Der Astra-Chef nimmt Stellung
«Unglücke wie Genua machen demütig»

Jürg Röthlisberger über das Unglück von Genua und die Lehren für die Schweiz.
Publiziert: 19.08.2018 um 20:28 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:27 Uhr
Interview: Cyrill Pinto

Herr Röthlisberger, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie Anfang Woche die Bilder der eingestürzten Brücke in Genua sahen?
Jürg Röthlisberger: Ein Worst-Case-Szenario. Das Schlimmste, was einem Ingenieur passieren kann! Mir gingen die Opfer und deren Familien durch den Kopf. Und man wird demütig. 

Sind Sie selbst einmal über diese Autobahnbrücke in Genua gefahren?
Ja, sehr oft schon. 

Haben Sie jetzt kein mulmiges Gefühl, wenn Sie mit dem Auto in Italien unterwegs sind?
Nein. Denn die Italiener sind technisch auf demselben Stand wie wir. Es gibt nichts, was Schweizer Ingenieure technisch besser könnten als ihre Kollegen im Nachbarland. Wir vom Astra tauschen uns regelmässig mit den Kollegen auf europäischer Ebene aus – daher weiss ich: Wir sind alle etwa auf demselben Level. 

«Schweizer Brücken sind in einem guten Zustand», sagt Röthlisberger.
Foto: Peter Gerber
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Trotzdem kollabierte die Brücke bei Genua – wie konnte das passieren?
Die Brücke war alt und so konzipiert, wie man sie heute nicht mehr bauen würde. Deshalb ist deren Stabilität vor allem eine Frage des Unterhalts. Solche Bauten müssen auf die neuen Normen angepasst und aufgerüstet werden. Die Frage ist nun: Wurde dies auch getan?

Auch in der Schweiz gibt es Brücken, die in einem kritischen Zustand sind – rund 40 Bauwerke sind es laut dem neusten Netzzustandsbericht. Ist das nicht gefährlich?
Nein. Wäre ein Bauwerk in einem alarmierenden Zustand, wenn etwa tragende Elemente der Brücke beschädigt sind, würden wir sie sofort sperren und deren Sanierung an die Hand nehmen. Kein einziges Bauwerk im Schweizer Nationalstrassennetz ist in einem so schlechten Zustand – sonst hätten wir unseren Job nicht richtig gemacht.

Dennoch: Es gibt Brücken in einem kritischen Zustand …
Ja, Brücken mit Bauteilen in kritischem Zustand gibt es – zum Beispiel in der Verbindungsbrücke zwischen Fully und Saxon: Nach einer letzten Inspektion 2009 wurde diese 2014 nochmals genau überprüft. Sie ist allgemein in einem guten Zustand, allerdings gibt es an einigen Stellen Ausblühungen und kaputte Übergänge. Diese Schäden müssen wir nun in den nächsten zwei Jahren beheben. Aber nochmals: Wären tragende Elemente der Brücke betroffen, würden wir sie sperren.

Der Sanierungsbedarf wird grösser – trotzdem stand zuletzt weniger Geld zur Verfügung. Wie wollen Sie die bevorstehenden Sanierungen stemmen?
Wir sind in der Schweiz in der komfortablen Lage, dass das Budget für den Strassenunterhalt durch zweckgebundene Abgaben gespeist wird. Wir stehen deshalb nicht in Konkurrenz mit Ausgaben wie etwa für die Bildung oder die Gesundheit. Dennoch: Diese Mittel müssen weiter zur Verfügung stehen. Denn in den nächsten Jahren werden die Kosten für Sanierungen zweifelsfrei steigen. Letztlich liegt die Budgethoheit beim Parlament – wir setzen die Prioritäten.

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