55 Infizierte, acht Tote – prekäre Situation im Alterszentrum Schwanden
«Wir haben Mitarbeiter, die im Heim übernachten»

Die Lage im Alterszentrum Schwanden in Glarus Süd ist prekär. 55 Bewohner sind am Coronavirus erkrankt, 48 Mitarbeiter haben sich angesteckt – schon acht Bewohner sind gestorben. Der stellvertretende Geschäftsführer Werner Hösli (59) ist verärgert.
Publiziert: 16.12.2020 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 28.12.2020 um 23:18 Uhr
Rachel Hämmerli

Es begann Anfang Dezember: Da steckte sich ein Bewohner im Alterszentrum Schwanden in Glarus Süd mit dem Coronavirus an. Das Drama nahm seinen Lauf. Derzeit sind 55 Bewohner mit dem Virus infiziert, schon acht sind gestorben. Auch 48 Mitarbeitende haben sich mit dem Virus angesteckt.

Der Alltag im Altersheim ist seither ein anderer. Darüber spricht der stellvertretende Geschäftsleiter und ehemalige SVP-Ständerat Werner Hösli (59) mit BLICK.

BLICK: Herr Hösli, wie schaffen Sie es, den Betrieb aufrechtzuerhalten?
Werner Hösli: Momentan arbeiten auf sogenannten Corona-Stationen auch Mitarbeitende, die positiv getestet wurden. Aber nur freiwillig und wenn es gesundheitlich geht. Teilweise mussten wir zwischenzeitlich sogar auf Zwölf-Stunden-Schichten ausweichen. Wir haben auch Leute, die gleich im Heim übernachten. Entweder, um die Familie nicht anzustecken, oder sich vor einem Autounfall durch Übermüdung zu schützen. Es sind alle am Anschlag, aber es geht irgendwie.

Das Alterszentrum Schwanden liegt in der beschaulichen Gemeinde Glarus Süd.
Foto: Alterszentrum Schwanden
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Sie wirken aufgebracht.
Zu Recht! Auch in normalen Zeiten ist Pflegepersonal gesucht. Die Politik weiss schon lange, dass im Pflegebereich Personal fehlt. Das rächt sich jetzt und wir dürfen es ausbaden. Es laufen alle auf dem Zahnfleisch. Bei uns herrscht ein totaler Personalnotstand. Wir bräuchten wegen des Virus eigentlich mehr Pflegepersonal, aber stattdessen haben wir immer weniger, weil sich viele anstecken. Wir müssen unheimlich schauen, dass wir einen geordneten Betrieb noch aufrechterhalten können.

Was bedeutet das für den Alltag im Heim?
Alle machen einfach das Menschenmögliche. Jede und jeder übernimmt, wenn nötig, eine zusätzliche Schicht. Besonders wertvoll war, dass die Mitarbeitenden im privaten Umfeld noch ein paar Leute ins Boot geholt haben. Wir halten einfach zusammen, irgendwann muss die Situation ja besser werden.

Wie geht es den Mitarbeitenden?
Sie sind überaus stark belastet. Aber das ist das eine. Sie kämpfen auch damit, dass Menschen sterben, die sie jahrelang begleitet haben.

Aber im Altersheim ist der Tod doch allgegenwärtig?
Klar, sterben gehört zum Heimalltag. Es gibt im Normalfall immer zwei Phasen im Jahr, wo es ganz natürlich ist, dass mehrere Menschen in kurzen Abständen sterben. Aber dann haben die Mitarbeitenden auch genug Zeit für die Sterbe- und Trauerbegleitung. Jetzt nicht! Kaum nehmen die Mitarbeitenden Abschied, kommt schon der nächste Sterbefall.

Haben die Bewohner Angst?
Das stellen wir so nicht fest. Viele von ihnen haben den Krieg erlebt, das ist noch eine andere Generation. Aber bei manchen werden wieder Erinnerungen an die Kriegszeit wach. Manchmal sagen mir Bewohnende: ‹Dass ich das nochmal erleben muss!› Die Situation reisst bei manchen alte Wunden auf, die vorher teils verarbeitet oder verdrängt waren.

Wie reagieren die Bewohner generell?
Sehr gefasst. Sie versuchen, den Mitarbeitenden zu helfen, beschweren sich nicht und befolgen, was ihnen gesagt wird. Das ist unheimlich hilfreich.

Wie leben die Bewohner momentan?
Die 55 infizierten Bewohnenden sind in ihren Zimmern isoliert. Die restlichen zirka 70 sind separiert von den Infizierten und müssen auf ihren Stationen bleiben, dürfen aber zwei Mal am Tag für einen kontrollierten Spaziergang an die frische Luft. Wir beschäftigen eigens eine Gruppe Mitarbeitende, die mit den Leuten Gespräche führen.

Wie feiern Sie Weihnachten?
Nicht so, wie wir es gerne täten. Im Moment geht es einfach darum, die Situation zu stabilisieren. Alles andere entscheiden wir aufgrund der Entwicklung kurzfristig.

Maillard
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