Krebskrank und nur 47 Kilo schwer – IV verdonnert Sascha Feuz zum Arbeiten
«Mein Arzt und ich wurden als Betrüger abgestempelt»

Zwei Jahre lang kämpft sich Sascha Feuz nach der Diagnose Krebs im Endstadium zurück ins Leben. Doch dann kommt der nächste Schlag: Die IV will keine Rente zahlen, obwohl er von seinem Onkologen 100 Prozent krankgeschrieben wurde.
Publiziert: 22.06.2024 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2024 um 11:36 Uhr
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Gina KrücklReporterin

Im Mai 2022 erhält Sascha Feuz (42) die Schockdiagnose: Krebs im Endstadium. Die Ärzte geben dem dreifachen Vater aus Wiler bei Seedorf BE noch drei Monate zu leben. Doch wie durch ein Wunder schrumpft der Tumor im Nasen- und Rachenbereich von Feuz durch die Chemo stärker als erwartet. Feuz erholt sich langsam, weiss aber auch: Der Kampf wird lang und hart.

Er meldet sich bei der IV an, denn er ist für zwei Jahre krankgeschrieben. Doch die IV zahlt nicht, Feuz hat bis heute keinen Rappen gesehen!

Wie durch ein Wunder überlebt Feuz den Tumor im Kopf.
Foto: Gina Krückl
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Drei Monate gaben die Ärzte Sascha Feuz noch, als er im Mai 2022 die Diagnose «Krebs im Endstadium» erhielt.
Foto: zVg

Den negativen Vorbescheid erhält Feuz schon kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres. Laut IV sei er demnach spätestens seit Mai 2023 wieder 100 Prozent arbeitsfähig gewesen.

Absurd: Entgegen diesem IV-Vorbescheid war Feuz erst seit Juli tumorfrei und musste noch bis Oktober starke Medikamente nehmen. Monate, nachdem er laut IV wieder arbeitsfähig gewesen sein soll. Deshalb wehrt er sich gegen den Entscheid der IV, fordert die Akten an. Was Feuz dort liest, bringt sein Blut noch heute zum Kochen. «Die haben mich und meinen Arzt als Betrüger abgestempelt», sagt er zu Blick.

Der Entscheid der IV hatte für Familie Feuz schwerwiegende finanzielle Folgen. Wegen der Krankheit ist Feuz' Firma Konkurs gegangen, die Familie hat ihre Ersparnisse aufgebraucht. Seitdem wird sie von der Sozialhilfe unterstützt. Diese Unterstützung muss jedoch zurückgezahlt werden, sobald es die finanziellen Verhältnisse zulassen. Heisst: Weil es von der IV kein Geld gibt, macht Feuz immer mehr Schulden bei der Sozialhilfe.

Arbeitsfähig mit 20 Kilo Untergewicht?

Als die IV Feuz für «gesund» erklärt, steckt der Familienvater noch mitten in der Krebsbehandlung. Noch wenige Wochen zuvor wird er künstlich ernährt, weil er wegen Krankheit und Therapie über 30 Kilo abgenommen hat und zeitweise nur gerade 47 Kilo bei einer Grösse von 1,8 Metern wiegt. Das steht alles in den Arztberichten. Gemäss der IV-Ärztin, die Feuz nie persönlich getroffen hat, ist er zu diesem Zeitpunkt aber dennoch 100 Prozent arbeitsfähig. Dazu schreibt sie in ihrem Rapport: «Gewicht stabil um 58 Kilo.»

Feuz' Onkologe sieht das ganz anders, attestierte ihm seit Beginn der Krankheit eine 100-prozentige Arbeitsunfähigkeit und erneuerte diese Einschätzung Ende Juli 2023 «bis auf weiteres» wegen einer krankheitsbedingten, chronischen Erschöpfung. Die ist laut der IV-Ärztin allerdings «wenig glaubwürdig». Sie schreibt: Die Arbeitsunfähigkeit ab Mai 2023 sei nicht medizinisch bedingt, sondern «möglicherweise primär sozial». Dass Feuz' Firma wegen seiner Krankheit Konkurs ging, stuft sie als «Risikofaktor» ein.

Die IV stimmt dieser Einschätzung mit ihrem negativen Vorbescheid zu und folgt dabei fast genau dem Wortlaut der Ärztin. Dazu sagt Feuz: «Es ist krass, dass die IV mehr Wert auf die Meinung einer Ärztin legt, die nur ein Stück Papier in der Hand hatte, als auf die meines Arztes, der mich durch meine ganze Krankheit begleitet hat.»

So wundersam Feuz' Heilung auch war, so überzeugt ist er, dass sie ohne seine positive Einstellung nicht möglich gewesen wäre. «Es brauchte zu je einem Drittel die moderne Medizin, meinen christlichen Glauben und meine Motivation. Hätte etwas gefehlt, wäre ich heute tot.» Doch nun befürchtet er, dass genau das gegen ihn verwendet wird. «Ich war so fokussiert darauf, den Kampf gegen Krebs zu gewinnen, dass es so wirkte, als wäre ich bereits wieder gesund.»

IV: Rente für längerfristige Invalidität gedacht

Auf Anfrage will die IV-Stelle Kanton Bern trotz Schweigepflichtentbindung lieber keine Auskunft über das laufende Verfahren geben. Kommunikationschefin Sibylle Siegwart sagt aber, dass IV-Renten grundsätzlich für längerfristige Invalidität gedacht seien – wenn also jemand länger als ein Jahr für mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig ist. Zudem sagt Siegwart, dass die IV-Stelle Kanton Bern aktuell an ihrer Kommunikationsstrategie arbeite. «Betroffene sollen besser verstehen können, wie wir Entscheide fällen. Da wollen wir besser werden.»

Trotz allem wurde Feuz als Reaktion auf seine Einsprache vor kurzem von der IV aufgefordert, sich bei nicht weniger als sechs Spezialisten untersuchen zu lassen! Wieso, versteht er nicht: «Was soll das jetzt noch bringen?» Feuz hat bereits mehrere Bewerbungsgespräche hinter sich, will wieder Vollzeit arbeiten. Ob das klappt, weiss er nicht, aber: «Ich möchte einfach ein Stück Normalität. Wieder arbeiten und selbst für meine Familie sorgen.»

Die Sache mit der IV hinter sich lassen, kommt für Feuz dennoch nicht infrage. «Wie die mich behandelt haben, ist unverschämt. Ich will anderen Leuten Mut machen, dass sie sich sowas nicht gefallen lassen müssen», sagt er.

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