«Er war kein Monster»
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Ex-Frau von Ante S. spricht:«Er war kein Monster»

Forensiker über Geiseldrama in Zürich und Beziehungsdelikt in Waadt
«Die Trennungsphase ist für Frauen am gefährlichsten»

Der forensische Psychologe Jérôme Endrass vom Amt für Justizvollzug Zürich weiss, worauf es sich zu achten lohnt, um Tötungsdelikte wie das Geiseldrama in Zürich oder das Beziehungsdelikt im Waadtland im Vorfeld zu erkennen.
Publiziert: 02.06.2019 um 23:09 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2020 um 11:18 Uhr
Céline Trachsel

Es gab zwei Tötungsdelikte an Auffahrt: Ein Geiseldrama in Zürich und ein Beziehungsdelikt im Waadtland. Passiert sowas an Feiertagen öfters als unter dem Jahr?
Das wäre mir nicht bekannt, dass sich diese Fälle an Feiertagen häufen. Weil solche schweren Delikte glücklicherweise so selten vorkommen, kann man aus den Statistiken keine Periodizität ablesen.

In beiden Fällen handelte es sich um Beziehungen, deren Trennung bevorstand. Leben Frauen, die sich von ihrem Mann trennen wollen, besonders gefährlich?
Ja, die Trennungsphase ist unter Gewaltgesichtspunkten die besonders kritische Phase und für die Frau am gefährlichsten. Es gibt Studien, die eindrücklich aufzeigten, dass sogenannte Femizide vor allem in der Trennungsphase passieren.

Aus welchen Gründen werden Männer bei nahendem Beziehungsende zu Tätern?
Es gibt nicht «den Täter», sondern die Täter sind heterogen und zerfallen in Gruppen. Es gibt etwa den psychiatrisch auffälligen Täter oder den dissozialen, der denkt, das es sein gutes Recht ist, die Frau zu bestrafen. Dann gibt es den Täter, der total verzweifelt ist und in einer Lebenskrise steckt. Oder ein Mann denkt, seine Frau habe ihm nicht davonzulaufen, er zeige ihr jetzt mal, wer der Chef ist. Das zeigt: Es gibt nicht das eine Motiv – man muss sich den Einzelfall ansehen.

Jérôme Endrass ist Professor für Forensische Psychologie und Stabschef im Amt für Justizvollzug.
Foto: zvg
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Im Fall vom Geiseldrama in Zürich hiess es, dass der Mann viel in die Beziehung investierte, die jüngere Frau reich beschenkte ...Dass er sich sehr engagierte, mag zutreffen, aber das heisst nicht, dass dies ein Risikofaktor für Gewalt war. Es gibt Tausende Männer, auf die die Beschreibung zutrifft, und die nicht gewalttätig werden.

Man hat bei Beziehungsdramen das Bild vor Augen vom Mann, der aus rasender Eifersucht auf die Frau losgeht.
Nicht jeder, der eifersüchtig ist, stellt für die Frau ein Risiko dar. Und nicht jeder, der zum Täter wird, handelte aus Eifersucht. Es ist vielmehr so, dass eine Kombination von Risikofaktoren zusammen kommen muss. Ein Täter tötet beispielsweise aus Eifersucht in Kombination mit einer Lebenskrise, ein anderer ist suzidal in Kombination mit Alkoholkonsum und ein Dritter weist eine dissoziale Störung auf in Kombination mit dem Gedanken der Bestrafung. Bei der Betrachtung eines Einzelfalls sticht dann meist schon ein einzelner Faktor heraus, aber vergleicht man die Fälle, haben sie nicht zwingend Gemeinsamkeiten. Was man generell sagen kann: Männer, die ihre Frauen töten, sind immer auffällige Persönlichkeiten.

Muss man sich als Frau dennoch Sorgen machen, wenn der Partner oder Ex ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal aufweist?Simple Checklisten oder banale Faustregeln funktionieren nicht. Sicher ist aber, dass Frauen, die ein ungutes Gefühl haben und sich bedroht fühlen, sich unbedingt bei einer Behörden melden sollen. Wenn eine Frau Angst vor Gewalt durch ihren Partner hat, sollte dies ernst genommen werden. Wichtigstes Kriterium bleibt aber, ob jemand schon einmal die Handlungsschwelle zu Gewalt überschritten hat. Viele Fachstellen sind sehr kompetent und werden auch nicht übertrieben reagieren. So gibt es etwa in Zürich einen Gewaltschutzdienst der Kantonspolizei. In den letzten zehn Jahren hat sich die Früherkennung massiv verbessert. Es gibt heute Ansprechpartner, Profis, die eine fundierte Risikobeurteilung machen können, wenn sich jemand unwohl fühlt. Das muss man nicht alleine für sich Zuhause machen.

Kann eine solche Tat vorausgesehen und allenfalls verhindert werden?
Man kann nicht alle Delikte verhindern. Es gibt auch Eskalationen, die aus dem Moment heraus passieren, bei denen man keine Chance hat, sie frühzeitig zu erkennen. Aber viele Taten werden heute schon verhindert. Die Kantonspolizei, die Justiz und die Sozialämter leisten gute Arbeit. Es werden viele Personen angeschaut und abgeklärt und der Gewaltschutzdienst der Polizei macht jährlich zahlreiche sogenannte Gefährder-Ansprachen.

In welchen Gesellschaftsschichten passieren die meisten Tötungsdelikte?
Es gibt zu wenig Fälle und Studien, um diese Art von Delikten eine Gesellschaftsschicht zuordnen zu können. Sie haben auch viel mehr mit den Tätern und ihrer Persönlichkeit zu tun als mit der sozialen Schicht. Auch die Waffenverfügbarkeit spielt eine Rolle. Wenn eine Situation eskaliert und die Person hat eine Schusswaffe zur Verfügung, passiert viel schneller etwas Schlimmes.

Töten auch Frauen ihre Partner?
Ja, aber deutlich seltener vor. Jedes zweite Tötungsdelikt in der Schweiz geschieht im Häuslichen Kontext. Bei Todesopfern in Partnerschaften ist in einem von zehn Fällen das Opfer ein Mann.

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