«Warum müssen unsere Kinder leiden und sterben?»
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Bis in die Schweiz geflüchtet:«Warum müssen unsere Kinder leiden und sterben?»

Geflüchtet und traumatisiert – Alina Simeoni-Rossa (23) erzählt unter Tränen
«Mein kleiner Bruder spielt jetzt Krieg»

Dieses Video ist zum Lachen und zum Weinen zugleich: Der aus Kiew geflüchtete Petro Rossa (7) hat sich mit einem Töffhelm, einem Pfannendeckel und einem Schirm bewaffnet und spielt nun in der Schweiz Krieg. Blick spricht mit seiner Familie über ihre tagelange Flucht.
Publiziert: 09.03.2022 um 00:23 Uhr
Luisa Ita

Sie weinen und liegen sich nach ihrem Termin beim Bundesasylzentrum in Boudry NE in den Armen: Iryna Rossa (46) streichelt ihrer ältesten Tochter, Alina Simeoni-Rossa (23), tröstend über die Haare. Sie sind tief erschüttert und fassungslos über das aktuelle Weltgeschehen.

«Es tut einfach im Herzen unglaublich weh zu sehen, was derzeit mit unserem Volk passiert», sagen die beiden Frauen. Sie sind zwar in der Ukraine geboren, haben aber auch russische Wurzeln. «Das ist nicht mehr Krieg, das ist Terror!»

Eine Bombe ging nieder – dann flüchteten sie

Iryna Rossa flüchtete vergangene Woche mit ihren Kindern Anastasiia (12) und Petro (7) sowie ihrer Mutter Anelia Antoniukova (71) in die Westschweiz, weil ihre Schwester Lyudmyla Rigert (43) seit Jahrzehnten da lebt. Auch ihre älteste Tochter Alina (23) ist bereits vor einiger Zeit fürs Studium hierhergezogen.

Drei Generationen liegen einander in den Armen: Grossmutter Anelia Antoniukova (71, links), deren Tochter Iryna Rossa (46, rechts) und in der Mitte ihr Grosskind Alina Simeoni-Rossa (23).
Foto: Luisa Ita
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Ihre Familie habe bis vor kurzem friedlich zusammen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gelebt, als am 24. Februar plötzlich ganz in der Nähe ihres Wohnortes eine Bombe niedergegangen sei. So übersetzt Alina die Geschichte der dramatischen Flucht ihrer Liebsten. «Sie haben sofort alles, was sie konnten, in das Auto gepackt – aber sie hatten keine Zeit, sich gross Gedanken zu machen. Dann sind sie in Richtung Polen losgefahren.» Der Vater jedoch musste zurückbleiben, wie auch andere Familienmitglieder und viele Freunde.

«Putin, du Idiot!»

Schon etwa drei Kilometer vor der Grenze hätten sich die Autos dann dicht an dicht gestaut. Ganze 36 Stunden mussten ihre Mutter, die beiden Geschwister und die Grossmutter schliesslich dort in der Kälte im Fahrzeug ausharren, wie Alina weiter berichtet. Dann bricht sie in Tränen aus: «Ich habe während dieser Zeit nicht geschlafen. Ich hatte solche Angst!»

Schliesslich klappte zum Glück alles: Ihre Schwester Lyudmyla und ihr Mann konnten Iryna und ihre Angehörigen an der Grenze in Polen abholen. Seit einigen Tagen leben nun alle zusammen in ihrem Daheim in Estavayer-le-Lac FR. Wie es mit ihnen weitergehen soll, ist unklar.

«Sie alle sind psychisch angeschlagen und traumatisiert», sagt Lyudmyla unter Tränen zu Blick. Sie spielt auf dem Handy ein Video ab. Es zeigt einen kleinen Buben mit Töffhelm und einer aus Karton selbst gebastelten schusssicheren Weste. Er fuchtelt mit einem Regenschirm herum und hält einen Pfannendeckel als Schutzschild vor sich. Dabei ruft er in seiner Muttersprache: «Putin, du Idiot!»

Der Krieg hat dem kleinen Petro schwer zugesetzt

Alina klärt auf: «Das ist mein kleiner Bruder Petro. Er spielt jetzt daheim Krieg.» Ihre Tante ergänzt: «Ich habe das Video den Grosseltern in der Ukraine geschickt, die aus gesundheitlichen Gründen das Land leider nicht verlassen konnten. Sie mussten lachen und gleichzeitig weinen.»

Der Krieg habe bei dem Kind bereits ziemlich Spuren hinterlassen, erzählt Lyudmyla weiter. «Er hat daheim im Keller Kissen auf den Boden gelegt und gesagt, wir könnten dorthin flüchten, wenn wieder eine Bombe niedergehe.»

«Wir wollen doch nur Frieden!»

Ausserdem habe der siebenjährige Petro Angst vor den Securitas-Leuten, die beim Bundesasylzentrum für Ordnung sorgen. «Er sieht bloss die Uniformen und denkt, es seien die Russen.»

Petro ist nur eines von vielen Kindern, denen durch den Krieg die Kindheit geraubt wird. Seine grosse Schwester Alina sagt mit Tränen in den Augen zu Blick: «Das ist einfach nicht fair. Wir wollen doch nur Frieden!»


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