Hier wird nach neuen Corona-Mutationen gesucht
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1000 Proben pro Woche:Hier wird nach neuen Corona-Mutationen gesucht

ETH-Forscher Chaoran Chen (27) jagt Corona-Mutationen
«Wir hoffen, nichts Neues zu finden»

Bioinformatiker Chaoran Chen (27) sucht jeden Tag nach neuen Corona-Mutationen. Und hofft, dass seine Suche nie erfolgreich ist. Denn: Findet er etwas, könnte es die Pandemie nochmals verlängern.
Publiziert: 28.01.2022 um 00:39 Uhr
Michael Sahli (Text) und Siggi Bucher (Fotos)

Es ist gut möglich, dass diese Frage den weiteren Pandemieverlauf entscheidet: Welche Varianten hat das Coronavirus noch auf Lager? Omikron schaffte es, die Impfung streckenweise zu überlisten. Und bis Omega sind im griechischen Alphabet noch viele Buchstaben frei. Weltweit suchen Wissenschaftler deshalb fieberhaft in Corona-Proben nach Unbekanntem. Auf der Suche nach neuen Varianten sequenzieren Chaoran Chen (27) und Timothy Sykes (37) in Zürich Abstriche von Schweizer Covid-Infizierten. Für Blick öffnen sie die Türen der Labors von ETH und Universität auf dem Irchel-Campus.

Doktorand Chen, der ursprünglich aus der Informatik kommt, sagt: «Wir suchen zwar permanent nach Mutationen, aber wir hoffen, nichts Neues zu finden.» Aus dieser Perspektive war seine Mission bisher erfolgreich: Eine «Schweizer Variante» gab es bisher nicht. Es wäre statistisch gesehen auch ziemlich unwahrscheinlich.

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Das Functional Genomics Center der Zürcher Virenjäger erfüllt aber noch eine andere Funktion. Es ist ein Radar, um das Varianten-Geschehen in der Schweiz zu überblicken. «In den letzten Wochen haben wir die Proben systematisch nach Omikron durchsucht», so Chen. Der Befund lässt Rückschlüsse zu, wie dominant die Variante aktuell ist. «Wir stehen bei um die 90 Prozent Omikron, das momentan noch mit Delta koexistiert», fasst der Wissenschaftler zusammen.

Chaoran Chen (27) sucht im Zürcher Irchelpark nach Corona-Mutationen.
Foto: Siggi Bucher
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Besondere Sicherheitsvorkehrungen sind im Labor nicht nötig. «Was bei uns ankommt, ist die RNA, also nur die genetische Information des Virus», erklärt Timothy Sykes. Heisst: Ansteckend sind die Proben nicht mehr.

Herzstück ist eine Sequenzierungsmaschine, die fast wie ein übergrosses (und sehr teures) Kopiergerät aussieht. Hier verwandelt Genom-Spezialist Sykes wöchentlich rund 1200 Proben in digitale Daten, die Bioinformatiker Chen dann am Computer analysieren kann. Letzterer macht die eigentliche Detektivarbeit am ETH-Departement für Biosysteme in Basel. Und sucht nach wiederkehrenden Mustern im scheinbaren Chaos Tausender Viren-Genomsequenzen, die alle leicht voneinander abweichen. «Die meisten Proben sehen unterschiedlich aus, das ist an sich nichts Ungewöhnliches», sagt er. «Aber wenn wir dieselbe Mutation in vielen Proben sehen oder wenn sich diese Mutation immer weiter ausbreitet, dann würden wir das beobachten. Diese Variante könnte gefährlich werden.»

Trotz Hightech: Im Sequenzierungslabor ist viel Handarbeit nötig, nachdem die Proben mit Trockeneis gekühlt angeliefert geworden sind. Jede Probe muss umgefüllt und in einem komplizierten Prozess vorbereitet werden, damit das Sequenzierungsgerät die Corona-Erbinformation auslesen kann.

Kantonsärzte liefern verdächtige Abstriche

Die Forscherinnen und Forscher, die hier zusammenarbeiten, kommen aus ganz unterschiedlichen Ländern: Chen hat seine Wurzeln in China, Sykes ist Australier. Umgangssprache ist Englisch. Sie tauschen ihre Daten ständig auch mit Kollegen im Ausland aus. «Wir bekommen viele Daten zum Beispiel aus Grossbritannien, wo viel mehr sequenziert wird. Und suchen dann konkret nach Abweichungen, die dort aufgetaucht sind», sagt Chen.

Bei der Entscheidung, welche Proben sequenziert werden, ist der Zufall oft am repräsentativsten: «Manchmal stand ich dann vor einem grossen Kühlschrank und nahm zufällige Proben heraus.» Aber nicht immer: «Als Ende 2020 die erste besorgniserregende Variante Alpha kam, mit vielen Meldungen aus Grossbritannien, haben wir gezielt Proben aus Kantonen sequenziert, in denen es viele britische Touristen hat.» Und manchmal melden sich auch direkt Kantonsärzte mit verdächtigen Proben.

Die Frage, wie sich gefundene Abweichungen auswirken – ob sie das Virus gefährlicher oder vielleicht sogar weniger gefährlich machen –, gehört nicht mehr zu Chens Fachgebiet. «Das wären dann Fragen für die Virologen», winkt er ab. Trotzdem appelliert er: «Je weniger Infektionen es gibt, desto weniger hat das Virus die Chance zu mutieren.» Daher seien Schutzmassnahmen und Impfung noch immer die einzige Mutationsprävention. Die Arbeit dürfte den Virenjägern nicht so schnell ausgehen.

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