Ausländergesetz knallhart
Unverschuldeter Sozialhilfe-Bezug kann zu Landesverweis führen

Jahrelang lebten sie in der Schweiz. Ein neues Gesetz droht Ausländern mit dem Verlust der Aufenthaltsbewilligung, sobald sie auf Sozialhilfe angewiesen sind.
Publiziert: 07.02.2021 um 11:19 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2021 um 13:26 Uhr
Simon Marti

Ein Gesetz, das Anreize zur Integration von Ausländerinnen und Ausländern schafft – was ist dagegen einzuwenden? Seit zwei Jahren ist das neue Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) in Kraft. Es zeigt sich aber, dass die Paragrafen jenen das Leben schwer machen, die es ohnehin hart getroffen hat: Personen, die unverschuldet auf Sozialhilfe angewiesen sind. Das AIG sieht sogenannte Rückstufungen vor: Die kantonalen Migrationsämter haben die Möglichkeit, zum Beispiel eine fünf Jahre gültige Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) in eine B-Bewilligung umzuwandeln. Die muss jedes Jahr verlängert werden. Sozialhilfebezug ist ein Kriterium, das laut AIG eine Rückstufung rechtfertigt. Im Extremfall droht der Landesverweis. «Wir haben Kenntnis von einer Reihe von Fällen, in denen der unverschuldete Bezug von Sozialhilfe zu Rückstufungen oder sogar zum Verlust der Aufenthaltsbewilligung führte», sagt Noémi Weber, Leiterin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA).

Abschiebung nach zwölf Jahren

Etwa der Fall eines 60-jährigen Gerüstbauers aus Portugal, der nach zwölf Jahren seine Stelle verlor. Der gesundheitlich angeschlagene Mann findet keinen neuen Job, muss Sozialhilfe beziehen. Das Migrationsamt widerruft seine Niederlassungsbewilligung. Ein Rekurs hebt den Entscheid noch rechtzeitig auf.

Seit 2019 haben die Kantone laut Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) 313 Rückstufungen vorgenommen. Nicht immer ist die Sozialhilfe ausschlaggebend, auch mangelnde Sprachkenntnisse können ein Grund sein.

Geraten Ausländer in Not, droht ihnen die Abschiebung.
Foto: Siggi Bucher
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Gründe werden meist nicht erfasst

Die Datenlage ist aber ungenügend. «Rückstufungen sind weitverbreitet», sagt Noémi Weber. «Allerdings erfassen die Behörden die Gründe dafür meist nicht.» So tappe man oft im Dunkeln.

Nationalrätin Samira Marti (27, SP) verlangt in einer parlamentarischen Initiative, dass bei Ausländern, die lange, ununterbrochen und anstandslos in der Schweiz leben, keine Rückstufungen vorgenommen werden. «Wir sprechen von Menschen, die hier geboren wurden oder seit Jahrzehnten hier leben, arbeiten und Steuern zahlen», so Marti. «Wenn sie Pech haben und krank werden, einen Unfall haben oder die Stelle verlieren, laufen sie Gefahr, ihre Heimat verlassen zu müssen.»

SP, SBAA und die Gewerkschaft Unia haben die Allianz «Armut ist kein Verbrechen» gegründet. Dieser Zusammenschluss aus 65 Organisationen fordert vom Parlament per Petition, die Verschärfungen aufzuheben.

Der Trend geht aber in die andere Richtung. Die Vernehmlassung für Verschärfungen bei Personen aus Drittstaaten wird bald eröffnet.

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