«Ich merkte es erst, als ich die erste Ohrfeige kriegte»
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Loredana überlebte Femizid:«Ich merkte es erst, als ich die erste Ohrfeige kriegte»

Femizid-Überlebende Loredana Galeoto aus Laufen BL erzählt
«Er stach mich nieder und sagte: ‹Du hast das so gewollt›»

Weil sie ihren Mann verlassen hatte, stach dieser mit einem Messer tief in den Nacken von Loredana Galeoto (50). Sie ist heute Tetraplegikerin. Doch eigentlich war die Tat eine Befreiung für sie aus einem Leben voller Gewalt und Demütigung – und hat sie stark gemacht.
Publiziert: 21.03.2022 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 21.03.2022 um 11:06 Uhr
Céline Trachsel

Femizide machen die Mehrheit aller Tötungsdelikte in der Schweiz aus. Loredana Galeoto (50) aus Laufen BL hat einen Versuch überlebt. Ihr Mann, mit dem sie 27 Jahre verheiratet war, stach sie ab. Sie ist heute deswegen inkomplette Tetraplegikerin.

Es war keine schöne Ehe. Loredana Galeoto wurde ab der ersten Schwangerschaft von ihrem Mann geschlagen. Eine Ohrfeige. Viele weitere Schläge sollten folgen, begleitet von üblen Beschimpfungen. Der Mann kiffte den ganzen Tag – bis zu 15 Joints. Gearbeitet hat er immer nur für ein paar Monate. «Er hatte einfach keine Lust zu arbeiten. Immer war etwas nicht gut, und schuld waren die anderen», sagt Loredana Galeoto. «Oder ich» – und dann sei sie geschlagen worden, geschubst, getreten, gepackt, geschüttelt. Im Gegenzug war sie immer arbeitstätig, kümmerte sich um die Kinder, putzte, waschte, kochte. «Und er verlangte Ende Monat Geld fürs Kiffen.»

«Er redete mir ein, ich sei falsch»

Sie blieb – wegen ihrer zwei Töchter. «Und ich hatte immer die Hoffnung, dass es bessert.» Zudem habe es ihr wegen der Demütigungen an Selbstwertgefühl gemangelt. Galeoto: «Er redete mir ein, ich sei falsch.» Die letzten zwei Jahre schlief sie im Zimmer ihrer Tochter. «Weil er mich manchmal in der Nacht aufweckte und beschimpfte, weil er nicht schlafen konnte. Er sagte: ‹Du kümmerst dich nicht um mich und schläfst einfach.› Er kickte mich deswegen.» Die Töchter hätten gesehen, wie der Papa ihre Mutter behandelte. «Als sie Teenies wurden, griffen sie verbal ein – und er machte auch sie herunter. Aber er hat ihnen nie ein Haar gekrümmt. Mir war lieber, dass die Schläge mich trafen. Sonst hätte ich am Ende vielleicht noch ihn getötet.»

Loredana Galeoto aus Laufen ist eine Überlebende eines Femizidversuchs.
Foto: Nathalie Taiana
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Zweimal hatte Loredana Galeoto Anzeige erstattet und wieder zurückgezogen. «Er hatte mir gedroht, mir oder den Mädchen etwas anzutun.» Also blieb sie, hielt es aus. «Aber ich wusste immer, dass ich gehen würde, wenn die Kinder gross sind.»

Eingesperrt, Handy und Schlüssel weggenommen

Die ältere Tochter zog direkt nach der Lehre aus. Loredana Galeoto, die zur Frustesserin geworden war, begann, sich wieder mehr um sich selber zu kümmern. «Ich machte Sport und nahm über 30 Kilogramm ab.»

Im Sommer 2018 hatte sie zwei Wochen Ferien – die erste Woche verbrachte sie mit Freundinnen und der Tochter in der Badi. «Doch das passte ihm nicht. Er sagte, ich würde mich dort präsentieren. Er war extrem eifersüchtig, seit ich abgenommen hatte.» Also sperrte er sie in der Wohnung ein, nahm ihr die Bankkarten, das Handy und die Schlüssel ab. «Ich verbrachte die zweite Ferienwoche drin und putzte.»

Die jüngere Tochter berichtete alles der älteren. Diese befragte einen Freund bei der Polizei, was zu tun sei – und gleiste alles auf. «Meine Jüngere kam nach Hause und sagte: ‹Mama, heute Nacht flüchten wir.›» Sie verliessen nachts die Wohnung via Garten. «Und Gott sei Dank blieben auch die Hunde ruhig.» Die beiden Frauen im Pyjama wurden von der älteren Tochter im Auto abgeholt und in eine Wohnung auf dem Land gebracht, wo sie schliefen. Morgens um 8 Uhr standen sie vor dem Polizeiposten und erstatteten Anzeige.

Die Polizei ging zum Mann und nahm in mit. Er kam in die Psychiatrie.

Dann folgte massives Stalking

In dieser Zeit zügelte Loredana Galeoto ihre Sachen in eine neue Wohnung, die sie sich in Röschenz BL gemietet hatte. «Als er das erste Mal abhaute, war ich noch in der alten Wohnung am Packen. Die Polizisten holten mich und brachten mich weg.» Prompt sei wenige Stunden später ihr Mann kiffend auf dem Gartensitzplatz gefasst und wieder in die Psychiatrie gebracht worden.

Als er das zweite Mal abhaute, liess man ihn in Freiheit. «Die Verantwortlichen sagten, er sei kein Fall für die Psychiatrie – das erwies sich später im Gerichtsprozess zu meinem Vorteil.»

Fortan stalkte er seine Frau. «Er tauchte auf, wo ich einkaufte. Er sass plötzlich im Bus. Er wusste, wann ich tanzen ging und rief mich an, bis ich ihn blockierte.» Schläge gab es in dieser Zeit keine. «Aber er verfolgte mich überall. Bis er sogar herausfand, wo ich neu wohnte.» Trotz Kontakt- und Rayonverbot – das ihm ohnehin piepegal war – verlangte er Zutritt zur neuen Wohnung. Er wolle den Hund sehen. «Er hat mir gesagt, er komme jetzt nach Hause, er hätte sich so entschieden. Ihm war immer noch nicht klar, dass ich einen Schlussstrich gezogen hatte.» Als sie das aussprach, wurden die Drohungen konkreter – er stellte seiner Frau in Aussicht, sie zu töten oder in den Rollstuhl zu bringen. «Und er zeigte mir eine Pistole und sagte, dass der erste Schuss für mich bestimmt sei. Sogar gegenüber meinen Töchtern wiederholte er das.»

«Papi hat gesagt, er würde dir nichts tun, wenn du wieder heimkommst»

Galeoto merkte, dass sie in Gefahr schwebte. «Ich wusste: Er tut mir etwas an. Erst dann komme ich aus dieser Beziehung raus.» Sie zog vorübergehend zu einem Tanzpartner. «Er war der Einzige, der mich aufnahm. Alle anderen hatten Angst vor meinem Mann.»

Nach zwei Wochen ruft die Tochter an: «Papi hat gesagt, er würde dir nichts tun, wenn du wieder heimkommst.» Die Tochter glaubte es – nur Galeoto traute der Waffenruhe nicht. Doch Weihnachten stand vor der Tür. Die Festtage verbrachte sie mit ihren Töchtern. Den Tag vor der Tat genoss Loredana Galeoto ganz besonders. «Ich sagte zu meiner Jüngeren, dass wir etwas Schönes zusammen machen sollten. Also gingen wir mit ihren Freunden Billard spielen und Shisha rauchen – wir lachten so viel.»

Am 27. Dezember 2018 half Galeoto in der Boutique ihrer Schwiegermutter aus. Ihr Mann tigerte vorbei. Dann hob er Geld ab, kaufte sich in der Migros ein Messer – und suchte seine Frau auf. «Ich spürte nur seine Faust in meinem Nacken – dass er dort ein Messer reingesteckt hatte, war mir nicht klar. Ich sackte zu Boden, blieb bewegungslos liegen. Ich fragte ihn, was er mit mir getan habe. Er bückte sich zu mir herunter und sagte, nachdem er mich niedergestochen hatte: ‹Du hast es so gewollt.›»

«Er hat mir mein Leben genommen»

Heute ist sie körperlich schwer eingeschränkt. Die 50-Jährige sagt: «Er hat mir mein altes Leben genommen. Die Leute sehen mich vielleicht im Rollstuhl, wie ich trotzdem lache und stark bin. Aber meine Hände funktionieren nicht richtig, meine Lunge hat Schaden genommen, mein Darm und meine Blase gehen gar nicht mehr. Kürzlich war ich wegen eines Darmverschlusses wieder im Spital.» Sie verfluche ihren Mann, wenn sie wieder etwas fallen lasse oder wenn ihr in den Sinn komme, dass sie nie mehr tanzen könne. Dennoch hadert sie nicht: «Er hat mich stark gemacht. Und ich bin endlich wieder frei.» Sie hat in der Reha einen neuen Mann kennengelernt.

Rückblickend habe sie Hilfe vermisst. «Die Polizei kannte meinen Fall. Doch sie sagte mir, dass sie nichts tun könnte, solange nichts Schlimmes passiert sei.» Ins Frauenhaus zu gehen und sich ein Leben lang zu verstecken, sei nie eine Option gewesen für sie. So gesehen sei die Tat eine Erlösung gewesen. Ihr Ex wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt.

Heute geniesse sie das Leben wieder. Sie lebt in Laufen in einer rollstuhlgängigen Wohnung und kann den Haushalt grösstenteils allein erledigen. «Aber ich frage mich schon: Wieso konnte man mich nicht besser schützen?»

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