Anwohner und Gemeinden ausgetrickst
Sommaruga verhindert 5G-Einsprachen

Wegen einer Beschwerdeflut droht 5G zu scheitern. Jetzt schränken Bund und Kantone die Einsprachemöglichkeiten ein – und lassen damit Anwohner und Gemeinden ins Leere laufen.
Publiziert: 26.12.2021 um 14:07 Uhr
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Aktualisiert: 26.12.2021 um 17:36 Uhr
Danny Schlumpf

Im Schweizer 5G-Drama gibt es zwei konsequente Akteure: Die Telekombranche erklärte von Anfang an, nur mit vielen 5G-Antennen und höherer Sendeleistung sei der flächendeckende Einsatz der neuen Technologie möglich. Die Strahlengegner sagen ebenso klar: Beides kommt nicht infrage! Zwischen den Fronten lavieren Bund und Kantone – so ungeschickt, dass der Streit in kürzester Zeit eskaliert ist.

Dabei gibt es drei Zankäpfel: den Neubau von 5G-Antennen, den Umbau alter Anlagen und die Erhöhung der Sendeleistung. In allen drei Fällen kämpfen Mobilfunkanbieter, Bund und Kantone verzweifelt gegen eine Flut von Einsprachen an.

Drei Zankäpfel

Der erste Streitpunkt sind die 5G-Neubauten: Diese sogenannten adaptiven Antennen senden zielgerichtet und sollen deshalb gemäss Mobilfunkanbietern insgesamt weniger elektromagnetische Strahlung erzeugen als oft befürchtet. Bloss glauben das viele Anwohner nicht: Schweizweit gab es schon über 3000 Einsprachen gegen den Bau solcher Anlagen.

Bundesrätin Simonetta Sommaruga will Einsprachen gegen 5G-Antennen einschränken.
Foto: DelphineSchacher
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Der zweite Zankapfel sind die Umbauten: Swisscom und Co. können auch konventionelle Anlagen zu 5G-Antennen aufmöbeln. Das ist bei den meisten der 20'000 Masten im Land möglich. Bloss drohen auch hier Beschwerden in Hülle und Fülle. Denn der Umbau zu einer adaptiven Antenne ist eine Änderung der Anlage. Dazu braucht es eine neuerliche Baubewilligung – was wiederum Einsprachen der Anwohner ermöglicht. Zu diesem Schluss kommt ein Gutachten des renommierten Baurechtsinstituts der Uni Freiburg vom Sommer 2021.

Die Kantone wollten das Problem mit einem Trick beheben: Sie setzten auf Anraten des Bundes vermehrt das sogenannte Bagatellverfahren für Umrüstungen ein. Denn dieses Schnellverfahren lässt keine Einsprachen zu. Mittlerweile haben die Kantone es über 3000 Mal angewendet. Dafür setzte es Kritik der Freiburger Rechtsgutachter: Sie betonen, es brauche ein ordentliches Verfahren mit Einsprachemöglichkeit – und untermauern damit ein Urteil des Berner Verwaltungsgerichts, das bereits Anfang 2021 zu diesem Schluss kam.

Der dritte Zankapfel ist die Erhöhung der Sendeleistung: Zwar gibt es gesetzlich festgeschriebene Strahlengrenzwerte. Doch auf Empfehlung der Mobilfunkanbieter führte Bundesrätin Sommaruga den Einsatz eines sogenannten Korrekturfaktors ein. Er ermöglicht es Swisscom und Co., die Leistung der adaptiven Antennen regelmässig über den vorgeschriebenen Grenzwert zu schrauben – solange dieser im Durchschnitt eingehalten wird. Bloss: Genau wie die Umrüstung ist auch der Einsatz eines Korrekturfaktors eine Änderung der Anlage, sagen die Rechtsgutachter der Uni Freiburg. Deshalb müssten auch in diesem Fall Einsprachen möglich sein.

Hier brennt ein 5G-Mast lichterloh
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Schon wieder im Kanton Bern:Hier brennt ein 5G-Mast lichterloh

Mit der Brechstange

Der Auftrag für das Gutachten kam von der Konferenz der kantonalen Bau- und Umweltdirektoren (BPUK). «Wir übernehmen diese Interpretation», kommentierte deren Vizepräsident Jean-François Steiert (60) im Oktober gegenüber SonntagsBlick die Ergebnisse. Denn: «Eine neue Technologie darf nicht über die Köpfe der Bürger hinweg eingeführt werden.»

Doch jetzt hat die BPUK ihre Meinung geändert: Der Einsatz eines Korrekturfaktors sei keine Änderung der Anlage, finden die Kantone nun plötzlich.

Mit dem Schwenker schliessen sie sich dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) an. Zwar sagte das Amt im Herbst 2020 zu SonntagsBlick: Für sämtliche Antennen, deren Sendeleistung erhöht werden soll, werde eine Bewilligung fällig. Doch Ende letzter Woche teilte das Bafu mit, der Einsatz eines Korrekturfaktors sei keine Änderung und damit nicht bewilligungspflichtig – womit auch keine Einsprachen möglich sind. Die neue Regel tritt bereits am 1. Januar 2022 in Kraft.

In einem Schreiben an die Kantone von Ende Oktober sprach das Bafu von einer «unbedeutenden Änderung». Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Der Entscheid betrifft zunächst die mittlerweile 600 adaptiven Antennen im Land, die in einem ordentlichen Verfahren bewilligt wurden. Damit bahnt das Bafu aber auch den Weg zur einspruchslosen Leistungssteigerung der 3000 adaptiven Antennen, die bereits im Bagatellverfahren durchgewunken wurden. In der geänderten Verordnung steht nämlich ganz generell: «Die Anwendung eines Korrekturfaktors bei bestehenden adaptiven Sendeantennen gilt nicht als Änderung einer Anlage.» Die Definition gilt sinnvollerweise unabhängig von der Bewilligungspraxis.

Das Bafu dementiert dies auf Anfrage von SonntagsBlick nicht. Und auch der Schweizerische Telekommunikationsverband Asut liest es so. Für Swisscom und Co. sind das gute Nachrichten: Die Anzahl Beschwerden werde «sicher reduziert», sagt Asut-Geschäftsführer Christian Grasser.
Keine Freude am Entscheid hat Rebekka Meier, Präsidentin des Vereins «Schutz vor Strahlung»: «Letztlich könnte es um noch viel mehr Antennen gehen.» Zwar hat die BPUK nach Erhalt des Freiburger Gutachtens empfohlen, bis März 2022 keine weiteren Bagatellverfahren durchzuführen. «Doch der Schwenker beim Korrekturfaktor zeigt deutlich, dass die BPUK ihre Meinung rasch ändern kann», sagt Meier.

Tausende Antennen betroffen

Dann stünde die Tür zur Umrüstung und Leistungsstei-gerung Tausender Antennen in der Schweiz weit offen – ohne Einsprachemöglichkeit. «Damit setzt die Bundesrätin den Rechtsstaat aufs Spiel», sagt Meier.

Bafu und BPUK geben sich gegenüber SonntagsBlick über-zeugt, dem Freiburger Gutachten nicht zu widersprechen. Sie betonen unisono, mit diesem Entscheid werde die Rechtssicherheit gestärkt. Fraglich ist, ob das auch die Gemeinden so sehen. Sie sind zuständig für die Baubewilligungen – und laufen nun Gefahr, bei 5G übergangen zu werden.

Einsprachen gegen den Korrekturfaktor sind also vorerst vom Tisch. Doch sobald die Antennen stärker strahlen, können Anwohner Rechtsbegehren einreichen – wie sie es bei den Bagatellverfahren bereits tun. Dann müssen sich die Gerichte damit beschäftigen. Ob sie sich dem Bafu oder den Freiburger Rechtsexperten anschliessen, ist zumindest offen.

Mit anderen Worten: Auch mit der Brechstange durchschlagen Bund und Kantone den gordischen 5G-Knoten nicht.

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