Assange-Verlobte Stella Moris im Interview
«Ich erwarte von der Schweiz klare Worte»

Julian Assange enthüllte mit der Plattform Wikileaks geheime Dokumente, derzeit sitzt er in England in Einzelhaft. Seine Verlobte Stella Moris spricht über Assanges Haftbedingungen, ihre Forderungen an die Schweiz und ihr Leben.
Publiziert: 05.06.2021 um 19:12 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2021 um 22:09 Uhr
Stella Moris (38) hat zwei Söhne mit Whistleblower Julian Assange. Sie war gestern in Genf.
Foto: Niels Ackermann
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Interview: Rebecca Wyss

Am Freitag forderte eine Gruppe namhafter Persönlichkeiten in Genf die sofortige Freilassung Julian Assanges (49). Und dass die Schweiz ihn aufnimmt. Dazu gehören die Genfer Stadtpräsidentin Frédérique Perler (60), der Genfer Ständerat Carlo Sommaruga (61) und Nils Melzer (51), der Uno-Sonderberichterstatter über Folter. Auch Assanges Verlobte Stella Moris (38) war angereist. SonntagsBlick hat sie beim Bains des Pâquis am Ufer des Genfersees getroffen. Die Mutter zweier Kinder wirkte erschöpft.

Wann haben Sie Julian Assange zum letzten Mal gesehen?
Stella Moris: Im Gericht am 6. Januar. Bevor seine Auslieferung an die USA abgelehnt wurde. Ich brachte ihm Schokoladenkekse, die er mag. Ich wollte ihn aufmuntern. Das Essen im Gefängnis ist sehr schlecht.

Wie geht es ihm jetzt?
Nicht gut. Psychisch und physisch. Er kämpft jeden Tag. Seit letztem Oktober hat er die Kinder nicht mehr gesehen, das belastet ihn sehr. Ich hoffe, dass wir ihn Ende dieses Monats sehen können.

Persönlich: Stella Moris

Stella Moris (38) ist in Südafrika geboren. Sie studierte Recht, Politik und Diplomatie. Heute publiziert sie zu Menschenrechten, arbeitet für NGOs und die Europäische Kommission. Und sie kämpft für die Freilassung ihres Verlobten Julian Assange (49). 2011 stiess sie zu seinem Anwaltsteam. 2015 wurden sie ein Paar, als er in der ecuadorianischen Botschaft in London lebte. 2017 kam der gemeinsame Sohn Gabriel zur Welt, 2019 Sohn Max. Weil Assange inhaftiert ist, ist sie alleinerziehend. Die kleine Familie lebt in London.

Stella Moris (38) ist in Südafrika geboren. Sie studierte Recht, Politik und Diplomatie. Heute publiziert sie zu Menschenrechten, arbeitet für NGOs und die Europäische Kommission. Und sie kämpft für die Freilassung ihres Verlobten Julian Assange (49). 2011 stiess sie zu seinem Anwaltsteam. 2015 wurden sie ein Paar, als er in der ecuadorianischen Botschaft in London lebte. 2017 kam der gemeinsame Sohn Gabriel zur Welt, 2019 Sohn Max. Weil Assange inhaftiert ist, ist sie alleinerziehend. Die kleine Familie lebt in London.

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Hat er Strategien, um mit der Haftsituation besser klarzukommen?
In seiner Zelle hat er nur wenig Platz. Er kann sich dort nicht richtig bewegen, er sitzt fast nur. Wenn wir telefonieren, schaut er, dass er gleichzeitig die Beine stretcht und ein paar Schritte geht.

Warum sind Sie nach Genf gekommen?
Genf ist einer der wichtigsten Orte für Julians Fall. Die Uno ist hier, die Schweiz spielte in der Geschichte eine wichtige humanitäre Rolle. Es freut mich, dass wir hier so viel Unterstützung bekommen. Auch von der Genfer Stadtpräsidentin.

Was erwarten Sie von der Schweiz?
Ich weiss, dass sich die Genfer Regierung um Julians Wohlbefinden sorgt.

Die Stadt Genf forderte die Schweizer Regierung auf, einzugreifen. Tut die Schweiz genug?
Es muss alles getan werden, was möglich ist. Alles. Julians Leben ist in ernster Gefahr. Und dieser Fall ist ein Skandal und ein Angriff auf das gesamte, auf Regeln basierende internationale System. Das betrifft auch die Schweiz und ihre Werte. Es wäre nur logisch und natürlich, dass sie in Julians Fall den Druck erhöht. Ich erwarte von der Schweiz klare Worte.

Gibt Ihnen die Wahl Joe Bidens zum US-Präsidenten Hoffnung?
Ja. Wer im Weissen Haus sitzt, bestimmt, ob Julian in den USA 175 Jahre ins Gefängnis muss oder freikommt. Unter Obama wurde Julian nicht verfolgt. Trump liess ihn wegen Spionage anklagen. Biden sagt, ihm sei Pressefreiheit wichtig. Julian tat nichts anderes, als schwere Missstände aufzudecken. Dass er nun im Hochsicherheitsgefängnis in England sitzt, ist ein Widerspruch, den Biden früher oder später lösen muss.

Wie wurden Sie eigentlich ein Paar? Ihr Verlobter war ja über Jahre in der ecuadorianischen Botschaft eingeschlossen.
Zu jener Zeit waren die Leute in der Botschaft nett und empathisch. Julian durfte Freunde zum Essen empfangen. Wir beide hatten schöne Date-Abende. Irgendwie schafften wir es, etwas Raum für uns einzunehmen. Das wurde aber schwieriger, als ab 2017 die Überwachung innerhalb der Räume extrem zunahm.

Er wurde selbst in der Toilette gefilmt.
So wars. Liebe findet aber einen Weg, selbst unter den schwierigsten Umständen.

Wie war es für Sie, mit einem Mann zusammen zu sein, gegen den Schweden wegen mutmasslicher sexueller Vergehen ermittelte?
Ich wurde unter anderem deshalb damals in Julians Anwaltsteam geholt. Ich kenne die Vorwürfe sehr gut. Ich musste die Verfahrensdokumente studieren. Sehr schnell war klar: Allein am hundert Seiten starken schwedischen Polizeibericht ist vieles faul. Julians Fall wurde politisch instrumentalisiert und Fakten verbogen.

Wie geht es Ihren gemeinsamen Söhnen?
Vor Covid besuchten wir Julian regelmässig im Gefängnis. Seit Oktober hören sie sich nur noch am Telefon. Der Älteste, Gabriel, fragt oft, wann sein Vater nach Hause komme. Ich sage immer: bald.

Und wie geht es Ihnen?
Die Ungewissheit, wann seine Haft enden wird, zermürbt uns. Und ich fühle mich hilflos. Wir sind ausgeliefert, müssen darauf hoffen, dass mächtige Menschen ihre Meinung ändern und ihn freilassen. Das Einzige, das ich tun kann, ist, öffentlich über den Fall zu reden. Zu erklären, dass er in Lebensgefahr ist. Und ich versuche, all die Lügen zu korrigieren, die über ihn verbreitet werden.

Glauben Sie, dass er eines Tages freikommen wird?
Ganz sicher. Julian wird am Ende gewinnen, weil er recht hat. Es ist eine Frage der Zeit. Das Problem ist: Wir haben keine Zeit.

Wikileaks und der Fall Assange

Ab 2010 veröffentlichte die Enthüllungs-Plattform Wikileaks unzählige geheime Dokumente. Diese dokumentierten, wie US-Soldaten im Irak unbewaffnete Zivilisten ermordeten oder Insassen in irakischen Gefängnissen folterten. Wikileaks-Gründer Julian Assange (49) wurde zum Staatsfeind der USA. Dort drohen ihm wegen Spionage 175 Jahre Haft. Derzeit sitzt er aber in einem Hochsicherheitsgefängnis in London. Und das kam so: 2010 erstatteten zwei Schwedinnen Anzeige gegen Assange wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung (die Verfahren wurden später eingestellt). Assange, damals in England, fürchtete eine Auslieferung an Schweden und von dort in die USA. 2012 flüchtete er in die ecuadorianische Botschaft in London. 2019 entzog ihm Ecuador das politische Asyl, die britische Polizei verhaftete ihn und hält ihn seither in Einzelhaft fest. Laut dem Schweizer Uno-Sonderberichterstatter Nils Melzer (51) wurde Assange Opfer psychischer Folter. Im Januar 2021 lehnte ein britisches Gericht seine Auslieferung an die USA in erster Instanz ab – wegen akuter Suizidgefahr.

Ab 2010 veröffentlichte die Enthüllungs-Plattform Wikileaks unzählige geheime Dokumente. Diese dokumentierten, wie US-Soldaten im Irak unbewaffnete Zivilisten ermordeten oder Insassen in irakischen Gefängnissen folterten. Wikileaks-Gründer Julian Assange (49) wurde zum Staatsfeind der USA. Dort drohen ihm wegen Spionage 175 Jahre Haft. Derzeit sitzt er aber in einem Hochsicherheitsgefängnis in London. Und das kam so: 2010 erstatteten zwei Schwedinnen Anzeige gegen Assange wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung (die Verfahren wurden später eingestellt). Assange, damals in England, fürchtete eine Auslieferung an Schweden und von dort in die USA. 2012 flüchtete er in die ecuadorianische Botschaft in London. 2019 entzog ihm Ecuador das politische Asyl, die britische Polizei verhaftete ihn und hält ihn seither in Einzelhaft fest. Laut dem Schweizer Uno-Sonderberichterstatter Nils Melzer (51) wurde Assange Opfer psychischer Folter. Im Januar 2021 lehnte ein britisches Gericht seine Auslieferung an die USA in erster Instanz ab – wegen akuter Suizidgefahr.

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