Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Schweiz ist anders

Publiziert: 18.12.2022 um 00:31 Uhr
Frank A. Meyer

Welch ein Drama – die Ersatzwahl zum Bundesrat und die Verteilung der Departemente: Alain Berset sitzen geblieben auf dem EDI, also nur noch Bundesrat auf Abruf; ausgerechnet Albert Rösti, der klimaschädliche Lobbyist, im Uvek; Elisabeth Baume-Schneider lediglich Justizministerin statt klimafreundliche Umwelt-Magistratin!

Alles schiefgegangen, von der Nichtwahl der gestrengen Baslerin Eva Herzog bis zur Abstrafung Alain Bersets bei der Wahl zum Bundespräsidenten mit bloss 140 Stimmen. Die Sozialdemokraten und die Grünen – Verlierer der Wahl und der anschliessenden Rochaden.

In der «SonntagsZeitung» nennt ein Leitartikler die SPS «die Debakel-Partei». Geht es nach dem grünen Zetermordio, war das Ganze unmoralisch, wenn nicht illegal: Ein SVP-Bundesrat im Umweltdepartement ist für die Klimabeseelten nichts weniger als eine «Schande», ja ein «Verbrechen».

Frank A. Meyer

Schlimmer gehts nimmer. Und schuld ist das Kindergärtner*innen-Duo an der Spitze der Genossen-Partei.

Wer’s nicht glaubt, zahlt einen Taler.

Es wäre allerdings anzumerken, dass sich das Schweizer Regierungssystem jeglicher Dramatisierung entzieht: sieben Gleiche, deren Präsident genauso gleich ist – und nach einem Jahr bereits wieder abzutreten hat. Das ist in der Tat keine Regierung, zu der sich rassige mediale Rhythmen komponieren lassen. Das Kollegium ist auf wundersame Weise über jeden Schlagzeilen-Journalismus erhaben, widersteht ihm sogar.

Hilflos wird deshalb vor dem Wahltag eine «Nacht der langen Messer» herbeifantasiert – und mit der Bar des Staatshotels Bellevue sogar ein Tatort herbeigezaubert. Nur fand dort noch nie Entscheidendes statt. Nicht einmal in der Nacht, die den Mythos vom Messer-Mord begründete: dem Vorabend der Nichtwahl von Liliane Uchtenhagen zur ersten Frau im Bundesrat.

Es war damals alles längst entschieden, wie auch in der Nacht vor der Nichtwahl des Christdemokraten Enrico Franzoni, als der Zürcher CVPler Paul Eisenring die Frage in die bunt besetzte Runde warf: «Wie buchstabiert man Franzoni?» Und der Basler Sozialdemokrat Andreas Gerwig buchstabierte: «H-ü-r-l-i-m-a-n-n.» Heiterkeit über den späten Gag hallte durchs Lokal. Die Wahl von Hans Hürlimann wenige Stunden später war da bereits perfekt eingefädelt.

Mit einer gelegentlichen Überraschungswahl in die Landesregierung erschöpft sich die politische Dramatik auf höchster institutioneller Ebene. Zu einem Theaterstück eignet sich das sonderbare Gremium nicht. Schon gar nicht dessen Departementsbesetzung.

Ist das Departement für Soziales, Gesundheit und Kultur, geleitet durch den SPSler Berset, weniger wert als das Finanzdepartement, geleitet von der FDPlerin Keller-Sutter? Ist das Justizdepartement, geleitet von der Linken Baume-Schneider, eine Abstellkammer im Vergleich zum Aussenministerium unter dem Mitte-Rechten Cassis? Muss sich die Mitte-Bundesrätin Amherd als Verteidigungsministerin mit einem minderen Ministerium begnügen?

Departemente wie Bundesräte – alle gleich: So ists gedacht. Ministerien verfügen über weit gefächerte Zuständigkeiten und grossen Gestaltungsraum. Wer ausfüllt, was ihm aufgetragen ist, wer in kollegialer Verantwortung auch noch die Geschäfte der sechs Mitregierer im Auge hat, der ist – in republikanischem Geiste – mächtig.

Deshalb verfehlen Überschriften wie «Machtpolitik gefährdet den Neustart» oder «Berset versauern lassen» auch ihr Ziel – es sei denn, es bestehe im Spannend-Machen einer letztlich unspannenden Angelegenheit.

Gleichheit ist nun mal langweilig – im besten demokratischen Sinn. Es fehlt das Oben und das Unten; es fehlen die zu erringenden herausragenden Machtpositionen; es fehlt daher das Machtspiel; es fehlen die daraus entstehenden Intrigen; und es fehlt aus diesem Grund auch jede «Nacht der langen Messer».

Der Florentiner Machtphilosoph Niccolò Machiavelli (1469–1527) wäre am Schweizer Bundesrat verzweifelt – und hätte sein weltberühmtes Werk «Il Principe» nie geschrieben.

Obwohl: Das Bundesratskollegium, so wohltemperiert es funktioniert, hat durchaus revolutionäre Wurzeln – im kollegial konzipierten fünfköpfigen «Direktorium», der letzten Regierungsform der Französischen Revolution. Nach diesem Versuch, eine Schreckensherrschaft wie die von Robespierre durch Brechung der Macht an der Staatsspitze künftig zu verhindern, kam Napoleon.

Ja, ein Napoleon! Das wär doch was für unser totales Medienzeitalter!

Stattdessen redet unsere Regierung, bis Einigkeit besteht oder jedenfalls eine nach aussen darstellbare Übereinkunft – und nur im schlimmsten Fall wird abgestimmt. Mehrheit und Minderheit im Bundesrat: Das ist eine Exegese-Übung gewiefter Journalisten plus Indiskretion. Autoritätsgläubigen Deutschen oder monarchischen Franzosen oder anarchischen Italienern lässt sich so etwas kaum erklären.

Fürwahr, die Schweiz ist anders.

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