So hält man die Liebe frisch
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Tipps von Paartherapeuten:So hält man die Liebe frisch

Das Therapeuten-Paar Sara und Peter Michalik über die Liebe
«Verabreden Sie sich einmal pro Woche zum Abendessen»

Die Liebe ist ein Risiko. Und trotzdem tun wir es immer wieder: Uns darauf einlassen. Warum? Wie halten wir sie lange frisch? Kurz vor dem Valentinstag sprachen wir mit Sara und Peter Michalik. Ein Therapeuten-Paar, das Paare berät. Eine Therapie-Stunde.
Publiziert: 14.02.2022 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 14.02.2022 um 13:26 Uhr
Interview: Rebecca Wyss

Was für ein Theater. Die Liebe. Ein Dauerbrenner! Wie kriegt man sie, wie hält man sie, wie lässt man sie los? Tausend Tipps, tausend Info-Schnipsel tummeln sich im Netz. Man liest, bis der Kopf wehtut und man gar nichts mehr weiss. Aber wir wollen wissen. Heute ist Valentinstag. Also noch mal: Was ist Liebe?

Eine Frau, 35 Jahre, sagt: «Liebe ist, beim anderen ein Zuhause zu finden.» Ein Mann, 47 Jahre, sagt: «Liebe ist, wenn ich von der Arbeit komme und weder Kids noch meine Frau sofort nach mir krähen.» Eine Frau, 22 Jahre, sagt: «Liebe ist, wenn mein Schatz mich glücklich macht.» Und Endo Anaconda (1955–2022), R.I.P., sang:

«Wäg dine schöne blaue Ouge
Het är sich es blaus Oug lo schlah
Het Pfäffer gfrässe, Flamme gspöit
Isch e Nacht lang düre Räge gsecklet»

So viel wissen wir nun: Liebe ist Ansichtssache. Sie gibt Hoffnung, regt und treibt uns an, schafft Illusionen – und zerstört sie schnell wieder. Liebe ist, so viel steht fest: ein Risiko. Vielleicht das grösste. Wir machen uns verletzbar. Und werden verletzt. Trotzdem tun wir es immer wieder, mit 20, mit 60 Jahren: uns einlassen. Das zeigen schon allein die gestiegenen Nutzerzahlen bei Dating-Apps in den letzten beiden Jahren – um bis zu 40 Prozent. Warum suchen wir nach Liebe? Und wie geht das: sich verlieben. Und dann eine Beziehung eingehen und ganz lange zusammenbleiben?

Fragen wir zwei Menschen, die Tag für Tag damit zu tun haben: Sara (47) und Peter (53) Michalik. Ein Paar. Ein Therapeutenpaar, das Paare therapiert. Sie erklären uns, wie das läuft: Vom ersten Funken bis zur lange schwelenden Glut – oder zur kalten Asche. An einem Nachmittag sitzen wir den beiden in ihrer Praxis in Aarau gegenüber, auf gepolsterten Stühlen. Genauso wie 1000 Paare vor uns.

Sara und Peter Michalik: Sind seit 17 Jahren zusammen.
Foto: Philippe Rossier

Der Knall: Die Liebe kommt

Frau und Herr Michalik, wie verlieben sich zwei Menschen?
Peter Michalik: Mit Sympathie fängt es an.
Sara Michalik: Und mit Attraktivität.
Peter Michalik: Man spricht über sich, sagt, was einen bewegt. Man öffnet sich nach und nach und erlebt, dass das wohlwollend entgegengenommen wird. Dieses Gegenseitige, das Angenommensein – das bringt die Schmetterlinge im Bauch zum Fliegen.
Sara Michalik: Die meisten haben ein falsches Bild im Kopf: die Liebe auf den ersten Blick.

Was ist falsch daran?
Sara Michalik: Es greift zu kurz. Manchmal braucht das Verlieben Zeit. Manchmal stehen Kopf und Herz in Konkurrenz zueinander. Verlieben ist ein Entscheid. Genauso wie eine Beziehung eingehen. Das war auch bei uns so.

Das Therapeuten-Paar: Sara und Peter Michalik

Sara Michalik (47) ist Fachpsychologin für Psychotherapie, Peter Michalik (53) diplomierter Familien-, Paar- und Eheberater. Ihr Job ist es, Wahrheiten mit den Paaren offenzulegen. Empathisch und ohne zu werten. Dies tun sie auch in ihren Büchern zu Beziehungs- und Familienleben. Zuletzt im Humboldt-Verlag erschienen: «Mein wunderbares wütendes Kind». Die beiden sind seit 17 Jahren zusammen, haben drei Kinder und führen seit 2009 gemeinsam die Praxis in Aarau. Die Familie lebt in Erlinsbach SO.

Philippe Rossier

Sara Michalik (47) ist Fachpsychologin für Psychotherapie, Peter Michalik (53) diplomierter Familien-, Paar- und Eheberater. Ihr Job ist es, Wahrheiten mit den Paaren offenzulegen. Empathisch und ohne zu werten. Dies tun sie auch in ihren Büchern zu Beziehungs- und Familienleben. Zuletzt im Humboldt-Verlag erschienen: «Mein wunderbares wütendes Kind». Die beiden sind seit 17 Jahren zusammen, haben drei Kinder und führen seit 2009 gemeinsam die Praxis in Aarau. Die Familie lebt in Erlinsbach SO.

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Wie fanden Sie zueinander?
Sara Michalik: Ich kam gerade aus einer langjährigen Beziehung und wollte nicht gleich wieder einen Mann. Dann traf ich Peter in den Ferien, fand ihn sofort attraktiv. Aber er lebte in Deutschland. Fall erledigt.
Peter Michalik: Auch ich war nicht auf der Suche. Ich spürte eine Anziehung. Wir tauschten Adressen aus. Sechs Wochen später rief sie mich an und kam mich besuchen, danach besuchte ich sie. Je öfter wir uns sahen und gute Gespräche führten, desto mehr tat sich bei mir.
Sara Michalik: Bei mir dauerte es länger. Weil ich eine ganz bestimmte Idealvorstellung im Kopf hatte. Und die Gefühle für Peter passten nicht dazu. Eine Freundin ermutigte mich dann, auf mein Herz zu hören. Ein halbes Jahr später heirateten wir.
Peter Michalik: Wir konnten uns kennenlernen, ohne dass wir dachten, dass daraus mehr wird.

Beim Verlieben tut sich ganz viel im Körper. Am meisten aber im Hirn. In den ersten Tagen schüttet es Glücks- und Sexhormone aus. Das macht uns leidenschaftlich, und süchtig! Fehlt der Partner, vermissen wir diese natürliche Droge, leiden unter Entzugserscheinungen. Gleichzeitig legt dieser Hormoncocktail andere Hirnbereiche still: unser Gefühl für Risiko, unsere Fähigkeit zu mentalisieren, also anderen in den Kopf zu schauen. Wir werden betäubt. Und blind. Vor Liebe. Das alles hat einen Sinn, sagen Anthropologen: die Fortpflanzung. Wir Menschen bringen unsere Kinder ganz früh auf die Welt. Früher als alle anderen Säugetiere. Diese brauchen danach viel länger Schutz. Dafür sorgt unser Körper: Sind Liebende zusammen, gleichen sich ihr Herzschlag, ihre Körpertemperatur, ihr Blutdruck an. Sie werden entspannter. Aus dem gleichen Grund sinkt beim Mann nach der Geburt seines Kindes der Testosteronspiegel: Er soll bei der Familie bleiben.

Der Kater: Die Liebe schwindet

Und doch kommen alle einmal an diesen einen Punkt: Das Verliebtsein lässt nach. Der rosa Filter verschwindet. Und wir sehen den Menschen als das, was er oder sie ist: unvollkommen. Genau dann kommen viele zu Peter und Sara Michalik.

Wo harzt es bei den Liebespaaren?
Sara Michalik: Sie sind ein super Team, managen den Alltag mit Kindern und Arbeit gut. Aber sie haben sich als Paar aus den Augen verloren. Fühlen die Entfremdung und merken: Etwas stimmt nicht mehr.

Wie kommt es dazu?
Sara Michalik: So intensiv wie man zuvor verliebt war, so intensiv ist im Moment des Streits das Gefühl: Wow, bin ich allein, der andere versteht mich ja gar nicht. Im Verliebtsein sind wir in der Euphorie-Trance. Später in der Problem-Trance. Dann sehen wir nur die Probleme und nicht, was auch gut läuft.

«Wir suchen oft im Partner das, was uns ergänzt, uns seit der Kindheit fehlt», sagt die Therapeutin.
Foto: Philippe Rossier

Warum hat man plötzlich diesen Tunnelblick?
Sara Michalik: Das hat mit uns selber zu tun. Wir suchen oft im Partner das, was uns ergänzt, uns seit der Kindheit fehlt, und jemanden, der unsere Wunden heilt. Der Partner sucht das Gleiche bei mir, und so kommt es zu Konflikten, bei denen man dem anderen die Verantwortung für sich gibt: Du musst schauen, dass es mir gut geht. Das bringt eine grosse Enttäuschung mit sich.
Peter Michalik: Die häufigste Bitte an uns: Helfen Sie uns, besser zu kommunizieren. Wir streiten zu viel, sind zu unterschiedlich. Doch das Problem hat wenig mit Kommunikation zu tun.

Doch genau das steht in den Beziehungsratgebern.
Peter Michalik: Ja, aber Kommunikation ist oft der Stellvertreterschauplatz für Bedürfnisse und Gefühle, über die man nicht mehr spricht. Hinter Diskussionen über herumliegende Socken oder unterschiedliche Erziehungsansichten stecken die Fragen: Siehst du mich noch? Sind wir noch ein Paar? Kann ich mich auf dich verlassen?
Sara Michalik: Auch wir kennen das. Wenn wir beide streiten, habe ich manchmal auch das Gefühl: Peter hat keinen Plan, was in mir vorgeht. Wir beide nehmen aber irgendwann eine Meta-Ebene ein, reden darüber: Um was geht es jetzt wirklich?

Andere schaffen das nicht. Und so kommt es, wie es so oft kommen muss: Eine andere Frau, ein anderer Mann gesellt sich im Ehebett dazu. Eine Studie des Schweizer Forschungsinstituts Sotomo zeigt: 27 Prozent gingen schon fremd. Bei den Frauen sind es 24, bei den Männern 31 Prozent. Das muss nicht das Ende sein. Es gibt Hoffnung. Oft ist ein Seitensprung der letzte Glockenschlag. Die Michaliks wissen das. Haben das schon oft in ihrer Praxis erlebt. Der erste Schritt: verzeihen. Auch wenn am Anfang viel Wut und Misstrauen da ist. Dann gehts um die Frage: Wie soll die künftige Beziehung sein? Und man muss den Ausstieg finden: raus aus alten Beziehungsmustern.

Die Rettung: Die Liebe wiederbeleben

Alle Paare kennen das, dieses Verheddern in den immer gleichen Diskussionen. Wie löst man den Knüppel?
Peter Michalik: Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Praxis: ein Mann und eine Frau mittleren Alters. Die Frau hat das Gefühl, ihr Mann nehme sie gar nicht ernst und wahr. Wenn es ihr schlecht gehe, bagatellisiere er alles.
Sara Michalik: Ein klassischer Fall.
Peter Michalik: Folgendes lief ab: Der Mann kommt nach Hause, merkt: Oh, der Frau gehts nicht gut. Er nimmt das sehr wohl wahr. Aber wenns ihm selber nicht gut geht, bagatellisiert er seine Gefühle. Und so begegnet er seiner Frau. Und sagt: Komm, Schatz, ist doch alles nicht so schlimm. Sie fühlt sich nicht wahrgenommen und reagiert. Sagt, mit noch mehr Nachdruck, was sie beschäftigt. Wird laut. Sie streiten. Und er versteht nicht, was los ist. Er wollte ja nur helfen.

Was raten Sie den beiden?
Peter Michalik: Nehmen wir ein Diagramm mit zwei Ebenen. Im ersten Stock sind die Emotionen. Im zweiten Stock die Reaktion – also die Kommunikation, der Streit. Die Paare versuchen meist, das Problem im zweiten Stock zu lösen, bei der Reaktion. Das ist unmöglich.

Im ersten Stock sind die Emotionen, im zweiten Stock die Reaktion – also die Kommunikation, der Streit. Viele Paare schaffen es nicht, auf die emotionale Ebene zu kommen.
Foto: Philippe Rossier

Was sonst kann man tun?
Peter Michalik: Der Schlüssel heisst Stressmanagement. Und zwar bei sich selbst. Man muss schauen: Was fühle ich da gerade wirklich? Was macht mich traurig, wütend? Wo spüre ich das im Körper: Drückt es oder zerreisst es mich? Was sind meine Bedürfnisse? Wenn ich das benennen kann, erkenne ich potenziell brenzlige Situationen. Und kann lernen, anders zu reagieren.

Das klingt schwierig. Wie schafft man das?
Peter Michalik: Sobald der Mann von vorhin das erste Wort auf der Zunge hat – du Schatz, es ist nicht so schlimm, kann er den Impuls unterdrücken und in den ersten Stock, auf die emotionale Ebene, wechseln: Hey Schatz, ich merke, dir gehts nicht gut. Darauf reagiert die Frau ganz anders. Das muss man üben. Immer wieder.

So weit kommen viele gar nicht erst. Jedes zweite Ehepaar hierzulande lässt sich scheiden. 16'000 Paare waren es 2020. Sie haben aufgegeben. Meist nach einer kritischen Phase: wenn Kinder kommen, die Kinder gehen oder nach der Pensionierung. Plötzlich gibt es nur noch sie und ihn. Der Alltagslärm mit Kindern und Arbeit ist verstummt, nun meldet sich, was sie all die Jahre unter den Teppich gekehrt haben. Und das nagt. Doch Paarberatung ist noch immer ein Tabu, sagen die Michaliks. Die wenigsten suchen sich Hilfe. Die, die es tun, kommen oft viel zu spät: kurz vor der Scheidung.

Die Vorsorge: Die Liebe erhalten

Es geht auch anders. Wie bei den beiden Paartherapeuten. 17 Jahre Ehe, drei Kinder, Seite an Seite in einer Praxis – das ist viel. Auch sie kämpften manchmal, sagt Sara Michalik. Und man glaubt es kaum. Immer wieder gucken sie sich in die Augen, ergänzen die Antwort des anderen, damit die Journalistin auch versteht, was dieser sagen will. Viel Wärme, viel Vertrautheit. Und das Ergebnis von viel Fürsorge. Die Therapeutin sagt: «Alle Tipps, die wir den Paaren geben, leben wir selber.»

Und die wären?
Sara Michalik: Man muss die Nähe erhalten. Verabreden Sie sie sich einmal pro Woche zum Abendessen oder auf einen Drink oder sonst etwas. Notieren Sie den Termin in der Agenda. Und wenn sie ihn verschieben müssen, dann nur mit Ersatztermin.
Peter Michalik: Begegnen Sie sich bewusst im Alltag. Lassen Sie sich jeden Tag für ein paar Sekunden, Minuten auf den anderen ein. Hören Sie zu, und wichtiger: Teilen Sie sich selber mit.
Sara Michalik: Begegnen heisst auch: richtig Adieu-Sagen, sich in den Arm nehmen, nicht einfach im Stress aus dem Haus flitzen. Das Gleiche gilt für die Begrüssung. Sich umarmen, wir führen das manchmal vor, ist eine Körpererfahrung, das macht etwas mit mir.

Eine Umarmung jeden Tag löst ganz viel aus.
Foto: Philippe Rossier

Peter Michalik: Oder üben Sie das Pralinen-Schenken.
Sara Michalik: Genau. Achten Sie darauf, was der Partner gemacht hat, was Ihnen gutgetan hat. Und sagen Sie es ihm oder ihr: Danke, dass du mir gestern die Kinder abgenommen hast. Tun Sie das täglich.
Peter Michalik: Auch, was er oder sie nicht gemacht hat und Ihnen gutgetan hat: Danke, dass du beim Streit gestern nichts mehr gesagt hast. Am Anfang finden die Leute die Übung albern, aufgesetzt, weil wir es verordnen. Tun sie es trotzdem, schlägt das mit der Zeit Wurzeln.
Sara Michalik: Wenn Menschen Wertschätzung bekommen für etwas, das sie sowieso tun, gibt dies das Gefühl: Ich werde in dem gesehen, was ich tue. Meist kommt der andere in Zugzwang, das Wohltuende ebenfalls anzusprechen. Es entwickelt sich ein schönes Band.
Peter Michalik: Einmal sagte mir auf dem Weihnachtsmarkt ein ehemaliger Klient: Wissen Sie, das mit diesen Pralinen, am Anfang war das furchtbar, und heute kann ich Ihnen sagen: Langsam glaube ich, meine Frau liebt mich wirklich.

Und dann ist Schluss. Die Stunde in der Praxis ist rum. Wir sind erschöpft, spüren: Liebe ist nicht bloss ein locker-flockiger Popsong. Liebe ist wie eine wuchtige Oper: erfüllend, aber man muss Sitzleder haben. Und die Bereitschaft zur Hingabe. So viele Menschen bemühen sich jeden Tag, Kompromisse einzugehen. Weiterzumachen, auch wenns ganz eng wird. Ja zum anderen zu sagen. Ein grosser Liebesbeweis. Unser Learning: Eine reife, lang anhaltende Beziehung ist machbar. Manchmal auch mithilfe von Menschen wie den Michaliks.

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