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Laut FBI eine Terrorgefahr:Verschwörungs-Sekte breitet sich in der Schweiz aus

Das FBI stuft sie als Terrorgefahr ein
Rechte Verschwörungs-Sekte breitet sich in der Schweiz aus

QAnon will die angebliche «Elite» stürzen. Im Zuge der Corona-Krise gewann die Verschwörungsbewegung massiv an Zulauf. SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Ihr grösster deutschsprachiger Kanal wird aus der Schweiz heraus betrieben.
Publiziert: 28.06.2020 um 13:07 Uhr
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Aktualisiert: 30.06.2020 um 07:20 Uhr
Fabian Eberhard

Sie nennen sich «digitale Krieger» und werden immer zahlreicher: die Anhänger der rechten Verschwörungs­sekte QAnon. Während der Corona-Krise ist die Bewegung aus den USA in die Schweiz übergeschwappt – und wird damit zur Gefahr für die innere Sicherheit.

Den Anfang nahm QAnon in den Tiefen der Des­information, auf der ­Internetplattform 4chan. Dort gab sich am 28. Oktober 2017 ein anonymer User namens Q als hochrangiger Regierungsbeamter aus und begann, irre Theorien zu verbreiten. So beherrscht angeblich eine satanistische Elite die Welt. In unterirdischen Tunnelsystemen missbrauchen deren Mitglieder – ­bekannte Politiker, Hollywood-Stars und Konzernchefs – Kinder und trinken ihr Blut. Doch angeblich gibt es Hoffnung: US-Präsident Donald Trump sei mithilfe des Militärs daran, diesen «Deep State» zu zerschlagen.

Die Anhänger der Theorie nennen sich QAnon. Das Kürzel Anon steht für ­«Anonymous». Q-Anonymous wollen Trump in seinem Kampf gegen den Tiefenstaat unterstützen. Ihre Operationsbasis sind Onlinegruppen. Recherchen zeigen: Die grösste dieser Plattformen im deutschsprachigen Raum wird aus der Schweiz heraus betrieben. Mehrere Insider bestätigen dies gegenüber SonntagsBlick.
Die Plattform heisst ­Qlobal-Change und beinhaltet einen Youtube-Kanal mit 95 000 Abonnenten und eine Gruppe auf dem Messengerdienst Telegram mit 115 000 Mitgliedern.

Im Zuge der Corona-Krise gewann die Verschwörungssekte QAnon deutlich an Zulauf – auch in der Schweiz. Hier ein Anhänger der Sekte auf dem Zürcher Sechseläutenplatz.
Foto: Siggi Bucher
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«Wir werden kämpfen»

In einem Video beschreiben die Drahtzieher ihre Mission: «Der Staat hat uns den Krieg erklärt. Wir fordern, diese illegale Gefangennahme sofort zu beenden. Wir werden uns nicht verstecken, wir werden kämpfen. Auge um Auge. Und dieses Mal werden wir gewinnen.» 255 000 Leute haben sich die Botschaft bereits angeschaut. Qlobal-Change beschreibt sich selbst als ­«Gegenpol zu den lobby­finanzierten Mainstream-Me­dien». In der Telegram-Gruppe schüren die Ad­ministratoren Ängste vor ­imaginären Geheimgesellschaften und verbreiten täglich Fake News zu aktuellen Ereignissen. So seien etwa die «Black Lives Matter»-Proteste in den USA vom Tiefenstaat inszeniert, um einen Bürgerkrieg zu starten. Dies mit dem Ziel, den «weissen Krieger» Donald Trump zu stürzen.


Doch wer sind die hie­sigen QAnon-Drahtzieher und wie gefährlich sind sie? Die Gruppenbetreiber geben sich nicht zu erkennen. Sie bestätigen nur: «Der Kanal wurde von Schweizern gestartet.» Die Identität spiele allerdings keine Rolle. Es gehe einzig und allein um die Inhalte. Und diese erreichen eine immer breitere Masse.

Prominente Unterstützung

Die Telegram-Gruppe von Qlobal-Change wuchs seit Anfang März von 23 000 auf 115 000 Mitglieder. Die Verfünffachung dürfte massgeblich der Corona-Krise geschuldet sein. Die Ausnahmesituation verhalf den Fantasien, die QAnon streut, zum Durchbruch: Der finale Kampf zwischen dem Tiefenstaat und denen, die ihn bekämpfen, hat begonnen. Die US-Zeitschrift «Atlantic» schrieb kürzlich, die Verschwörungsbewegung sei in eine «gefährliche neue Phase» eingetreten.

Es war kaum Zufall, dass QAnon-Fanatiker in der Schweiz im Mai zum ersten Mal öffentlich aufmarschierten. An den Corona-Demos von radikalen Impfgegnern und rechten Esoterikern in Bern und Zürich war das grosse Q auf T-Shirts und Schildern allgegenwärtig.

Als Brandbeschleuniger für die wachsende Bewegung in Europa agierten auch Prominente: Vegan-Koch Attila Hildmann, Musiker Xavier Naidoo sowie der Popsänger Robbie Williams. Sie alle verbreiteten QAnon-Propaganda. Xavier Naidoo erzählte in einem Telegram-Video: «So langsam hab ich das Puzzle zusammensetzen können. Denn das ist eine Industrie, eine Riesenindustrie, die Kinder foltert und mordet.» Nun könnte man diese Horror­geschichten als hanebüchenen Schwachsinn abtun, wenn die Erzählung nicht konkrete Folgen hätte. Denn die Radikalisierung im Netz mündet zunehmend in reale Gewalt.

Liste von Gewalttaten ist lang

Nach mehreren Attentaten stufte das FBI QAnon im Mai 2019 als terroristische Bedrohung ein. Umso erschreckender ist die Verbindung von QAnon zum politischen Mainstream in den USA. Sogar der Präsident höchstpersönlich teilt gelegentlich QAnon-Theorien mit seinen 82 Millionen Twitter-Followern.

Die Liste der Gewalttaten von QAnon-Anhängern in den USA ist lang. Der verheerendste Anschlag war jener auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh im Oktober 2018. Ein ­Attentäter tötete elf Gläu­bige. Er war Neo­nazi – und QAnon-Fanatiker. Doch nicht nur in den USA, auch in Deutschland starben bereits Menschen durch die Gewalt von Terroristen, die sich im Dunstkreis von QAnon radikalisiert ­hatten. Der Rechtsextremist etwa, der im Februar bei ­einem Anschlag auf Shishabars in Hanau zehn Menschen erschoss, fantasierte von pädophilen Eliten. In ­einer «Ansprache an alle Amerikaner» behauptet der Attentäter auf Englisch, dass die USA von einer unsichtbaren Geheimgesellschaft kontrolliert würden.

Haben Behörden QAnon wirklich auf dem Schirm?

Miro Dittrich arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzt. Er glaubt, dass sich Gewalttaten dieser Art im deutschsprachigen Raum häufen könnten. Seit Jahren beobachtet ­Dittrich rechte Onlineforen und kennt das Gemisch, das sich im Zuge der Corona-Krise auch hierzulande zusammengebraut hat.

QAnon hält er für besonders gefährlich: «Die Mitglieder in diesen Gruppen radikalisieren sich teils rasend schnell», warnt er. Viele würden innerhalb kurzer Zeit in Parallelwelten abdriften, wo die Hemmschwelle für Gewalt niedrig sei.
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) versichert zwar, man habe Kenntnis von QAnon. Gewalttätig-extremistische Aktivitäten in der Schweiz hätte man bisher allerdings nicht beobachten können. Dittrich sagt dazu: «Die Sicherheitsbehörden haben diese Bedrohung nicht auf dem Schirm.» Ein tödlicher Fehler?

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