Aargauer Arzt verhandelt mit Regierungen
Die dubiosen Impfstoff-Deals des Doktor O.

Der Schattenmarkt mit Corona-Impfstoff blüht. Mittendrin: Doktor O.* (51) mit seiner Schweizer Firma. Mehrere Nationen bestellten bei ihm grosse Mengen Astrazeneca und Biontech. Die Hersteller sprechen von Betrug.
Publiziert: 25.04.2021 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 27.04.2021 um 13:51 Uhr
Fabian Eberhard

Die Welt wartet auf Corona-Impfstoff. Lieferverzögerungen stellen viele Nationen auf eine Geduldsprobe, kurbeln den Schattenmarkt an – und spülen Leute wie Doktor O.* (51) an die Oberfläche.

Mitten in der Krise wittert der Aargauer Arzt das grosse Geschäft. Er macht ein schier unglaubliches Versprechen: Regierungen aus aller Welt könnten über ihn schneller an Corona-Impfstoffe kommen. Einzige Voraussetzung: Sie müssen dabei tiefer als bisher ins Portemonnaie greifen.

Vor zwei Wochen berichtete der deutsche Fernsehsender ZDF über Doktor O. Journalisten des TV-Magazins «Frontal 21» trafen ihn in einem Stuttgarter Nobelhotel mit versteckter Kamera. In dem Beitrag sagt der Arzt, er könne grosse Mengen an Covid-Impfstoff besorgen. «Astrazeneca, Biontech, kein Problem.»

Die Welt wartet auf den Corona-Impfstoff, der Schattenmarkt blüht.
Foto: AP
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Doch wer ist der Mann? Ist er ein Hochstapler oder hat er tatsächlich Zugang zu Impfstoff? SonntagsBlick-Recherchen zeigen: O. ist im Kanton Aargau angemeldet. Ob er tatsächlich dort wohnt, ist unklar. Sicher hingegen ist: Der Deutsche hat über Jahre als Arzt in der Schweiz gearbeitet und besitzt eine Berufsausübungslizenz für die Kantone Aargau, Luzern und Bern. Patienten können online noch immer Termine bei ihm buchen.

Geschäftstüchtiger Arzt

O. ist Arzt und umtriebiger Geschäftsmann zugleich. Geflüchtet vor dem Krieg auf dem Balkan, baute er sich in Deutschland und der Schweiz ein undurchsichtiges Firmengeflecht auf – mit Ausläufern bis nach Moskau.

Sein derzeitiges Hauptgeschäft scheint die Vermittlung von Covid-Impfstoff zu sein. In der Verzweiflung über Lieferengpässe haben bereits mehrere Länder bei Doktor O. angebissen. Libyen will sechs Millionen Dosen Astrazeneca, die Dominikanische Republik eine Million, Barbados 600'000, Bosnien und Herzegowina 500'000. Die Slowakei bat bei O. um eine Million Dosen Biontech.

Alle diese Regierungen haben sogenannte «Letters of Intent» an O. geschickt. Briefe, in denen sie sich bereit erklären, Hunderttausende Impfdosen zu kaufen. Die Preise dafür liegen um ein Vielfaches höher als bei den offiziellen Direktverträgen, die diese Länder mit den Herstellern abgeschlossen haben.

Adressiert sind die Absichtserklärungen an eine Schweizer Firma von O., die ärztliche Dienstleistungen vermittelt. Laut Handelsregister liegt der Sitz des Unternehmens in einem Dorf im Kanton Aargau.

Woher nimmt O. die Impfungen?

Gegenüber dem ZDF bestätigt die Gesundheitsministerin der Slowakei, Zuzana Eliasova, den Deal mit Doktor O. Der Vertrag sei noch nicht abgeschlossen, «aber die Verhandlungen sind schon gelaufen».

Hat der Arzt aus dem Aargau tatsächlich die Möglichkeit, an grosse Mengen des Impfstoffs zu gelangen? Und falls ja, wo nimmt er ihn her? O. war nicht erreichbar. Die Spuren aber führen zu einem privaten Grosshändler in den USA: Akers Nanotechnology. Die Firma soll als Zwischenhändler fungieren. Und tatsächlich: Auf ihrer Webseite bietet Akers Nanotechnology Covid-Impfstoffe zum Kauf an.

Auf eine Anfrage von SonntagsBlick teilt das US-Unternehmen mit, es sei Vertriebspartner von Astrazeneca und habe eine offizielle Lizenz, Impfstoffe weiterzuverkaufen. «Wir verhandeln derzeit mit allen potenziellen Herstellern über Mengen, Preise und Lieferdaten für deren Covid-Impfstoffe.»

Astrazeneca weiss von nichts

Zweigen die Hersteller etwa Dosen ab und verkaufen diese über Partner für mehr Geld? Die Unternehmen dementieren vehement. Man wisse nichts von derartigen Geschäften und könne nicht für die Qualität der angebotenen Ware garantieren. «Zurzeit liefern wir den Impfstoff ausschliesslich an nationale Regierungen», sagt Astrazeneca-Sprecherin Angelika März. Es gebe keine Lieferungen des Impfstoffs für den privaten Verkauf.

In der italienischen Region Umbrien ermittelt inzwischen die Justiz gegen einen Mitarbeiter von Doktor O. Der gab sich als Astrazeneca-Angestellter aus und bot der Regionalregierung Impfdosen an. Der zuständige Staatsanwalt geht davon aus, dass es sich bei den Impfstoffhändlern um ein internationales Netzwerk handelt, das tatsächlich über Impfstoffe verfügt.

Die Zwischenhändler um O. sind bei weitem nicht die einzigen, die das Vakzin auf dem Graumarkt verkaufen wollen. Laut Europäischem Amt für Betrugsbekämpfung haben mehrere Staaten dubiose Offerten erhalten. Insgesamt hätten Händler rund 900 Millionen Impfstoffdosen angeboten und rund 12,7 Milliarden Euro gefordert.

Wo kauft der Bund ein?

Angefragt wurde auch die Schweiz. Danièle Bersier, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit (BAG), sagt: «Uns wurden schon von verschiedensten Stellen Covid-19-Impfstoffe angeboten.» Über die genaue Anzahl schweigt das BAG.

Bersier betont: «Der Bund verhandelt nur direkt mit Vertretern von Impfstoffproduzenten.» Dies um sicherzustellen, dass in der Schweiz nur von Swissmedic zugelassene Vakzine verwendet werden. Die vom Bund beschafften Covid-Impfstoffe beziehe man direkt von den Herstellern.

Nicht nur der Graumarkt blüht, auch der Schwarzmarkt. Swissmedic warnt: «Die Kriminalität im Zusammenhang mit illegalen Impfstoffen stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit und das Leben der Bevölkerung dar.» Kriminelle Einzeltäter und Organisationen würden die Sorgen der Bevölkerung ausnutzen.

Bei Google steigt die Zahl der Suchanfragen wie «Corona-Impfstoff online kaufen». Anonyme Händler machen daraus ein Geschäft und bieten angebliche Impfdosen zu überteuerten Preisen an.

Impfung per Telegram

Über den Messengerdienst Telegram verkaufen Nutzer für viel Geld Astrazeneca-, Biontech und Moderna-Ampullen – «eisgekühlt, doppelt vakuumversiegelt, mit Tracking-Nummer».

Im Darknet verspricht ein User: «Das Vakzin ist innerhalb weniger Tage bereit und kann in alle Länder verschickt werden.»

Die Cybersicherheitsfirma Check Point fand dort allein im Januar 340 solcher Angebote. Die Preise hätten bei bis zu 1000 Franken pro Dosis gelegen. Aber die Firma rät zur Vorsicht: «Es ist wahrscheinlich, dass ein Käufer überhaupt nichts erhält.»

Und wenn doch etwas ankommt? Dann ist der Impfstoff im günstigsten Fall wirkungslos. Im schlimmsten Fall ist er lebensgefährlich.

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