Durchsetzen! Aber nur, wenn es ihr passt
So biegt die SVP den Volkswillen zurecht

Die SVP sieht sich als Hüterin des Volkswillens. Bei ihren an der Urne erfolgreichen Initiativen fordert sie eine harte Umsetzung. Bei jenen der Gegner nimmt sie es mit dem Volksauftrag allerdings nicht mehr so genau, wie die BLICK-Auswertung zeigt.
Publiziert: 12.02.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 22:35 Uhr
Ruedi Studer

Die SVP sieht sich gerne als Hüterin des Volkswillens. Im Abstimmungskampf um die Durchsetzungs-Initiative wirft die SVP Bundesrat und Parlament unentwegt vor, sie hätten die Ausschaffungs-Initiative nicht umgesetzt und würden sich dem Volksauftrag verweigern. SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz wird nicht müde zu betonen, dass es wie nach jedem Volksentscheid heissen müsse: «Hier, verstanden!»

Hier, verstanden? BLICK macht den Test, wie es die SVP selbst mit dem Volkswillen hält. Dass sie bei den eigenen Initiativen auf den Volkswillen und eine harte Umsetzung pocht, liegt in der Natur der Sache. Doch wie sieht es bei ihr unliebsamen Initiativen aus? Also jenen Begehren, welche die SVP  selbst ablehnte, denen das Volk aber zustimmte? Bei acht von 15 angenommenen Initiativen seit Einführung des Frauenstimmrechts 1971 war dies der Fall. Der BLICK-Test zeigt: Was die SVP für sich selbst sehr wohl einfordert, gesteht sie ihren politischen Gegnern nicht zu.

2013 Abzocker-Initiative (68% Ja)

Rothenthurm-Initiative (1987): Der geplante Waffenplatz hätte eine Moorgebiet zerstört. Die Initiative stellte wichtige Moore unter Schutz.
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SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga legte eine Vergütungsverordnung vor, welche die SVP in höchsten Tönen als «Umsetzung des Volkswillens» lobt. Sie lehne sich «inhaltlich eng an den Wortlaut der neuen Verfassungbestimmung an».

Komisch nur, dass die Initianten um Thomas Minder das überhaupt nicht so sehen und die Verordnung als «Skandal» titulieren. Auch beim geplanten Ausführungsgesetz will die SVP nun nicht zu weit gehen und verlangt eine «wirtschaftsfreundliche Umsetzung».

Fazit: Die SVP berücksichtigt den Volksauftrag halbherzig.

2012 Zweitwohnungs-Initiative (50,6% Ja)

Kaum hatte das Volk die Initiative angenommen, lancierten SVP-Politiker Verwässerungs-Vorstösse. Ausnahme um Ausnahme wurde in die Vorlage gepackt. Um das Schlimmste zu verhindern, sahen sich die Initianten zu einem Deal genötigt. Die SVP liess sich auf den mit Ausnahmen gespickten Kompromiss ein – um nicht vollends unglaubwürdig zu werden. Das Zweitwohnungs-Gesetz bleibt löchrig wie Emmentaler.

Fazit: Die SVP erfüllt den Volksauftrag nur halbwegs.

2005 Gentechfreie Landwirtschaft (55,7% Ja)

Mit der Initiative wurde der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen sowie die Haltung gentechnisch veränderter Nutztiere für fünf Jahre verboten. Das Moratorium wurde vom Parlament seither zweimal verlängert und gilt vorerst bis 2017. Die SVP-Mehrheit stemmte sich aber jeweils dagegen.

Fazit: Volksauftrag erfüllt – nicht wegen, sondern trotz SVP.

2002 Uno-Beitritt (54,6% Ja)

Der Uno-Beitritt der Schweiz wurde von der SVP erbittert bekämpft. Nur gerade ein Jahr nach dem Ja wollte die SVP den Volksentscheid wieder rückgängig machen: SVP-Nationalrat Hans Fehr reichte 2003 eine Motion ein, die vom Bundesrat eine Vorlage für einen Uno-Austritt verlangte. Zu den Mitunterzeichnern gehörten Christoph Blocher und Toni Brunner.

«Man soll dem Schweizervolk im Lichte der Realität noch einmal Gelegenheit geben, den Entscheid zu überdenken», so Fehr später in der Nationalratsdebatte. Die Schweiz ist trotzdem immer noch Uno-Mitglied.

Fazit: Die SVP ignoriert den Volksauftrag.

1994 Alpen-Initiative (51,9% Ja)

Nimmt man die Initiative beim Wort, müsste der alpenquerende Gütertransitverkehr heute vollends auf der Schiene erfolgen. Davon ist man mit gut einer Millionen alpenquerender Lastwagen aber weit entfernt. Die Initianten schluckten einen Kompromiss, der ein Verlagerungsziel von 650 000 Lastwagenfahrten fixierte. Auch die Erreichung dieses Ziels wurde mittlerweile auf 2018 verschoben – und wird bereits wieder in Frage gestellt.

Die SVP machte von Beginn weg auf Blockade. Ein konkretes Verlagerungsziel bekämpfte sie vehement und lehnte auch das Verlagerungsgesetz 2008 ab. Bei anderen Verlagerungsmassnahmen tritt die SVP auch heute noch auf die Bremse. Die Alpen-Initiative ist weit von ihrer Zielsetzung entfernt.

Fazit: Die SVP torpediert den Volksauftrag ohne Ende.

1990 AKW-Moratorium (54,5% Ja)

Mit der Initiative wurde ein zehnjähriges Bau- und Bewil­ligungsverbot für neue Atomkraftwerke festgeschrieben. Nach Ablauf der Frist wurde dieses nicht mehr verlängert – und in einer späteren Volksabstimmung abgelehnt. Faktisch blieb das Moratorium trotzdem bis heute bestehen. Und mit der Energiestrategie 2050 wird nun sogar der Atomausstieg aufgegleist.

Fazit: Die SVP nimmt den Volksauftrag zähneknirschend hin.

1987 Rothenthurm-Initiative (57,8% Ja)

Die Initiative verlangte einen besseren Moorschutz. Die SVP stellte sich wie alle bürgerlichen Parteien dagegen. Trotz Volksentscheid bremste die SVP auch danach bei Vorstössen für einen strengeren Moorschutz. Heute steht zwar ein Grossteil der Moore unter Schutz, trotzdem wird noch immer zu wenig für deren Erhalt unternommen.

Fazit: Die SVP stützt den Volksauftrag nicht besonders.

1982 Preisüberwachungs-Initiative (56,1% Ja)

Mit der Initiative wurde die Preisüberwachung wieder eingeführt. Die Stelle des Preisüberwachers ist seither nicht mehr wegzudenken. Oder doch? Ausgerechnet «Hier, verstanden»-Amstutz forderte 2004 mit einer Motion die Abschaffung des Preisüberwachers. Allerdings vergeblich. Der Preisüberwacher sitzt weiterhin fest im Sattel.

Fazit: Bei der SVP hat selbst ein Volksauftrag ein Verfallsdatum.

Bei der Umsetzung unliebsamer Volksinitiativen gilt für die Schweizerische Volkspartei: Sie ist keine treue Soldatin des Volkswillens, sondern eine notorische Querulantin.

Hier, verstanden? Nein!

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