«Wenn alles unten ist, komme ich wieder zurück»
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Brienzer Anwohner gelassen:«Wenn alles unten ist, komme ich wieder zurück»

Bergrutsch bedroht Brienz – Blick misst den Puls der Bewohner
Die Ruhe vor dem Felssturz

Die Situation am Berg in Brienz GR verschlimmert sich zunehmend. Während einige Bewohnerinnen und Bewohner Angst haben, geben sich andere betont gelassen. Ein Streifzug durch ein rutschendes Dorf.
Publiziert: 14.04.2023 um 18:04 Uhr

Teerstrassen weisen grosse Furchen auf, die Häuser haben Risse, der Kirchturm steht seit Jahren schief. Brienz GR in der Gemeinde Albula ist ein Dorf in Bewegung. Ein Haus musste schon abgerissen werden, weil es nicht mehr sicher gewesen wäre, darin zu wohnen. Schon seit Menschengedenken rutscht der Berg, doch jetzt hat sich die Situation noch einmal dramatisch verschärft.

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Dorf rutscht pro Jahr einen Meter in Richtung Tal

Das Dorf rutscht teils jährlich bis zu einen Meter in Richtung Tal, die Gefahr eines grossen Felssturzes bewerten die Behörden mit 60 Prozent als sehr wahrscheinlich. Bei einem Besuch von Blick zeigt sich das Bergdorf zunächst von seiner ruhigen Seite. Die Kantonsstrasse ist gesperrt, die enge, sichere Zufahrtsstrasse verläuft teils durch den Dreck. Die Stimmung ist lauschig, nur der Kirchturm durchbricht ab und zu die Stille. Und dann der Berg: Denn die kleineren Felsstürze sind laut. Sehr laut.

Die Brienzerinnen und Brienzer sind verunsichert. Seit Donnerstag wissen sie: Eine Evakuierung des Dorfes ist sehr wahrscheinlich, denn es scheint nicht so, als würde sich der Berg so schnell wieder beruhigen. Einer der Einwohner ist der Italiener Pietro Lazzara (45). Er hat vor fünf Jahren im Dorf ein Haus gekauft. Zusammen mit seiner Frau und seinen sechs Kindern im Alter von 6 bis 20 Jahren haben sie damals auf der Sonnenterrasse oberhalb von Tiefencastel ein neues Zuhause gefunden.

Gastronom und Anwohner Pietro Lazzara macht sich Sorgen um die Zukunft seiner Kinder.
Foto: Thomas Meier
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«Jetzt rumpelt es schon mehrmals pro Tag»

«Damals rumpelte es vielleicht ein- bis zweimal pro Woche. Jetzt ist es aber schon mehrmals pro Tag», sagt er. Lazzara hat es ausserordentlich schlimm getroffen. Er betreibt im nahegelegenen Filisur ein Restaurant. Weil er aber näher bei seinem Zuhause arbeiten wollte, pachtete er das einzige Restaurant in Brienz – nur fünf Gehminuten entfernt.

Weil sich die Situation am Berg jetzt aber so rapide verändert hat, kann er sein Restaurant aktuell gar nicht aufmachen. «Wir haben es sogar schon eingerichtet und waren schon mit der Brauerei wegen Bierlieferungen in Kontakt.» Nun trifft es die Familie Lazzara doppelt. Denn Vater Pietro hat seinen Job in Filisur per September gekündigt – um in Brienz das Restaurant zu führen. Gut möglich, dass er bald ohne Zuhause und ohne Job dasteht. Doch er gibt sich kämpferisch: «Ich bin Italiener, ich habe keine Angst.»

Sorgen macht er sich aber um seine Kinder: «Sie haben hier alle ihre Freunde und müssen vielleicht weg. Jetzt sind sie natürlich sehr traurig. Wenn wir dann zum Beispiel nach Chur ziehen müssen, lernen sie statt Rätoromanisch plötzlich Deutsch in der Schule.» Neben Lazzaras Haus verläuft die eine Strasse in Brienz, die es heftig getroffen hat. Der Teer senkt sich um mehrere Zentimeter ab, die Gemeinde kann die Strasse schlicht nicht instand halten, weil sich der Boden derart schnell bewegt. «Die Strasse macht uns die Autos kaputt!», klagt Lazzara.

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«Wozu soll ich mir Sorgen machen?»

Etwas anders gibt sich Renato Liesch (43). Er wohnt von Kindesbeinen an in Brienz und zelebriert die Bündner Gelassenheit: «Diese Situation bin ich gewohnt. Die Steine gehen immer abwärts, nicht aufwärts.» Liesch kaufte sich erst vor ein paar Jahren in Brienz ein grosses Haus und eine Scheune, die er beim Besuch von Blick auf einem Gerüst mit Mörtel und Steinen verschönert.

«Warum soll ich mir Sorgen machen? Wenn alle Steine unten sind, komme ich wieder zurück ins Dorf, dann schauen wir weiter», sagt er. «Und wenn nicht, gibt es noch Hunderte andere schöne Orte auf dieser Welt.» Dass nicht alle Brienzerinnen und Brienzer so denken, wie er, ist Liesch klar. Trotzdem sagt er lapidar: «Aber sie wissen, dass es so ist.»

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