«Meine Aufgabe war es, meinen Enkel zu Retten»
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Grossmutter flüchtet vom Krieg:«Meine Aufgabe war es, meinen Enkel zu Retten»

Familie Bannikow wiedervereint in Olten
«Grossmutter hat mich gerettet»

Anfang März berichteten wir über das Schicksal der Familie Bannikow aus dem Nordosten der Ukraine. Wie geht es der Familie heute? Und wie ist es anderen Menschen ergangen, die bei Kriegsbeginn im SonntagsBlick zu Wort kamen?
Publiziert: 21.08.2022 um 09:34 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 15:08 Uhr
Tobias Marti

Als das Ehepaar Bannikow im Februar aus der Heimat in die Ferien fuhr, ahnte es noch nicht, wie dramatisch sich sein Leben verändern würde: Slawa (37) und seine Frau Angela (32) waren zu Besuch bei Freunden in Polen, dann brach der Krieg aus. Der 14-jährige Sohn Daniel, ein Kind mit geistiger Behinderung, blieb zu Hause bei Grossmutter Rajisa in Sumy, einer Stadt unweit der russischen Grenze. Sumy war auf einmal von Putins Armee umzingelt.

Das Ehepaar floh von Polen nach Olten zu Oksana Mathieu (44), Slawa Bannikows Schwester, die mit einem Schweizer verheiratet ist und seit Jahren hier wohnt. SonntagsBlick besuchte sie im März. «Uns ist schlecht vor Sorge um Daniel und Rajisa», so die Eltern damals. In der Zwischenzeit geschah ein Wunder. Sohn Daniel und Rajisa konnten sich retten. Nachdem die Russen einmarschiert waren, liessen sie zunächst niemanden raus. Dann tat sich ein Korridor auf und die Grossmutter fuhr mit dem Jungen los. Rajisas Wagen fiel immer weiter zurück, bis ans Ende des Konvois.

Der Priester brachte sie zur Grenze

Dann passierte es. Ihr Auto wurde beschossen. «Es pfiff, dann schlug vorne etwas in die Kühlerhaube ein, überall war Rauch», erzählt die 69-Jährige und bricht in Tränen aus. «Man hat solche Angst, wenn das Auto brennt und man ein Kind an seiner Seite hat.» Mit der Schulter wuchtete sie die Tür auf. Sie kann kaum weitererzählen, so traumatisch war das Erlebte.
«Grossmutter ist meine Retterin. Meine Seelenverwandte», sagt Daniel.

Es pfiff, dann schlug etwas ein. Der Wagen von Rajisa wurde auf der Flucht beschossen.
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Er hat die Szene mit dem Handy gefilmt: zerfetzte Reifen, verbrannter Motor. Grossmutter und Enkel flüchteten zu Fuss weiter. Sie suchten Schutz in der nächsten Kirche, wo sie auf einen Priester trafen – der sie tatsächlich bis an die polnische Grenze brachte, 600 Kilometer weit. «Ein Engel hat sie beschützt», sagt Oksana Mathieu.

Eier als Dankeschön verschenkt

Die Bannikows stehen vor dem Nichts, aber immerhin sind sie wiedervereint. Nachdem zuerst alle bei Oksana Mathieu wohnten, bekam die Familie in Olten eine Sozialwohnung. Die Eltern lernen Deutsch: Angela war früher Geschäftsfrau, nun wird sie im September in einem Hotel als Reinigungskraft anfangen.

Slawa hatte ein Kleidergeschäft, seine Läden sind zerstört, 20 Jahre Arbeit für die Katz. Er sucht dringend einen Job in der Schweiz. «Wir nehmen alles, wir bauen uns wieder etwas auf», sagt er. Zu Ostern haben sie den Schweizern Eier verschenkt, mit einem aufgemalten «Danke» darauf.

Daniel besucht nun eine heilpädagogische Schule. Wenn der Junge da ist, reisst sich die Familie sichtbar zusammen. Kürzlich hatte er ein Flashback aus dem Krieg und rannte panisch aus dem Oltner Stadtbus. Ihre Heimat Sumy wurde mittlerweile von den Ukrainern zurückerobert. Aber die Grenze zu Russland ist nah, die Angst bleibt.

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