Betroffene über Rastas und Rassismus
«Haare sind ein sensibles Thema»

In der Schweiz wird gerade lauthals über kulturelle Aneignung diskutiert. Wie geht es Menschen mit Rassismuserfahrungen dabei?
Publiziert: 31.07.2022 um 12:57 Uhr
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Aktualisiert: 31.07.2022 um 14:05 Uhr
Camilla Alabor und Dana Liechti

Die Debatte um kulturelle Aneignung hat auch die Schweiz erreicht. Nachdem im Berner Lokal Brasserie Lorraine ein Konzert der Band Lauwarm abgebrochen wurde, diskutiert nun das halbe Land darüber, ob weisse Personen Rastas tragen sollten oder nicht.

Für viele schwarze Menschen hierzulande ist die Debatte frustrierend. Imani Manser* (20) aus Zürich etwa sagt, sie finde es schade, dass Diskriminierungserfahrungen oft nicht ernst genommen werden – und kritisiert, dass sich nun so viele Menschen einmischen, die nicht von Rassismus betroffen seien oder sich nicht eingehend mit dem Thema kulturelle Aneignung auseinandergesetzt hätten. «Wir haben in der Schweiz ein Klima, in dem alle das Gefühl haben, bestimmen zu können, was okay ist und was nicht, egal, ob sie betroffen oder informiert sind oder nicht.»

Alle tragen Verantwortung

Dass der Fall solche Wellen schlägt, überrascht Mani* von Diversum, einem Verein, der sich für rassismuskritisches Denken einsetzt und Workshops zu kultureller Aneignung anbietet, nicht. «Viele Menschen reagieren erst mal sehr emotional, weil sie denken, ihnen wird etwas weggenommen. Die Leute hören sofort: Du bist böse.» Darum gehe es aber gar nicht, sondern darum, zu erkennen, dass alle gemeinsam Verantwortung tragen würden, ein System wie Rassismus zu bekämpfen. «Diese Erkenntnis braucht Zeit und kann schmerzhaft sein», sagt Mani. Aber nur so könne ein sinnvolles Gespräch entstehen. Und das sei zentral: «Wir kommen nur weiter, wenn wir uns an den runden Tisch setzen und uns bilden. Nicht, indem wir schauen, wer jetzt am lautesten schreit.»

Die Band Lauwarm.
Foto: Instagram/lauwarm_music
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Das sieht Liv Durand* (28) aus Luzern ähnlich. Am allerwichtigsten sei es jetzt, sich über kulturelle Aneignung zu informieren und über die eigenen Vorurteile nachzudenken, findet sie. «Wir vergessen, dass der Mensch sich immer wieder selber hinterfragen muss, um über seine Fehler hinauszuwachsen.» Das betreffe auch die Linken.

Mehr Miteinander und Verständnis

Auch Imani Manser wünscht sich mehr Miteinander und Verständnis. «Es ist nicht die Lösung, jemanden sofort zu canceln, der einen Fehler macht. Aber die Menschen sollten es akzeptieren, wenn sie auf einen Fehler hingewiesen werden und sich auch mal entschuldigen.» Sie habe sich zwar daran gewöhnt, dass auch weisse Menschen Rastas tragen, finde es aber nicht sehr cool, sagt Manser.

Auch Liv Durand hat widersprüchliche Gefühle, was die aktuelle Diskussion angeht. «Ich habe oft miterlebt, wie schwarze Personen mit Rastas Rassismus ausgesetzt waren. Solange weisse Menschen, die die Frisur tragen, sich mit der Ideologie und dem geschichtlichen Hintergrund von Rastas befasst haben, kümmert mich persönlich das aber nicht weiter.»

Es gebe aus ihrer Sicht dennoch viele verständliche Gründe, warum die Diskussion politisch aufgeladen sei, sagt Durand. Sei es aufgrund persönlicher Rassismuserfahrungen. Oder weil es Minderheiten im Zuge des Kolonialismus verboten war, gewisse ihrer kulturellen Ausdrucksformen – wie eben bestimmte Frisuren – auszuleben, während dieselben heutzutage bei weissen Menschen auf eine breite Akzeptanz stossen oder gar damit Profit geschlagen werde.

Haare seien generell ein sehr sensibles Thema, sagt Imani Manser: «Als schwarze Frau überlege ich mir oft, mit welchen Frisuren und Kleidern ich weniger Rassismus ausgesetzt bin.» Weisse Menschen müssten sich so etwas nie überlegen. Schwarze Menschen hingegen würden aufgrund ihrer Frisuren diskriminiert, «während sie bei weissen als cool und trendy gelten». Im Konzertabbruch in Bern sieht Manser zwar eine Kurzschlussreaktion der Veranstalter. Trotzdem: «Ich bin froh, dass es Orte wie die Brasserie Lorraine gibt, wo ernst genommen wird, wenn sich jemand unwohl fühlt.»

* Namen geändert

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