Geologe warnt vor weiteren Katastrophen
Beim Aletsch sind 200 Millionen Kubikmeter Stein in Bewegung

Der Bergsturz von Bondo GR bewegt die Schweiz. Im ganzen Land stehen Gefahrenzonen unter erhöhter Beobachtung. Experten zieren sich davor, Prognosen abzugeben, wo die Naturgewalten in Zukunft zuschlagen könnten. Weil in Bergdörfern sonst Panik ausbrechen könnte.
Publiziert: 26.08.2017 um 10:21 Uhr
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Aktualisiert: 16.10.2018 um 12:47 Uhr
Marco Latzer

Felsstürze, Murgänge, Rutschungen. Die Schweizer Gefahren-Hotspots für Ereignisse wie in Bondo GR ziehen sich praktisch durch den ganzen Alpenraum. Experten sind sich einig: Mit den veränderten klimatischen Bedingungen und dem Abschmelzen unserer Gletscher werden diese Gefahren zunehmen. Instabile Hänge umfassen sechs Prozent der gesamten Landesfläche.

BLICK fragte bei mehreren Geologen nach, wo sich das nächste Bondo ereignen könnte. Erfolglos. «Die Bezeichnung von Orten mit gegenwärtig bekannten Instabilitäten, die unter sehr genauer Beobachtung stehen, kann grosse Verunsicherungen bei der örtlichen Bevölkerung hervorrufen und negative Auswirkungen auf den Tourismus haben», begründet ein ETH-Experte.

Ein Dorf auf dem Prüfstand

Dass es Dutzende solcher Orte gibt, ist unbestritten. In Brienz GR rutscht eine 200-Seelen-Ortschaft mit bis zu 55 Zentimetern pro Jahr talwärts (BLICK berichtete). Die Bewegungen im Untergrund sorgen für tiefe Risse in Wohnhäusern. Und von oben wird das Dorf durch Steinschläge und Murgänge bedroht. Aktuell herrscht Baustopp. «Im schlimmsten Fall muss vielleicht das ganze Dorf aufgegeben werden», fürchtet Ferienhausbesitzerin Helene Meier (71). Fast drei Millionen Franken investiert die Gemeinde in Nachforschungen, ob und wie die Gefahr gestoppt werden kann. Ausgang offen.

In der Nähe des Aletschgletschers rutschen riesige Mengen talwärts.
Foto: Keystone
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Grindelwald will kein Rutschdorf sein

Ein ganz anderes Problem hat Grindelwald BE. Im letzten Dezember informierte die Gemeinde sämtliche Hausbesitzer darüber, dass ihr Zuhause im Perimeterplan als «Rutschgebiet» aufgeführt wird. Darauf hagelte es 850 Einsprachen. Den Immobilien droht ein Wertverlust. Für Geologe Beat Keller handelt es sich vielerorts um ein hausgemachtes Problem: «Das 20. Jahrhundert war klimatisch äusserst gnädig – anders als die Zeiten davor. Der Mensch baute mit fehlendem Wissen in kritische Räume hinein. Jetzt holt uns die Vergangenheit ein!» 

Klimawandel macht Mega-Bauwerke notwendig

In vielen Gemeinden werden dadurch Jahrhundertbauwerke nötig. Solche Kosten belasten die traditionell klammen Bergdörfer finanziell massiv. Dass sich solche Investitionen auch lohnen können, zeigt das Beispiel von Pontresina GR. Wegen des schmelzenden Permafrosts wurde 2003 für 7,5 Millionen Franken ein wuchtiger Damm errichtet. Gemeindepräsident Martin Aebli (55) bilanziert: «Menschenleben und Häuser sind seither besser geschützt!» Ähnliche Schutzbauten finden sich auch in Sörenberg LU.

Bondo war kein ausserordentlich grosses Ereignis

Mit Schutzdämmen versucht der Mensch, Naturgefahren lokal auszuhebeln oder zumindest abzuschwächen. Überall dürfte dies nicht gelingen. Oberhalb von Riederalp VS ist im Gebiet Moosfluh eine riesige Geröllmasse unterwegs. 200 Millionen Kubikmeter, 50-mal mehr als in Bondo. Phasenweise beträgt die Bewegung bis zu 80 Zentimeter pro Tag. Auch der Betrieb der Bergbahnen wurde beeinträchtigt. Es ist eine ganz andere Dimension – wenn auch zurzeit fernab von Siedlungsgebieten.

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