Ex-PUK-Präsident Moritz Leuenberger
«Wir wurden gravierend angelogen»

Der alt Bundesrat leitete die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) im Fall Elisabeth Kopp. Er berichtet von widerspenstigen Zeugen, geheimen Sitzungsorten – und sagt, was er von der CS-Untersuchung erwartet.
Publiziert: 18.06.2023 um 11:25 Uhr
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Aktualisiert: 19.06.2023 um 08:28 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zum Untergang der Credit Suisse steht. Präsidentin ist die Freiburger Mitte-Ständerätin Isabelle Chassot (58). 1989 stand der ehemalige SP-Bundesrat Moritz Leuenberger (76) einer PUK vor, die den Fall Kopp untersuchte und dabei die Fichenaffäre enthüllte, einen der grössten Schweizer Skandale überhaupt. Der Zürcher weiss noch gut, vor welchen Herausforderungen er damals stand.

SonntagsBlick:Herr Leuenberger, Sie präsidierten die PUK zur Kopp-Affäre. Muss man der gewählten neuen PUK-Präsidentin Isabelle Chassot gratulieren – oder vielleicht doch eher kondolieren?
Moritz Leuenberger: Von kondolieren kann keine Rede sein. Das PUK-Präsidium ist eines der interessantesten und an Gestaltungsmöglichkeiten reichsten politischen Ämter, die die Schweiz zu vergeben hat. Alles andere ist viel eingeschliffener: Als Regierungsrat oder Bundesrat kommt man in vorbereitete Bahnen. In einer PUK steht man vor einem Nebelfeld, das man durchdringen muss.

Wussten Sie gleich, was im Nebel zu tun war?
Zunächst galt es, das Sekretariat zu bestimmen. Die Parlamentsdienste stellten uns eine Juristin und einen Juristen zur Verfügung. Dann suchten wir zwei Untersuchungsrichter. Wichtig ist vor allem, dass sich die Mitglieder einig sind, was zu tun ist, welchen Weg man beschreiten will. Unser PUK-Bericht wurde am Schluss einstimmig verabschiedet – ohne eine Enthaltung. Und das mit Vertretern aller Parteien, von der SVP bis zu den Grünen.

«Schwieriger war es, jemanden aus der Privatwirtschaft zu vernehmen», sagt Moritz Leuenberger.
Foto: Philippe Rossier
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Speziell bei Ihrer Kommission war, dass Sie auf etwas völlig Unerwartetes stiessen. Anlass war der Fall Kopp, aufgedeckt haben Sie die Fichenaffäre.
Der Auftrag lautete, ein Departement zu untersuchen. Verdächtigungen über Geldwäscherei, über die Drogenmafia, die sich im Justizdepartement eingenistet haben soll, waren in den Medien riesig abgehandelt worden.

Das Umschwenken auf den Fichenbereich war problemlos?
Das war kein Umschwenken. Wir hatten wie gesagt einen ganz weit gefassten Auftrag: «Ereignisse im EJPD». Wir sollten das Departement untersuchen, aber es gab auch Grenzen.

Welche?
Wir stiessen auf militärische Aspekte, auf Spionage- und Geheimdienstfragen, die nicht in unserem Auftragsbereich lagen. Dazu gab es eine Anschluss-PUK unter der Leitung von CVP-Ständerat Carlo Schmid.

Eine PUK hat mehr Kompetenzen als etwa eine Geschäftsprüfungskommission. Lässt sich das mit den Befugnissen einer Staatsanwaltschaft vergleichen?
In erster Linie geht es darum, Sachverhalte aufzudecken. In einem zweiten Schritt, den jeweiligen Sachverhalt zu würdigen. Mit einem strafrechtlichen Verfahren hat das allerdings nichts zu tun. Das haben wir damals auch stets betont. Wir hatten Frau Kopps Verhalten politisch und moralisch zu würdigen.

Sie fällten kein Urteil.
Wir sagten nicht: Frau Kopp hat ein Amtsgeheimnis verletzt. Wir sagten, dass sie mit ihrem Mann telefoniert hatte und vor allem dass sie den Gesamtbundesrat anlog und versuchte, das Telefonat zwei Mitarbeiterinnen in die Schuhe zu schieben. Wir hielten fest: Das ist politisch und moralisch zu kritisieren. Bei den Fichen hingegen haben wir manches als rechtlich unzulässig gewertet – etwa das Sammeln von Personendaten, die Verweigerung des rechtlichen Gehörs oder die Weitergabe von Daten.

Sie haben damals Auskunftspersonen vorgeladen. Ging das problemlos?
Es ist problemlos, wenn es Beamte sind. Nachdem sie der Bundesrat vom Amtsgeheimnis befreit hatte, ging es mit ein, zwei Anläufen. Schwieriger war es, jemanden aus der Privatwirtschaft zu vernehmen, da hatten wir zum Teil Mühe. Oft wehrten sich die Leute. Sogar der Kanton Zürich sagte uns zuerst: Das ist eine eidgenössische Angelegenheit, das geht uns nichts an. Als wir darauf hinwiesen, was es bedeuten würde, wenn diese Haltung öffentlich würde, ging es dann plötzlich.

Könnte auch die heutige PUK vor solchen Herausforderungen stehen?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiss zum Beispiel nicht, wie es ist, wenn man in New York jemanden befragen will, der nicht einmal weiss, wie man «PUK» ausspricht. Ein Staatsanwalt oder eine Polizei kann auch nicht ohne weiteres im Ausland aktiv werden.

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«Man steht vor einem Nebelfeld, das man durchdringen muss»
Moritz Leuenberger
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Diskretion ist ein anderer zentraler Faktor. Der Umgang damit dürfte heute wohl schwieriger sein.
Das war auch damals schwierig. Es gibt Geschäftsgeheimnisse, Berufsgeheimnisse, die Privatsphäre von Betroffenen. Und die Medien haben ein enormes Interesse zu erfahren, was läuft. Darum mussten wir uns organisieren.

Und wie taten Sie das?
Bei unserer ersten Konferenz wartete eine Traube von Journalisten, die unsere Mitglieder in Gespräche verwickelten. Da mussten wir die Reissleine ziehen.

Was unternahmen Sie?
Wir begannen an wechselnden, geheimen Orten zu tagen. Das geschah aber nicht nur wegen der Medien: Wir befürchteten, abgehört zu werden. Es gab sogar den zwar nicht bestätigten, aber plausiblen Verdacht, dass die Bundespolizei unser Sitzungszimmer abhörte.

Wo traf man sich – im Hotel, in Privaträumen?
Es waren öffentliche Räume, etwa ein Gerichtssaal oder Sitzungszimmer in einer Uni. Eine andere Massnahme gegen Indiskretionen bestand darin, in nachgestellten Situationen den Dialog mit Journalisten zu üben, die uns mit Fragen löchern. Denn die Geheimhaltungspflicht ist ja nicht blosser Buchstabe. Sie garantiert, dass die PUK überhaupt ihre Aufgabe wahrnehmen kann. Auch Staatsanwaltschaften ermitteln, ohne darüber zu informieren.

Befragte können die Aussage verweigern. Bissen Sie da auch mal auf Granit?
Bei uns war die Auskunftverweigerung weniger ein Problem, zum Teil wurde es probiert. Die Gefahr war viel eher, dass jemand die Unwahrheit sagt. Zum Teil wurden wir gravierend angelogen.

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Und wie fanden Sie das heraus?
Ein Befragter gestand mir viel später, nachdem alles verjährt war, dass er uns die Unwahrheit gesagt hatte. Das war ein sehr gravierender Fall, der nun nicht ans Tageslicht gekommen ist.

Was hat Ihre PUK bewirkt?
Wir gaben viele Empfehlungen ab, etwa für die Reform der Bundesanwaltschaft. Die wurden alle vom Parlament übernommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch von der CS-PUK Anregungen kommen werden, die beispielsweise die Finanzmarktaufsicht betreffen.

Könnte das Resultat der PUK im Fall Credit Suisse dereinst als Grundlage für zivilrechtliche Forderungen dienen?
Die gibt es ja schon jetzt. Aber es ist gut möglich, dass man sich auch auf den Bericht wird abstützen können.

Sie erhielten das Präsidium als Vertreter der Sozialdemokraten. Heute kommt mit Isabelle Chassot die Mitte zum Zug, was die Konkurrenz – vor allem die SVP – heftig kritisiert.
Bei uns war schon nach der ersten Sitzung komplett wurst, wer in welcher Partei ist. Diese Frage wird dermassen überhöht! Wenn sich jemand mit der Aufgabe identifiziert, nimmt er keine Parteiinteressen wahr.

Wer kommt an die Spitze der CS-PUK?
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Weitere Mitglieder bekannt:Wer kommt an die Spitze der CS-PUK?
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