Ausserrhoder Chauffeur (39) glaubt an Verschwörungstheorien. BLICK hat ihm zugehört
Erklären Sie uns Ihre Welt, Herr Signer

Verschwörungstheorien haben während der Corona-Krise Hochkonjunktur. Pascal Signer (39) aus dem Appenzellerland ist Anhänger der QAnon-Theorie. Er glaubt, die Welt wird von einer geheimen Elite regiert.
Publiziert: 29.09.2020 um 23:14 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2020 um 16:07 Uhr
Michael Sahli

Das Coronavirus bringt unsere Weltordnung ins Wanken – und neue Verschwörungstheorien ans Tageslicht. Besonders eine scheint dabei im Trend zu liegen: «QAnon». An den Schweizer Corona-Demos sind die Q-Zeichen unübersehbar. Auch die Frau, die Daniel Koch (65) im Grossmünster bedrängte, zeigte sich offensiv mit einem Plakat der Bewegung (BLICK berichtete). Anhänger der Theorie denken, die Welt werde von einem Geheimbund regiert, der sich vom Blut getöteter Kinder ernährt. Einer von ihnen ist Pascal Signer (39) aus dem Kanton Appenzell-Ausserrhoden. BLICK hat ihn getroffen.

Der Chauffeur hat sich lange überlegt, ob er sich als QAnon-Anhänger outen soll. Seine Motivation, es dann doch zu tun. «Vieles, was über uns geschrieben wird, stimmt nicht», erklärt er auf einem Bänkli im Grünen. Und: «Ich will einfach sagen, dass ich kein Rechtsradikaler bin.» In seiner Welt hängt alles irgendwie zusammen: Trump (74), die Queen (94) in London, der Papst (83) und auch der Kult-Schauspieler Tom Hanks (64) spielen alle eine Rolle in der globalen Verschwörung. «Ja, ich denke, es gibt eine Elite von Superreichen, die die Welt im Hintergrund regiert», so Signer.

Kinderblut für ewige Jugend

Im Internet verbreiten QAnon-Anhänger auch, dass diese Elite die Formel für ewige Jugend gefunden hat: im Blut Zehntausender Kinder, die gefoltert und getötet werden, um an den Stoff namens Adrenochrom zu kommen. Halt, müssten hier nicht alle Alarmglocken des gesunden Menschenverstands schrillen? «Was wäre, wenn es trotzdem stimmen würde?», fragt Signer rhetorisch zurück und behauptet: «Jeden Tag verschwinden 20'000 Kinder!» Und überhaupt: Der Schauspieler Tom Hanks sei seit Mai nicht mehr gesehen worden. «Ich habe gelesen, dass Hanks Hollywood mit Adrenochrom versorgte und darum verhaftet wurde.» Doch: Für ihn sei die Kinderblut-Sache aber eher ein Nebengleis, sagt Signer.

Pascal Signer (39) steht dazu, Teil der QAnon-Bewegung zu sein. Als Verschwörungstheoretiker sieht er sich nicht.
Foto: Philippe Rossier
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Der Chauffeur setzt sich täglich bis zu acht Stunden mit dem Thema auseinander. «Wenn ich fahre, höre ich QAnon-Podcasts, die einfach im Hintergrund laufen.» Am Feierabend haut der Appenzeller dann selber in die Tasten, schreibt in sozialen Netzwerken seine Kommentare. «An vielen Orten bin ich schon gesperrt», sagt er mit einem Schmunzeln. «Etwa auf den Kanälen des Bundesamtes für Gesundheit.» Auch bei BLICK würden seine Kommentare dauernd gelöscht. Signer sieht sich als «digitalen Krieger», der einfach Fakten liefere: «Eben wie Q.» Zeit habe er genug, da er Single sei und keine Kinder habe.

Video auf Video, Klick auf Klick

Auf QAnon kam er durch die Corona-Krise. Der Mann, der seit 21 Jahren in der Wrestling-Szene aktiv ist, war frustriert über die Massnahmen und abgesagten Events. Irgendwann stiess er auf Youtube zwischen Corona-Beiträgen auf die Verschwörungstheorie. Dann führte ein Video zum anderen. «Es werden dir bei jedem Video ja gleich Vorschläge gemacht, was man als Nächstes schauen könnte.» Klick um Klick ging er der Sache auf den Grund.

Ein Merkmal der US-Verschwörungstheorie: Jeder kann mitmachen. «Q», laut der Erzählung eine Person oder Gruppe aus dem inneren Machtzirkel der USA, gibt der Öffentlichkeit immer wieder Hinweise. Tausende kamen seit 2017 zusammen. Der Interpretationsspielraum ist riesig: Ein jüngerer Hinweis zeigt nur eine Mickey-Mouse-Uhr. Dafür ist die politische Stossrichtung klar. Schon der allererste Hinweis besagte, Hillary Clinton (72) würde bald verhaftet. Donald Trump ist für die Bewegung dafür der Kämpfer des Guten. In den USA kam es in Zusammenhang mit QAnon schon zu Tötungsdelikten. Das FBI stuft die Bewegung als mögliche Terrorgefahr ein.

Eine Mickey-Mouse-Uhr mit Bedeutung

Für Pascal Signer bedeutet QAnon aber etwas anderes. «Man wird immer wieder aufgefordert, selbst zu recherchieren. Und nicht alles zu glauben, was in den Medien steht.» Und genau das machen der Ausserrhoder und seine Mitstreiter. Im Fall der erwähnten Mickey-Mouse-Uhr ist QAnons aufgefallen, dass ausgerechnet Schauspieler Tom Hanks in einem Film eine Uhr mit Mickey-Mouse-Zifferblatt getragen habe. Eben jener Tom Hanks, der Hollywood mit Kinderblut versorgen soll! Alles Zufall? Für die Verschwörungs-Fans ist die Antwort klar.

«Corona hat zu einer Radikalisierung geführt»

Michael Butter (43) ist Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen (D) und hat sich auf Verschwörungstheorien spezialisiert.

Herr Butter, haben Verschwörungstheorien Zulauf wegen des Coronavirus?
Michael
Butter: Der Anteil von Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, ist unverändert. Ich glaube aber, das Coronavirus hat zu einer Radikalisierung geführt. Die Verschwörungstheoretiker sind lauter und sichtbarer geworden. Verschwörungstheorien sind stark in unsicheren Zeiten, wie wir sie jetzt haben.

Wie gross ist die QAnon-Bewegung?
QAnon hat zwar viel Zulauf gehabt in letzter Zeit – fünf bis sechs Prozent der Amerikaner glauben daran. Allerdings glauben laut Umfragen auch 17 Prozent der Deutschen, dass die Anschläge vom 11. September eine Inszenierung waren.

Welche Rolle spielt Donald Trump bei QAnon?
Dazu muss man sagen: QAnon ist eine Nachfolge-Version der Pizzagate-Verschwörungstheorie. Ursprünglich hiess es, Hillary Clinton betreibe einen Kinderhändler-Ring. Nach den Wahlen wurde die Theorie weiterentwickelt und wurde zu QAnon. Jetzt geht es darum, wie Donald Trump den «Tiefenstaat», die geheime Herrscher-Elite, bekämpft. Trump ist der grosse Heilsbringer. Corona ist in dieser Lesart ein Angriff des Tiefenstaates auf Trump, um seine Wiederwahl zu verhindern. Deshalb sieht man auch immer wieder QAnon-Anhänger an Demos von Corona-Skeptikern.

Ist QAnon gefährlich?
Verschwörungstheorien sind ein Motor der Radikalisierung, und diese kann zu Gewalt führen. Bei verschiedenen Anschlägen der letzten Jahre waren die Attentäter Verschwörungstheoretiker, die sich als Kämpfer gegen das Böse sahen. Vor allem bei einer Abwahl Trumps sehe ich Risiken, dass es zu Gewalt kommen könnte. Interview: Michael Sahli

Verschwörungs-Experte Michael Butter (43) sagt: Verschwörungstheorien sind durch Corona sichtbarer geworden.
zVg

Michael Butter (43) ist Professor für Amerikanische Literatur und Kulturgeschichte an der Universität Tübingen (D) und hat sich auf Verschwörungstheorien spezialisiert.

Herr Butter, haben Verschwörungstheorien Zulauf wegen des Coronavirus?
Michael
Butter: Der Anteil von Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, ist unverändert. Ich glaube aber, das Coronavirus hat zu einer Radikalisierung geführt. Die Verschwörungstheoretiker sind lauter und sichtbarer geworden. Verschwörungstheorien sind stark in unsicheren Zeiten, wie wir sie jetzt haben.

Wie gross ist die QAnon-Bewegung?
QAnon hat zwar viel Zulauf gehabt in letzter Zeit – fünf bis sechs Prozent der Amerikaner glauben daran. Allerdings glauben laut Umfragen auch 17 Prozent der Deutschen, dass die Anschläge vom 11. September eine Inszenierung waren.

Welche Rolle spielt Donald Trump bei QAnon?
Dazu muss man sagen: QAnon ist eine Nachfolge-Version der Pizzagate-Verschwörungstheorie. Ursprünglich hiess es, Hillary Clinton betreibe einen Kinderhändler-Ring. Nach den Wahlen wurde die Theorie weiterentwickelt und wurde zu QAnon. Jetzt geht es darum, wie Donald Trump den «Tiefenstaat», die geheime Herrscher-Elite, bekämpft. Trump ist der grosse Heilsbringer. Corona ist in dieser Lesart ein Angriff des Tiefenstaates auf Trump, um seine Wiederwahl zu verhindern. Deshalb sieht man auch immer wieder QAnon-Anhänger an Demos von Corona-Skeptikern.

Ist QAnon gefährlich?
Verschwörungstheorien sind ein Motor der Radikalisierung, und diese kann zu Gewalt führen. Bei verschiedenen Anschlägen der letzten Jahre waren die Attentäter Verschwörungstheoretiker, die sich als Kämpfer gegen das Böse sahen. Vor allem bei einer Abwahl Trumps sehe ich Risiken, dass es zu Gewalt kommen könnte. Interview: Michael Sahli

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