Das war der Mordfall Jan Kuciak
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Angriff auf Pressefreiheit:Das war der Mordfall Jan Kuciak

Das Zurich Film Festival zeigt die Doku über den Mord an Ringier-Journalist Jan Kuciak (†27)
«Tödliche Recherche» ist gespenstisch real

Vier Jahre nach der Erschiessung des slowakischen Investigativ-Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten gibt ein Dokumentarfilm Einblick in ein mörderisches Mafia-System, das in die höchsten politischen Kreise führte. Blick sprach mit Kuciaks Kollegen Peter Bardy.
Publiziert: 27.09.2022 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2022 um 14:06 Uhr
Myrte Müller

Die Erinnerung beisst sich fest. Sie hält still, flammt auf, schmerzt. Peter Bardy (45) kennt das Gefühl nur zu gut. Der Chefredaktor des slowakischen Ringier-Portals «Aktuality» hat den Tod seines Kollegen und Freundes Jan Kuciak hautnah erlebt, die Hintergründe des Mordes recherchiert, die eigenen hochkochenden Emotionen und die seines Teams zu verarbeiten versucht.

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«Ich erinnere mich an jede Stunde jenes Tages, als ich vom Mord an Jan erfuhr», sagt der Slowake im Interview mit Blick. Es war dieser kalte Wintertag im Februar 2018. In der Nacht auf den 22. Februar dringen Männer in das Haus von Jan Kuciak, 65 Kilometer von der Hauptstadt Bratislava entfernt. Der 27-Jährige und seine gleichaltrige Verlobte wollen im Mai darauf heiraten, eine Familie gründen. Das Haus hatten sie gerade bezogen.

Ihr Glück wird in wenigen Minuten brutal zerstört. Die Männer schiessen dem Investigativ-Journalisten zweimal in die Brust, treffen das Herz. Martina Kusnirova will in Panik von der Küche in den Keller fliehen. Ein Killer zielt auf die Frau, drückt ab. Auch der Schuss in den Hinterkopf ist tödlich. Die Täter hinterlassen Patronen bei den Leichen. Eine Warnung an andere Journalisten.

Peter Bardy (46), Chefredaktor des Nachrichtenportals «Aktuality», erinnert sich im Gespräch mit Blick an den Mord an seinen Freund und Kollegen Jan Kuciak und an dessen Verlobte.
Foto: Vinzenz Greiner
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Massenproteste und Sturz der Regierung

Der Anruf mit der Hiobsbotschaft an jenem frühen Morgen verändert das Leben von Peter Bardy. «Am Anfang habe ich mich geweigert, es zu glauben», sagt der Chefredaktor, «es machte keinen Sinn. Warum, um Himmels willen sollten sie zwei junge Menschen töten? Für mich brach eine Welt zusammen, als die Nachricht von Jans Tod offiziell bestätigt wurde». Peter Bardy habe sich wie gelähmt gefühlt, erzählt er, «doch dann sagte ich mir, ich habe einen Newsroom zu führen. Da war ein Mord aufzuklären.»

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Vier Jahre sind seitdem vergangen. Der Fall Kuciak hat die slowakische Gesellschaft erschüttert, ein Mafia-Netzwerk freigelegt, das in die höchsten Kreise der Politik, der Justiz und Polizei reichte. Er löst Massenproteste im Land aus, die schliesslich die Regierung von Premierminister Robert Fico (58) stürzen. Ende 2020 wird einer der Auftragsmörder zu 25 Jahren Haft verurteilt. Mutmassliche Komplizen werden wegen Mangel an Beweisen freigesprochen. Darunter ist auch ein zwielichtiger Geschäftsmann, über den Jan Kuciak wiederholt berichtet hatte.

Packende 90 Minuten entführen Zuschauer in eine finstere Zeit

Ein Dokumentarfilm reisst nun die kaum geheilten Wunden wieder auf. Er ist am Dienstagabend am Zurich Film Festival zu sehen. «Tödliche Recherchen - Der Mord an Jan Kuciak» von Matt Sarnecki (46) zeichnet akribisch die Arbeit der Journalisten von «Aktuality» nach. Über 90 packende Minuten entführen den Zuschauer in die finstere Zeit. Der US-Regisseur blickt in Ermittlungsakten, interviewt Zeugen, lässt Familienangehörige zu Wort kommen. Anhand der Aufzeichnungen des toten Enthüllungsjournalisten rekonstruiert der Film mit unaufgeregten, aber bedrückenden Bildern die Stimmung rund um den abgrundtiefen Korruptionsskandal.

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Peter Bardy erinnert sich: «Die Öffentlichkeit erfuhr damals von unserer Arbeit. Wir erhielten viele Informationen.» Der Beruf wurde gefährlich, die Sicherheit rund um die Journalisten erhöht. «Wir waren dennoch entschlossen, alles aufzudecken», sagt der Chefredaktor, «erst war da diese unendliche Traurigkeit. Dann kamen Wut und Angst dazu. Ich hätte keinen zweiten Mord an einem Kollegen menschlich ertragen können. Wir waren gezwungen, unsere Gefühle im Griff zu halten.»

Der Fall Jan Kuciak darf nie vergessen werden

Peter Bardy hat die Doku gesehen. «Es ist ein Film mit starkem Inhalt und einer klaren Message. Er wird nicht nur die Menschen aus der Slowakei ansprechen, sondern selbst jene, die nicht mit dem Fall Kuciak vertraut sind», sagt Bardy, «der Film ist gespenstisch real».

Jedes Jahr zum Todestag von Jan Kuciak organisiert die Redaktion ein öffentliches Treffen zum Gedenken an ihren Kollegen. «Wir leben in einer Zeit, die nicht freundlich ist zu Journalisten, die nichts anderes wollen, als recherchierte Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen.» Das Schicksal Jan Kuciak dürfe nie vergessen werden.

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