Scipio Schneider macht die Kunst für die Künstler
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«Ich bin ein Tool»:Scipio Schneider macht die Kunst für die Künstler

Dimensionen, die schwer zu fassen sind
Der Superfräser

In einer versteckten Halle in Zürichs Industriequartier entstehen riesige Skulpturen im Auftrag der erfolgreichsten zeitgenössischen Künstler. Der Mann dahinter heisst Scipio Schneider.
Publiziert: 29.11.2022 um 13:06 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2022 um 13:38 Uhr
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Jonas DreyfusService-Team

Das Auge übersieht ihn beinahe in dieser denkmalgeschützten Halle in Zürich-Altstetten, in der die SBB früher ihre grösste Schmiede betrieben. Es liegt nicht daran, dass Scipio Schneider (49) klein und unscheinbar wäre, im Gegenteil. Er ist gross gewachsen und trägt ein Outfit, das sich auch an einem Skateboarder gut machen würde. Seine Haare sind filmreif nach hinten gegelt. Dass ihm diese Umgebung die Show stiehlt, liegt an all den Dingen, mit denen seine 1000 Quadratmeter grosse Werkstatt vollgestopft ist.

Er führt uns durch dieses dreidimensionale Wimmelbild. Herzstück ist die Fräsmaschine. Sie ist von Schutzwänden umgeben, die an einen Schiffscontainer erinnern. Wenn sich Schneider hinter das Terminal stellt, mit der sich die Maschine steuern lässt, hat das etwas von einem Kapitän. Er und sein Team haben ein Verfahren entwickelt, für das Fräsmaschinen so programmiert werden können, dass sie grosse Datenmengen verarbeiten. «Das macht uns weltweit zur einzigen Werkstatt, die hochkomplexe, organische Geometrien fräsen kann.»

Organisch heisst in diesem Fall, dass die Formen so rund und fliessend wirken, als hätte ein Mensch sie von blosser Hand geformt und kein Computer entworfen. Bei der Skulptur mit dem Titel «L'Arc», die Schneider für den Schweizer Künstler Urs Fischer (49) produziert hat, stimmt das indirekt sogar. Sie basiert auf einem kleinen, gekneteten Modell aus Ton, nach dessen Vorbild ein elf Meter hoher, elf Meter breiter und sieben Meter tiefer Koloss aus Aluminium entstand. Fünf Jahre hat es gedauert, bis «L'Arc» fertig war.

Scipio Schneider vor Kunstwerken, die er in einem abgetrennten Bereich seiner Werkstatt in Zürich-Altstetten ausstellt.
Foto: Thomas Meier
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Wie gross ist die Eigenleistung des Künstlers?

Schneiders Acrush AG gehört zu den führenden Kunstproduktionsfirmen – schon alleine deshalb, weil Urs Fischer zu den Hauptkunden zählt. 2011 brachte eines seiner Werke – ein gigantischer Teddybär – bei einer Auktion 6,8 Millionen Dollar ein. Seither geht es für den in New York lebenden Zürcher bergauf. Ugo Rondinone (57), Monika Sosnowska (50), Jeremy Shaw (45) oder Helen Marten (37) sind weitere Namen in Schneiders Kundendatei. Wer sich ein wenig mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt, kennt sie. Wer nicht, fragt sich vielleicht, wie gross die Eigenleistung eines Künstlers an einem Werk ist, wenn er es in Auftrag gibt, anstatt es selbst herzustellen.

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«Ich bin ein Werkzeug. Allerdings ein interaktives»
Scipio Schneider
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Wenn ein Künstler nur Dinge herstellen dürfte, für die er keine Hilfe in Anspruch nehmen muss, wäre das eine grosse Einschränkung, sagt Schneider. Entscheidend sei die Vision. Ob jemand bei der Realisation einen Pinsel brauche oder ihn anstelle, spiele aus seiner Sicht keine Rolle. «Ich bin ein Werkzeug. Allerdings ein interaktives, das mit den Künstlern redet und mit ihnen herausfindet, was sie genau wollen. Ich leiste so etwas wie Geburtshilfe.»

Schneider ist Gründer des erfolgreichen Zurich Art Weekend, das seit 2018 jeweils am Wochenende vor dem Start der Art Basel stattfindet. Er ist mit einer Künstlerin verheiratet und stellt in einem abgetrennten Bereich der Werkstatt Werke von aufstrebenden Künstlern aus. Sieht er sich selbst als einer? «Nein», sagt Schneider. Ihn interessiere das Lösen technischer Probleme. «Ich bin ein Tüftler.»

Sieben Fräsmaschinen waren acht Monate im Einsatz

Vor der Werkstatt stehen Testversionen der 137 Einzelteile, aus denen sich Urs Fischers «L'Arc» zusammensetzt. Am Schluss hat er sie so exakt miteinander verschraubt, dass keine Naht und kein Übergang zu sehen ist. Die Werkstatt in Zürich sei das Labor, sagt Schneider, die definitiven Teile haben Arbeiter in Deutschland unter Aufsicht seiner Mitarbeiter – er beschäftigt zwölf Personen – in Fabriken von Autozulieferern produziert. Um die Einzelteile des 23 Tonnen schweren Bogens herzustellen, waren sieben Fräsmaschinen acht Monate lang parallel im Einsatz.

Mit welchen Dimensionen es dieser Mann zu tun hat, wird noch klarer, wenn er vom Aufbau des Bogens unter seiner Aufsicht in Paris erzählt, wo die Skulptur seit vergangenem Februar steht. Er hat zwei Monate gedauert. Das lag vor allem daran, dass für den Transport der Einzelteile zum Standort spätnachts ganze Boulevards für den Individualverkehr gesperrt werden mussten. Gekauft hat «L'Arc» der französische Unternehmer Xavier Niel (55) für den Vorplatz seines Start-up-Campus Station F. «Wie viel er für das Werk bezahlt hat, weiss nicht einmal ich», sagt Schneider. «Sicherlich mehrere Millionen.»

Was beim Rundgang durch die Werkstatt auffällt: wie bonsaimässig diffizil diese Arbeit ist, obwohl ihr Ergebnis den Betrachter in seiner Wucht fast erschlägt. Schneider nimmt ein Stück Glas, das auf seinem Arbeitstisch liegt, und fährt über die Kante. Sie ist messerscharf. Normalerweise wird dieses Material brüchig, wenn man es so stark schleift. Für eine Serie kleinerer Kunstwerke von Urs Fischer in Form von Glasboxen, die mit poppigen Motiven versehen sind, hat er eine Technik entwickelt, mit der das nicht passiert. Eines der Werke – es zeigt einen Honigbären – hat Schneider vom Künstler geschenkt bekommen. Wie perfekt seine Kanten sind, würde einem beim Betrachten nicht bewusst auffallen. Genau diese Details führen dazu, dass der Blick an diesen Objekten hängen bleibt.

50'000 Franken für einen Testlauf

Angefangen hat alles im Jahr 2000. Schneiders Mutter ruft ihn an und sagt, der vom Grossvater gegründete Betrieb sei in Gefahr. Er stellt in Hombrechtikon im Zürcher Oberland Präzisionsmassstäbe her, die international unter anderem zum Überprüfen von frisch gedruckten Banknoten verwendet werden. Sie sind aus Glas gefertigt, das mit einer fotoempfindlichen Emulsion beschichtet ist. Der einzige Produzent dieses Glases stellt den Betrieb ein. Schneider, der damals als Grafiker Kunstbücher gestaltete, nimmt sich des Problems an und entwickelt eine Maschine, mit der sich Glas beschichten lässt. Urs Fischer kriegt das mit und fragt, ob Schneider ihm bei der Entwicklung eines Roboters helfen könne, der sich mit der Hand durchs (künstliche) Haar fährt. Die beiden sind befreundet, seit sie gemeinsam den Vorkurs der Kunstgewerbeschule in Zürich besucht haben. Von nun an sind sie auch Geschäftspartner.

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«Erst, wenn es kompliziert wird, fängt es mich an zu interessieren»
Scipio Schneider
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Heute kann Schneider sich aussuchen, mit wem er arbeiten möchte. Vielen Künstlerinnen und Künstlern, die mit einer Idee zu ihm kommen, rät er, zu einem Schreiner zu gehen. «Erst wenn es kompliziert wird, fängt es mich an zu interessieren.» Auch aus finanzieller Sicht ist der Vater von zwei kleinen Kindern auf grosse Projekte angewiesen. Alleine für die Miete der Werkstatt gibt er monatlich 15'000 Franken aus.

Manchmal platzen Träume bei den Erstgesprächen, wenn Schneider schätzt, wie lange die Verwirklichung einer Vision dauert und wie viel sie kostet. «Es kann sein, dass ich sage: ‹Wir können es probieren – aber es wird 50'000 Franken kosten, bis ich überhaupt sagen kann, ob es funktionieren wird.›»

Er verbringt viel Zeit mit Anwälten

Künstler sind nicht gerade bekannt dafür, Jahre im Voraus zu planen. Viele von ihnen arbeiten spontan und intuitiv. Umso wichtiger sei es, sagt Schneider, dass er jede Kleinigkeit schriftlich festhalte und dafür sorge, dass die rechtliche Situation geklärt sei, falls etwas schiefgehe. Er selbst muss jede Menge Geheimhaltungsvereinbarungen unterzeichnen. Über das Kunstwerk, das im Moment in seiner Halle entsteht, darf er nicht sprechen, es zu fotografieren, ist streng verboten. «Diskretion und Absicherung sind Pfeiler meiner Arbeit. Ich verbringe sehr viel Zeit mit Anwälten.»

Nach dem Rundgang begleitet er uns zum Ausgang, vorbei an einer selbst gebauten, voll ausgestatteten Bar, die für Partys und andere Anlässe in Betrieb genommen wird. Sie gefiel einer bekannten Sammlerin so gut, dass sie das Riesenteil spontan für ein Museum in Frankreich, das sie eröffnete, haben wollte. Weil die Zeit knapp war, baute Schneider die Bar ab und liess sie an ihren Bestimmungsort transportieren. Später baute er sie nochmals neu für sich. Für jemanden, der in seinen Dimensionen denkt, keine grosse Sache.

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