchen an

Graubünden distanziert sich von krudem Werbevideo
Savognin lockt Touristen mit Corona-Märchen an

In Videos wirbt die Tourismus Savognin Bivio Albula AG für ihre Region – mit Falschaussagen des Chirurgen René Zellweger zum Coronavirus. Graubünden Ferien distanziert sich vom Inhalt.
Publiziert: 14.05.2020 um 13:47 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2020 um 11:19 Uhr
Marsel Szopinski

Die meisten Schweizer werden diesen Sommer wegen der Corona-Pandemie in ihrer Heimat verbringen. Deshalb fährt die Tourismusbranche ihre Werbemaschinerie hoch, um möglichst viele Reisende anzulocken. So auch die Ferienregion Savognin-Bivio-Albula in Graubünden.

In einem Werbevideo erklärt nun der Arzt – ein Chirurg, kein Virologe – René Zellweger vom Spital Savognin, weshalb die Touristen bedenkenlos ins Oberhalbstein reisen können. Mit Aussagen, die entgegen den Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit gehen und zum Teil falsch sind. Hier einige Beispiele:

Oberflächen desinfizieren sei sinnlos

Zellweger behauptet, dass Oberflächen – beispielsweise in Restaurants – gar nicht desinfiziert werden müssten. Es gebe Beweise, dass «Schmierinfektionen gar nicht möglich» seien. Der Arzt bezieht sich auf eine Studie des deutschen Virologen Hendrik Streeck dem es nicht gelungen ist, von Türklinken intakte Viren anzuzüchten. «Das deutet zumindest darauf hin, dass sich die meisten Menschen nicht über Oberflächen anstecken», sagt er in einem Interview mit der «Zeit». Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) gibt auf seiner Website keine Entwarnung: «Wenn eine mit dem Coronavirus infizierte Person – anstatt in ein Taschentuch oder die Armbeuge – in die Luft niest oder hustet, bleiben Tröpfchen mit Viren auf Oberflächen haften.»

Über Oberflächen könnte man sich nicht anstecken, behauptet Arzt René Zellweger in einem Werbevideo der Tourismus Savognin Bivio Albula AG. Deshalb müsse man zum Beispiel keine Tische in Restaurants desinfizieren.
Foto: Screenshot Tourismus Savognin Bivio Albula AG
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Falls nun jemand diese Oberflächen berührt und sich danach mit der Hand an Auge, Nase oder Mund fasst, gelangen die Viren in den Körper. «Sie können sich infizieren», schreibt das BAG deutlich. Deshalb müssen Geschäfte Kontaktflächen regelmässig desinfizieren – und alle sich die Hände waschen. Unklar ist allerdings, wie lang die Erreger auf Oberflächen aktiv bleiben.

Coronaviren würden bei schönem Wetter zerstört

Weiter vertritt Zellweger die Meinung: «Viren mögen keine Sonne und Wind. Da oben, das ist überhaupt kein Problem mit diesen Viren. Es gibt keine Gefahr einer zweiten Welle. Ich kann sie beruhigen.» Was auf andere Virenfamilien zutreffen mag, stimmt bei Sars-Cov-2 nicht. Hierzu schreibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO): «Sie können an Covid-19 erkranken, unabhängig davon, wie sonnig oder heiss das Wetter ist.» Schönes Wetter ist also nicht automatisch ein Corona-Killer.

Laut einer neuen Studie eines kanadisch-schweizerischen Forschungsteams wird der Sommer die Übertragung des Coronavirus nicht verlangsamen. Die Forscher fanden keine Hinweise darauf, dass Gebiete mit warmem Wetter im März einen Vorteil gegenüber kälteren Klimazonen hatten.

Die WHO weist auf Länder mit heissem Klima hin, die trotzdem viele Corona-Fälle vermelden. Ein Blick nach Indien zeigt: Es herrschen derzeit Temperaturen über 30 Grad Celsius. Dennoch haben sich über 78'000 Menschen mit dem Virus angesteckt. 2551 sind gestorben.

«Wir hatten gar keine erste Welle!»

Einige von Zellwegers Aussagen grenzen an Verschwörungstheorien. «Wir hatten gar keine erste Welle», sagt er in einem anderen Video, das ebenfalls auf dem Youtube-Kanal des Tourismusunternehmens öffentlich zu sehen ist. Was ist also mit den über 30'000 Infizierten in der Schweiz? Mit den fast 1900 Corona-Toten? Auch Graubünden wurde nicht von der Pandemie verschont.

Ausserdem gibt der Arzt den Medien die Schuld: «Was wäre passiert wenn wir in den letzten Monaten diese Medien, diese Internetverbindungen, diese Fernsehsendung nicht gehabt hätten? Ich nehme an, wir wären da weiter Ski gefahren!», sagt er und zeigt auf die Berge. «Man hätte sicher ein paar Patienten gehabt. Man hätte aber nicht die Folgen für Gesundheit und Wirtschaft.»

Dass Skigebiete wie Ischgl (A) ennet der Schweizer Grenze zur Drehscheibe des Virus in ganz Europa wurden, lässt der selbsternannte Experte aus.

Masken seien «nicht sinnvoll»

Laut dem Konsiliararzt sei es «nicht sinnvoll», Masken zu tragen. Es seien Keimschleudern und «man atmet die schlechte Luft wieder ein». Das BAG schreibt dazu: «Wenn Sie zum Beispiel im ÖV den Abstand von 2 Metern zu anderen nicht einhalten können, empfehlen wir Ihnen dringend eine Maske zu tragen.»

Gefragt, ob ein Hotelgast mit dem Coronavirus in Quarantäne soll, antwortet der Arzt, «Nein. Im Normalfall muss das nicht sein, da die meisten keine Symptome haben. Nur ganz wenige werden schwerkrank. Und das sind Leute mit Vorerkrankungen – und das sind ja nicht die normalen Gäste eines Hotelbetriebs.» Auch hier liegt Zellweger laut BAG im Unrecht: «Es gibt Personen mit einer Ansteckung, die gar keine Symptome haben. Sie wissen dann nicht, dass sie angesteckt sind und können deshalb das neue Coronavirus unbemerkt an andere Personen weitergeben.»

Graubünden Ferien distanziert sich von Video

Der übergeordnete Tourismusverein Graubünden Ferien hat Kenntnis vom Video. «Wir distanzieren uns von diesem Inhalt und haben dies auch der Geschäftsführung von Tourismus Savognin Bivio Albula AG mitgeteilt», sagt Sprecher Luzi Bürkli zu BLICK. «Die in dem Video gemachten Aussagen entsprechen in keiner Weise der Haltung von Graubünden Ferien. Wir halten uns an die Weisungen des Bundesamtes für Gesundheit und des kantonalen Krisenstabes.» Es sei wichtig, dass sämtliche Verhaltensregeln, Weisungen und Schutzkonzepte im Tourismus eingehalten werden.

Luzi Thomann, der Verwaltungsratspräsident der Tourismus Savognin Bivio Albula AG, sieht in Zellwegers Aussagen keine Widersprüche zu den BAG-Empfehlungen. «Er rät sogar diese vernünftig umzusetzen», so Thomann. «Wir können verstehen, dass die Beiträge von Herrn Zellweger verschiedene Reaktionen auslösen.» Der Unternehmer stellt sich dennoch hinter den Arzt: Das Ziel sei es, die Einheimischen und Gäste im Tal zu informieren und ihnen die Ängste zu nehmen.

Zudem relativiert Thomann alle Aussagen von Zellweger – und stellt dabei auch das Coronavirus mit der Influenza auf die Waage: «Es waren aber Zahlen, die vergleichbar sind mit den Vorjahren bezüglich normaler Grippe.» Dabei zeigen Zahlen des Bundes das Gegenteil: Die aktuelle Pandemie hat beispielsweise im Tessin eine Übersterblichkeit verursacht, wie sie die Schweiz noch nie gesehen hat (BLICK berichtete).

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