Die Schweiz trocknet aus
Fische müssen umgesiedelt werden

Das Wasserschloss Europas trocknet aus. Die Pegelstände in der Schweiz sind dramatisch tief, Fische müssen umgesiedelt werden. Ob das den Bestand rettet, ist ungewiss.
Publiziert: 16.07.2018 um 09:25 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:53 Uhr
Thomas Schlittler

Die Grenze zwischen Thurgau und Züribiet löst sich auf – zumindest dort, wo der Steinenbach die zwei Kantone trennt. Der Grenzbach, der sein Quellgebiet am Hörnli hat, ist zu grossen Teilen ausgetrocknet. «Es tut mir weh, wenn ich das sehe. Zahlreiche Bäche haben sich in Kieswege ver­wandelt, besonders hier im Hinterthurgau», sagt Markus Zellweger (53), Fischereiaufseher im Kanton.

Damit die Region neben dem Bach und der Kantonsgrenze nicht auch noch seine Wasserbewohner verliert, evakuiert Zellweger die Fische, die sich in die verbliebenen Bachtümpel zurückgezogen haben. «Wenn kein frisches Wasser mehr in diese Kolken hineinfliesst, haben die Fische in wenigen Tagen keinen Sauerstoff mehr.» Erreicht die Wassertemperatur 18 Grad Celsius, können die Tiere nicht über­leben.

Elektrofischen für die Rettung

Tümpel um Tümpel, Meter um Meter, Fisch um Fisch arbeitet sich Zell­weger den Flussverlauf entlang. Auf dem Rücken trägt er einen laut ratternden Generator, der den Metallstab in seinen Händen mit Strom durchflutet – und das Wasser, in dem er mit hüfthohen Gummistiefeln steht.

Der Steinenbach, der die Kantone Thurgau und Zürich trennt, hat sich in einen Kiesweg verwandelt.
Foto: Christian Merz
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Vom Stromstoss, den das Elektrofanggerät erzeugt, werden die Fische angezogen und vorübergehend ausser Gefecht gesetzt. So lassen sie sich spielend leicht mit dem Netz einsammeln. Zellweger: «Je grösser ein Fisch ist, desto besser funktioniert das Elektrofischen.»

Mit dieser Methode rettet er diesmal im Steinenbach grossmehrheitlich Bachforellen. Aber auch Elritzen und Groppen, kleine Futterfische, werden nicht ihrem Schicksal überlassen. «Es ist eine Tierschutzmassnahme. Die Fische werden weiter oben im Bach, wo noch Wasser fliesst, wieder ausgesetzt.»

Das ist ganz im Sinne von Marco Brunner (53) und Markus Grünenfelder (67). Sie waren es, die den Fischereiaufseher um Beistand gebeten haben. Und sie sind es auch, die ihn beim Abfischen unterstützen. Und zwar nicht ganz uneigennützig: «Wir haben Teile des Baches gepachtet und deshalb ein Interesse da­ran, dass der Fisch­bestand stabil bleibt.»

Allein im Thurgau 25 Kilometer Bäche und Flüsse abgefischt

An diesem Nachmittag schaffen Fischereiauf­seher Zellweger und seine Helfer rund zwei Kilometer. Insgesamt mussten im Thurgau dieses Jahr bereits Bäche und Flüsse auf einer Länge von mehr als 25 Kilometern abgefischt werden.
Seit diesem Freitag gilt in Mostindien zudem ein Wasserentnahmeverbot für Bäche, Flüsse und Weiher. Ausgenommen sind lediglich Bodensee und Rhein sowie das Grund- und Quellwasser.

«Seit Beginn des Jahres besteht ein Niederschlagsdefizit, und es gab vornehmlich hohe Temperaturen. Deshalb führen die Thurgauer Fliessgewässer wenig Wasser», begründet das Departement für Bau und Umwelt den Entscheid.

Andere Kantone verzichten bis jetzt auf Wasserentnahmeverbote. Abfischungen wurden aber auch in Bern, St. Gallen und Zürich nötig. Das Bedenklichste daran: Die Umsiedelung scheint vielerorts zum Normalfall geworden zu sein. «Insgesamt ist die Situation im Kanton Zürich nicht aussergewöhnlich für diese Jahreszeit», teilt ein Sprecher mit. Dass Bäche abgefischt werden müssen, erschüttert in den Behörden niemanden mehr.

«Viele Gewässer haben sich seit 2003 nicht erholt»

Fischereiaufseher Zellweger, seit 21 Jahren im Amt, bestätigt: «Mein erstes grosses Krisenjahr war 2003. Da mussten wir unzählige Bäche abfischen. Und ich habe das Gefühl, dass sich viele Gewässer seither nie mehr richtig erholt haben.»

Das Abfischen mit dem mehrere Kilo schweren Generator auf dem Rücken geht in die Knochen. Allmählich ist Zellwegers Stirn feuchter als das Flussbett. Doch der Fischereiaufseher nimmt die Sisyphusarbeit gern auf sich: «Es ist ein gutes Gefühl, die Fische retten zu können.»

Traurig macht ihn aber, dass es drei Jahre dauert, bis sich der Fischbestand in diesem Flussabschnitt wieder vollständig erholt hat. «Und auch nur dann, wenn es in Zukunft wieder deutlich mehr regnet.» Aber dass es so kommt, ist leider eher unwahrscheinlich. Realistischer ist, dass sich die Schweiz daran gewöhnen muss, dass sich Flussbetten in Kieswege verwandeln.

Der Streit um den Durst

«Die aktuelle Trockenheit ist ausgeprägt und vergleichbar mit den beiden Hitzesommern 2003 und 2015», sagt Manfred Stähli von der Eidgenös­sischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Überraschend kam das nicht. Bereits im April publizierte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) einen Bericht, der kategorisch festhält: «In der Schweiz sind Veränderungen in der Trockenheit absehbar, und es besteht ein erhöhtes Risiko zu mehr Sommertrockenheit.»

Aus diesem Grund hat das Bafu beim Bundesrat beantragt, ein Trockenheits-Warnsystem zu entwickeln. «Ein solches System würde es ermöglichen, mittelfristige Prognosen – bis zu sechs Wochen – zu erstellen», sagt ein Sprecher. Im Falle einer zu erwartenden kritischen Situation wäre es dann möglich, früher Vorsorgemassnahmen zu treffen, um mögliche Schäden zu reduzieren.

Doch nicht alle sind von dieser Idee begeistert. Vor allem Vertreter der Bauern äussern sich kritisch. «Ein solches System ist nicht praxistauglich», sagt Andreas Widmer, Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbandes. Trockenperioden längerfristig vorherzusagen, sei schlicht nicht möglich. Die Landwirtschaft müsse sich in Zukunft einfach noch stärker nach den vorhandenen Ressourcen ausrichten: «Wasserintensive Kulturen müssen dort angebaut werden, wo Wasser vorhanden ist.»

Weil Verwaltung und Praktiker uneins sind, ob sie überhaupt ein Trockenheits-Warnsystem wollen, hat der Bundesrat die Entwicklung vorläufig sistiert.

«Die aktuelle Trockenheit ist ausgeprägt und vergleichbar mit den beiden Hitzesommern 2003 und 2015», sagt Manfred Stähli von der Eidgenös­sischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Überraschend kam das nicht. Bereits im April publizierte das Bundesamt für Umwelt (Bafu) einen Bericht, der kategorisch festhält: «In der Schweiz sind Veränderungen in der Trockenheit absehbar, und es besteht ein erhöhtes Risiko zu mehr Sommertrockenheit.»

Aus diesem Grund hat das Bafu beim Bundesrat beantragt, ein Trockenheits-Warnsystem zu entwickeln. «Ein solches System würde es ermöglichen, mittelfristige Prognosen – bis zu sechs Wochen – zu erstellen», sagt ein Sprecher. Im Falle einer zu erwartenden kritischen Situation wäre es dann möglich, früher Vorsorgemassnahmen zu treffen, um mögliche Schäden zu reduzieren.

Doch nicht alle sind von dieser Idee begeistert. Vor allem Vertreter der Bauern äussern sich kritisch. «Ein solches System ist nicht praxistauglich», sagt Andreas Widmer, Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbandes. Trockenperioden längerfristig vorherzusagen, sei schlicht nicht möglich. Die Landwirtschaft müsse sich in Zukunft einfach noch stärker nach den vorhandenen Ressourcen ausrichten: «Wasserintensive Kulturen müssen dort angebaut werden, wo Wasser vorhanden ist.»

Weil Verwaltung und Praktiker uneins sind, ob sie überhaupt ein Trockenheits-Warnsystem wollen, hat der Bundesrat die Entwicklung vorläufig sistiert.

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