«Ich brauche schon Liebe»
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Blick bei Peter Hans Kneubühl:So lebt der Amok-Rentner (78) im Knast

Gerichtspsychiater Josef Sachs (71) über den Wahn von Amok-Rentner Peter Hans Kneubühl (78)
«Er lebt komplett in seiner eigenen Welt»

Zum ersten Mal liess der Amok-Rentner Peter Hans Kneubühl (78) seine Maske fallen. Im Exklusiv-Interview mit Blick sprach er über die Liebe und darüber, dass wohl an seinem Grab niemand stehen wird. Ein forensischer Psychiater analysiert nun das persönliche Gespräch.
Publiziert: 08.06.2021 um 01:35 Uhr
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Aktualisiert: 08.06.2021 um 07:27 Uhr
Blick zu Besuch bei dem einstigen Amok-Schützen Peter Hans Kneubühl (78) im Regionalgefängnis in Thun BE.
Foto: Peter Gerber
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Interview: Luisa Ita

Als Amok-Rentner wurde er schweizweit bekannt: Peter Hans Kneubühl (78) wehrte sich 2010 in Biel BE vehement gegen die Zwangsräumung und schoss wild um sich. Einen Polizisten verletzte er schwer. Erst nach zehn Tagen auf der Flucht konnte der Ingenieur gefasst werden – seitdem sitzt er im Knast in Thun BE. Auf eigenen Wunsch unter härtesten Bedingungen. 23 Stunden täglich verbringt der Querulant in seiner Zelle. Freunde habe er schon lange keine mehr, sagt er im Blick-Interview: «Als ich bemerkt habe, dass ich überwacht werde, habe ich die Kontakte abgebrochen.»

Nur einer von vielen Sätzen, die deutlich machen, in welch verzerrter Realität Peter Hans Kneubühl leben muss. Der bekannte forensische Psychiater Josef Sachs (71) hat die Aussagen des Häftlings nun analysiert.

Blick: Wie ist Ihr Gesamteindruck von Herrn Kneubühl, wenn Sie das Interview lesen?
Josef Sachs: Ich habe den Eindruck, dass das ein Mensch ist, der komplett in seiner eigenen Welt lebt und resigniert hat. Das zeigt auch seine Aussage ‹Ich denke, dass unsere ganze Welt traurig ist›. Er projiziert seine eigene Traurigkeit auf die ganze Welt. Er ist pessimistisch, deprimiert und erwartet vom Leben nicht mehr viel.

Das Gespräch mit ihm war sehr freundlich, ja fast normal. Nur bei Fragen zur Tat wich er aus. Wie erklären Sie das?
Das ist sehr typisch. Solange es nicht um dieses bestimmte Thema geht, merken Sie nicht, dass mit der Person etwas nicht stimmt. Der Wahn ist wie ausgestanzt. Und alles, was nichts damit zu tun hat, ist völlig normal. Das ist ein sogenannter isolierter Wahn. Das Interview zeigt das.

Herr Kneubühl ist freiwillig fast immer eingesperrt. Was macht das mit ihm?
Dadurch, dass er sich so abkapselt, wird er sich kaum mehr verändern. Eine Weiterentwicklung der Persönlichkeit ist nur im Austausch möglich. Insofern ist also zu befürchten, dass sich sein Wahn noch verfestigen wird. Wenn er noch Freunde hätte, wäre die Situation möglicherweise anders. Gute Beziehungen könnten helfen, dass der Wahn an Bedeutung verliert. Ganz geheilt werden könnte er damit aber auch nicht.

Was sagen Sie dazu, dass er schon 5000 Seiten zu seiner Verteidigung geschrieben haben will?
Das zeigt, dass er sich fast nur noch mit sich selber beschäftigt. Vermutlich will er so seine Weltansicht festhalten, um sie zu verbreiten. Und indem er sich so intensiv damit beschäftigt, wird sich diese Idee immer mehr verfestigen. Denn wenn man einen abstrusen Gedanken hundert Mal denkt, erscheint er einem immer plausibler.

Als Ingenieur ist er hochgebildet. Ist man da gefährdeter für solche Wahnvorstellungen, und woher kommen sie?
Nicht unbedingt. Jemand, der gebildeter ist, wird den Wahn einfach viel mehr ausarbeiten und jedes Detail durchdenken. Woher der Wahn bei Herrn Kneubühl kommt, ist schwierig zu sagen, da ich ihn nicht persönlich kenne. Gefährdet sind generell Leute, die ein wenig zwanghaft sind und alles unter Kontrolle behalten wollen. Häufig sind sie auch selbst unsicher und leicht kränkbar. Meistens steht dann am Anfang ein ganz reales Schlüsselerlebnis, bei dem die Person verletzt wurde. Das gleitet dann langsam in einen Wahn über.

Für die Schüsse auf den Polizisten kam ihm kein Wort der Entschuldigung über die Lippen. Er meinte dazu nur, er bereue nichts.
Er ist überzeugt von seiner Version der Geschichte. Aus seiner Sicht muss er sich darum auch nirgends entschuldigen. Warum ihm die Gewaltanwendung nicht leidtut, das müsste man mit ihm genauer besprechen. Vermutlich hat er zum Zeitpunkt keine andere Lösung gesehen, vielleicht war es aber auch einfach Rücksichtslosigkeit.


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