«Wir sind Sternenkinder»
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Sein Teleskop fliegt im All:«Wir werden keine grünen Männchen winken sehen»

Dieser Schweizer hat das James-Webb-Teleskop mitentwickelt
«Wir sind Sternenkinder»

ETH-Astrophysiker Adrian Glauser hat das James-Webb-Weltraumteleskop mitentwickelt, mit dem die Nasa in die Tiefen des Universums schauen will. Dabei geht es um die ganz grossen Fragen der Menschheit.
Publiziert: 16.01.2022 um 18:27 Uhr
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Aktualisiert: 17.01.2022 um 17:45 Uhr
Interview: Aline Wüst

Herr Glauser, an meinem Kühlschrank hängt eine Postkarte, auf der steht: «Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles gar keine so grosse Rolle.» Als Astrophysiker können Sie das bestimmt nachvollziehen.
Adrian Glause: Mir geht es umgekehrt: Je mehr ich über den Weltraum verstehe, desto bewusster wird mir, wie einzigartig die Erde ist.

Sie müssen ein glücklicher Mensch sein.
Es ist ein grosses Privileg, einen Planeten unter den Füssen zu haben, der eine Atmosphäre hat, wo es Sauerstoff gibt und Leben möglich ist. Bis jetzt haben wir so was nirgendwo sonst im Universum entdeckt.

Sie haben an einer der kompliziertesten jemals gebauten Maschinen mitgearbeitet, dem James-Webb-Weltraumteleskop. Vor drei Wochen wurde dieses Teleskop ins Weltall katapultiert. Was war das für ein Moment?
Ich habe es zu Hause mit der Familie im Livestream geschaut. Viele Jahre habe ich darauf gewartet und mir vorgestellt, wie ich mich in diesem Moment fühlen werde. Und als der Moment kam, sah ich einfach diese Rakete starten. Klar hatte ich schweissige Hände. Aber was da Grosses passiert, realisierte ich erst im Nachhinein.

Die Rakete mit dem James Webb Teleskop hob am 25. Dezember ab. In Französisch-Guayana.
Foto: AP

Was genau wird dieses Riesenteleskop da oben tun?
Es wird uns unter anderem den bisher tiefsten Blick ins Weltall ermöglichen.

Es heisst, man kann damit in die Vergangenheit schauen.
Das Licht braucht ja eine gewisse Zeit, um zu reisen. Desto tiefer wir ins Weltall schauen, desto weiter zurück in die Geschichte des Universums blicken wir. Es ist eines der grossen Ziele dieser Mission, die ganze Geschichte des Universums beobachten zu können – von der ersten Galaxie bis heute.

Hier geht es also um die ganz grosse Frage, woher wir kommen.
Diese Frage ist mit der Astronomie grundsätzlich eng verknüpft. Denn es geht um die Entstehungsgeschichte der grossen Strukturen des Universums. Es werden Antworten darauf gesucht, wie unsere Milchstrasse entstanden ist, was für Prozesse nötig sind, damit Sterne, Planeten und eben auch Planeten mit lebensfreundlichen Bedingungen entstehen. Am Ende geht es da immer um die Frage unserer eigenen Existenz.

Warum ist diese Frage so fundamental für uns?
Das bewegt die Menschheit seit jeher. Antworten suchten wir teils religiös, teils spirituell. Wir Astronomen machen es naturwissenschaftlich. Woher der Antrieb kommt, diese Frage zu beantworten, weiss ich nicht. Ich habe ihn. Und viele andere auch.

Das Riesenteleskop wird tief ins Universum ermöglichen. Noch tiefer als Vorgänger Hubble, der dieses Bild einer Supernova aus dem Jahr 1054 schoss.
Foto: NASA via Getty Images

Stimmt es, dass wir Menschen aus Sternenstaub bestehen?
Ja, es stimmt: Wir sind Sternenkinder.

Wie kam das?
Das Universum war ursprünglich simpel: Es bestand bloss aus den Elementen Wasserstoff und Helium. Nur weil es Generationen von Sternen gab, die entstanden, lebten und am Ende explodierten, wurden mehr und mehr höhere Elemente geschaffen. Das bedeutet: Was in uns drin ist, Elemente wie Eisen und Kohlenstoff, war einst in einem Stern – eine unglaubliche Vorstellung!

Gehen wir ins Weltall. Was herrschen da so für Bedingungen?
Es ist schwierig, sich die Temperaturen vorzustellen, die da herrschen. Unsere Vorstellung geht ja nicht weit über einen Tiefkühler hinaus. Aber wir sprechen von minus 230 Grad oder mehr. Das andere ist natürlich, dass wir uns in einem Vakuum befinden, dazu kommen hochenergetische Strahlen der Sonne.

Was war für Ihre Arbeit die grösste Herausforderung?
Sicher die tiefe Temperatur. Aber auch, dass so ein Satellit auf eine Rakete montiert wird und beim Start extrem hohe Kräfte wirken. Etwas zu bauen, dass diese Kräfte überlebt und danach unter extremen Bedingungen zuverlässig funktioniert, das ist die grosse Schwierigkeit.

Das James Webb Teleskop in Maryland (USA) bei der Vorbereitung bei seiner Mission im All.
Foto: EPA

Geht etwas schief, beläuft sich der Schaden auf etwa 10 Milliarden US-Dollar. Ist das nicht ein immenser Druck?
Natürlich. Aber der finanzielle Aspekt ist für mich zweitrangig. Der Druck kommt von anderswo: Dieses Teleskop öffnet ein einzigartiges Fenster ins Universum. Würden wir diese Möglichkeit durch einen technischen Defekt verspielen, wäre das ein grosser Verlust für die Menschheit. Umso glücklicher sind wir, dass bisher alles reibungslos läuft.

Tausende Wissenschaftler auf verschiedenen Kontinenten bauten am James-Webb-Teleskop. Was genau haben Sie entwickelt?
Wir Schweizer haben einen Mechanismus entwickelt, der eines der vier wissenschaftlichen Instrument, das MIRI heisst, während der Abkühlphase vor Verdreckung schützt. Denn obwohl da oben ein Vakuum herrscht, fliegen trotzdem Gase ums Teleskop. Bliebe der Dreck kleben, in unserem Fall auf dem Spiegel, wäre das schädlich für die Wissenschaft. Das Zweite sind Verkabelungen. Das sind sehr spezielle Kabel, die dünner als ein Haar sind und aus einem Metall bestehen, das nicht gut lötbar ist. Wir haben einen Prozess entwickelt, um dieses Kabel herzustellen. Tönt alles sehr technisch und nicht so spannend. Aber in der Entwicklung ist das sehr anspruchsvoll.

Gesucht wird auch nach Wärme. Das heisst nach Leben.
Das wurde ein paar Mal so erwähnt in Medienbeiträgen, ist aber nicht ganz richtig. Wir Menschen strahlen Wärme aus, aber das tun auch Gegenstände. Darum ist Wärmestrahlung nicht gleich Leben.

Aber Sie suchen doch nach Leben.
Wir suchen gewisse Moleküle, die auf Leben hinweisen könnten. Fänden wir beispielsweise Sauerstoff in einer Atmosphäre eines erdähnlichen Planeten, könnte das ein Hinweis auf Photosynthese sein. Man könnte dann davon ausgehen, dass auf so einem Planeten biologische Prozesse ablaufen.

Was ein indirekter Hinweis auf Leben wäre.
Genau, und nach solchen indirekten Hinweisen wird gesucht. Wir werden keine grünen Männchen winken sehen. Auch eine zweite Erde werden wir nicht finden. Dafür ist das James-Webb-Teleskop nicht empfindlich genug.

ETH-Astrophysiker Adrian Glauser (44) hat am James Webb Teleskop mitgebaut.
Foto: Philippe Rossier

Glauben Sie trotzdem an Leben in diesem Universum?
Ja, wir sind ein gutes Beispiel dafür.

Das bedeutet nicht, dass es noch mehr gibt.
Es gibt vermutlich über 10 Trilliarden Planeten im Universum. Das ist eine Zahl mit 22 Nullen. Ich würde nie eine Wette machen, dass wir die einzigen Lebewesen im Universum sind. Das heisst nicht, dass wir je Leben finden werden. Doch rein von der Wahrscheinlichkeit her, bin ich felsenfest davon überzeugt, dass es Planeten gibt, auf denen Leben herrscht. Ob die nahe genug an der Erde liegen, ist eine offene Frage. Ich hoffe es! Sonst wäre meine Motivation nicht die gleiche.

Wann ist mit den ersten Bildern des Riesenteleskops zu rechnen?
Das wird unter grosser Geheimhaltung gehalten.

Dieses Jahr?
Klar! Es ist eine Frage von Wochen oder Monaten. Das Teleskop ist aktuell noch immer unterwegs. Ab Mai werde ich immer wieder im Kontrollraum des Space Telescope Science Institute in Baltimore (USA) sein, weil dann die Inbetriebnahme des Teleskops abgeschlossen wird. Danach wird es der Wissenschaft übergeben.

Was erhoffen Sie sich eigentlich vom Teleskop?
Wir haben klare Vorstellungen von gewissen Sachen, die wir sehen werden. Das Spannendste aber ist das, was wir uns gar nicht vorstellen können. Es wird so sein, dass wir Entdeckungen machen, von denen wir noch gar nichts wissen.

Das Faszinierende ist also, dass unser Vorstellungsvermögen gesprengt wird?
Absolut.

Was halten Sie eigentlich davon, dass nun Milliardäre in den Weltraum fliegen?
Ich sehe das eher kritisch, da es nur wenigen Privilegierten den Zugang zum Weltall ermöglicht. Und dies auf Kosten der Umwelt und ohne direkten Nutzen für die Allgemeinheit.

Was ist schöner: Mit Ihren Kindern den Sternenhimmel anzuschauen oder die ersten Bilder von James Webb?
Mit meinen Kindern nur schon von blossem Auge den Sternenhimmel anzuschauen, ist etwas unglaublich Schönes. Mein Sohn ist fasziniert von all dem und fragt mich ständig, wann wir das Teleskop wieder aufbauen. Es ist jedes Mal wunderschön, mit ihm durch das Teleskop die Planeten anzuschauen, auch wenn die ja immer etwa gleich aussehen. Sehe ich dann die ersten Bilder mit neuem Blick durch das Gerät, an dem ich mitgearbeitet habe, wird das sicher unglaublich befriedigend sein – beides ist also auf seine ganz eigene Weise schön.

Astronom Adrian Glauser

Adrian Glauser (44) ist seit 2014 leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Teilchen- und Astrophysik der ETH Zürich. Zurzeit arbeitet der Astrophysiker am Bau des Extremely Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste. Glauser übernahm dort die technische Leitung für eines der Instrumente, das notabene mehrere Stockwerke gross ist. Das Riesenteleskop soll 2027 in Betrieb genommen werden. Es macht zwar schärfere Bilder als das James-Webb-Weltraumteleskop, ist aber für Wärmestrahlung weniger sensitiv. In seinem Labor an der ETH Zürich erforscht der Astrophysiker deshalb mit seinem Team aktuell, wie mehrere Teleskope im Weltall miteinander verbunden werden können. Gelänge das, wäre es möglich, erdähnliche Planeten zu finden. Glauser lebt mit seiner Familie in Winterthur ZH. Neben Sternen und Planeten fasziniert ihn auch das Backen. Aktuell übt er sich am Sauerteigbrot.

Adrian Glauser (44) ist seit 2014 leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Teilchen- und Astrophysik der ETH Zürich. Zurzeit arbeitet der Astrophysiker am Bau des Extremely Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste. Glauser übernahm dort die technische Leitung für eines der Instrumente, das notabene mehrere Stockwerke gross ist. Das Riesenteleskop soll 2027 in Betrieb genommen werden. Es macht zwar schärfere Bilder als das James-Webb-Weltraumteleskop, ist aber für Wärmestrahlung weniger sensitiv. In seinem Labor an der ETH Zürich erforscht der Astrophysiker deshalb mit seinem Team aktuell, wie mehrere Teleskope im Weltall miteinander verbunden werden können. Gelänge das, wäre es möglich, erdähnliche Planeten zu finden. Glauser lebt mit seiner Familie in Winterthur ZH. Neben Sternen und Planeten fasziniert ihn auch das Backen. Aktuell übt er sich am Sauerteigbrot.

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