Bidens Wirtschaftspolitik auf dem Prüfstand
Was ist vom New Deal zu halten?

Mit einem gewaltigen Hilfspaket will US-Präsdient Joe Biden die USA in eine neue Ära katapultieren. Ganz wie sein Vorbild Franklin D. Roosevelt.
Publiziert: 24.01.2021 um 11:26 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2021 um 22:53 Uhr
Sven Zaugg

Die Kluft zwischen Arm und Reich in den USA ist so gross wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Fast elf Millionen Amerikaner sind arbeitslos gemeldet. Viele von ihnen können sich ohne Spenden oder Hilfsgelder nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen. Die Pandemie wirkt wie ein Beschleuniger, der die strukturellen Defizite der weltgrössten Volkswirtschaft schonungslos offenlegt.

Inmitten dieser Krise schnürt der neu gewählte Präsident Joe Biden (78) ein gigantisches Konjunktur­paket: Mit 1,9 Billionen Dollar möchte Biden die gelähmte Volkswirtschaft stimulieren. Die Gelder sollen nicht nur helfen, die unmittelbare Not zu bekämpfen, sondern nichts Geringeres als die volkswirtschaft­liche Transformation des Landes ­einleiten: Krankenkasse für alle, Bildung für alle, soziale und nachhal­tige Wirtschaft, Chancengleichheit für alle. Biden spricht von einem historischen «New Deal», um das Land zu heilen.

Geldspritze allein reicht nicht

Es ist seine angekündigte Rückkehr zu einem starken Staat, einer Regierung, auf die sich die Bevölkerung in der Not verlassen kann. Dieselbe Strategie verfolgte Bidens grosses Vorbild Franklin D. Roosevelt (1882–1945) während der Weltwirtschaftskrise. Als demokratischer Präsident begründete Roosevelt mit seinem «New Deal» (auf Deutsch: die Karten neu verteilen), in den 30erJahren den Sozialstaat, schuf Millionen Jobs, reformierte das Bankensystem und butterte Milliarden in die Infrastruktur.

Fast elf Millionen Amerikaner sind arbeitslos gemeldet. Viele von ihnen können sich ohne Spenden oder Hilfsgelder nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen.
Foto: AFP
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Historisch sind auch die Aufgaben, die auf Biden warten. Wobei die Folgen der Pandemie mit Geld allein kaum zu bewältigen sind. Ganze Branchen verschwanden, das Konsumverhalten hat sich verändert, Lieferketten sind zusammengebrochen, der technologische Wandel wurde beschleunigt.

Es brauche tiefgreifende strukturelle Anpassungen, konstatiert der weltberühmte US-Ökonom James K. Galbraith in einem viel beachteten Essay, einer Antwort auf Bidens Programm. «Es ist ein Irrtum zu glauben, eine blosse Geldspritze – wie grosszügig sie auch sein und wie sehr man sie kurzfristig brauchen mag – werde uns die glückliche Mischung aus Jobs und Einkommen wiederbringen, die wir verloren haben.»

Galbraith fordert stattdessen ­einen fundamentalen Wandel: Eine Jobgarantie im öffentlichen Sektor für Menschen, die keine Anstellung im Privatsektor finden. Eine allgemeine Gesundheitsversorgung, die diesen Namen auch verdient, die Förderung erneuerbarer Energien und kooperativer Eigentumsformen. Zudem: Mieter und Hypothekenschuldner sollen besser vor Räumungen geschützt, die Schulden von ­Studierenden komplett erlassen werden.

Biden strebt immer das Machbare an

«Es braucht eine allgemeine ­Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern, was den Trend der vergangenen 40 Jahre umkehren würde», so Galbraith. Und: Eine Neuausrichtung des Finanzsektors durch Schaffung regionaler Kreditinstitute. «Mit der Zeit können lokale Banken darin unterstützt werden, eine neue Wirtschaft aufzubauen und jene Institute zu ersetzen, die von der Wall Street verzerrt und mit ihrem Zutun schliesslich zerstört wurden.»

In Bidens Programm sind allenfalls Ansätze von Galbraiths Ideen zu sehen. Zwar betonte der neue Präsident bei seinen Wahlkampfauftritten wiederholt, dass sich die amerikanische Konzernwelt ändern müsse. Denn «Corporate America» sei «greedy as hell» – höllisch gierig. Um sie zu stoppen, seien jedoch keine Gesetze mehr nötig, denn die Unternehmen hätten die Zeichen der Zeit erkannt.

Seine Aussagen verraten viel über Joe Biden selbst: Negativ formuliert, ist er ein Oppor­tunist, der niemandem auf den Schlips treten will, wohlwollend gesagt, ein Pragmatiker, der immerzu das Machbare anstrebt. Das illustriert auch seine poli­tische Vergangenheit.

Wird bei Pflästerlipolitik bleiben

In seiner Zeit als Senator stimmte er für die Deregulierung der Finanzmärkte und für die ­Invasion im Irak, beides trug ihm den Applaus der Republikaner ein. Als Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Delaware kämpfte er aber auch erfolgreich für schärfere Gesetze gegen Kindesmissbrauch. Und arbeitete als ­Vizepräsident mit dem damaligen Präsidenten Barack Obama daran, ein Gesetz namens «Obamacare» zu verabschieden, das die Gesundheitsversorgung für Millionen von Familien mit niedrigem Einkommen sicherstellte. Ein Kernanliegen der Demokraten.

Biden strebte zeitlebens danach, überparteiliche Mehrheiten zu schaffen. Das machte ihn für viele wählbar – und genau deshalb ist von ihm kein Programm zu erwarten, das Amerikas Probleme an der Wurzel packt. Es wird bei Pflästerli­politik bleiben. Das ist zwar sehr viel mehr als bei seinem Vorgänger Donald Trump, aber weit entfernt von einem wahren «New Deal».

Andererseits geht oft ver­gessen, dass selbst Roosevelts «New Deal» vor über 80 Jahren nur mässig erfolgreich war. Erst nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, als die Produktion von Kriegsgütern für weitere Beschäftigung sorgte, wurde die Krise überwunden.

Eine solche katastrophale Wende wird sich natürlich niemand wünschen.

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