«Beim Essen lässt sich am meisten sparen»
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Rita Ellenberger (69):«Beim Essen lässt sich am meisten sparen»

Rita Ellenberger (69) aus Bern bezieht 512 Franken Ergänzungsleistungen, muss aber 350 Franken Steuern zahlen
«Das kann doch nicht sein!»

Rita Ellenberger (69) hat ihr Leben lang gearbeitet. Nun lebt sie mit rund 2900 Franken knapp über dem Existenzminimum, bezieht Ergänzungsleistungen. Steuern muss sie dennoch zahlen – 350 Franken pro Monat!
Publiziert: 03.05.2022 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 03.05.2022 um 16:00 Uhr
Ihr hat das Leben einige Zitronen gegeben: Rita Ellenberger (69) lebt knapp über dem Existenzminimum.
Foto: Luisa Ita
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Luisa Ita

Rita Ellenberger (69) öffnet den Kühlschrank. Darin findet man kein Fleisch – zu teuer. Sie nimmt eine Zitrone in die Hand, denn davon hat ihr das Leben viele gegeben.

Die Bernerin muss jeden Franken zweimal umdrehen – jetzt, wo alles teurer wird, sowieso. Denn die Teuerung verstärkt das Problem rasant. «Das bereitet mir grosse Sorgen», sagt Ellenberger. Damit ist sie nicht alleine. Auch Brigitte (78) und Emil Reuss (80) aus Hombrechtikon ZH müssen sparsam leben. Der Zürcher zu Blick: «Es ist eigentlich absurd, dass meine jahrzehntelange Arbeit jetzt doch nicht reicht, um das Leben noch richtig zu geniessen.»

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Hohe Steuerrechnung trotz Ergänzungsleistungen

Laut Schätzungen von Pro Senectute müssen hierzulande etwa 20 Prozent aller Senioren über 65 Jahren als armutsgefährdet angesehen werden. «Dieser Anteil steigt mit zunehmendem Alter, beispielsweise weil die Ersparnisse aufgebraucht sind», sagt Sprecherin Tatjana Kistler. «Etwa 30 Prozent der über 75-Jährigen sind von Armut bedroht.»

Bei Rita Ellenberger ist das Einkommen gar so knapp, dass ihr die Krankenkasse durch die Ergänzungsleistungen (EL) bezahlt wird. 2879.05 Franken hat sie pro Monat zur Verfügung, 1256 Franken gehen für die Miete drauf. Mit dem restlichen Geld muss sie ihr Leben finanzieren und davon 350 Franken Steuern zahlen.

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1200 Franken sollen zum Leben reichen: «Das ist nicht mehr zeitgemäss»

«Das kann doch einfach nicht sein», sagt die agile Rentnerin, die von 2007 bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2018 bei der Berner Steuerverwaltung gearbeitet hat. «Ich kriege von einem Amt Geld und muss den fast gleichen Betrag bei einem anderen Amt einzahlen.»

Kopfschüttelnd fügt sie an: «Es ist alles rechtens, ich weiss. Aber da muss die Politik über die Bücher!» Generell sei der Mindestbetrag von 1200 Franken für die Lebenshaltungskosten in der heutigen Zeit zu gering. «Ferien kann ich mir sowieso nicht leisten, auswärts eine Pizza essen ist eine Seltenheit. Ich will nicht jammern, aber diese Berechnung ist nicht mehr zeitgemäss.»

Kanton Bern führt ein vergleichsweise hartes Regime

Auf Anfrage verweist die Berner Steuerverwaltung diesbezüglich auf eine Antwort des Regierungsrates auf eine Interpellation. Darin steht: «Personen mit Ergänzungsleistungen schulden bereits deutlich tiefere Steuern als Personen mit anderen Einkünften in gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen (sog. ‹Working Poor›).» Eine Steuerbefreiung würde diese Bevorzugung noch verstärken.

Pro Senectute weiss um die Problematik – man sei schon mehrfach aktiv geworden, schreibt die Institution in einer Stellungnahme: «Es bleibt für uns eine Aufgabe, uns diesbezüglich für die Senioren weiter zu engagieren.» Das Regime sei nämlich nicht überall so strikt wie im Kanton Bern: «Es gibt Kantone, die einen einfachen Prozess zum Erlass von Steuern haben. Zum Beispiel Nidwalden, Uri, Solothurn, Luzern. Dort scheint man auch etwas grosszügiger beim Steuererlass zu sein, nicht nur bei EL-Beziehenden, sondern allgemein.»

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